Hilfen zur Erziehung
Extremsituation: Neu in der Familie
Warum gelingt es einigen Kindern besser als anderen, neue positive Bindungen aufzubauen? Prof. Nowacki und ihr Team an der Fachhochschule Dortmund untersuchen die Bindungsentwicklung von Pflegekindern.
28.07.2010
Bild: Mazoe28, Creative Commons Lizenz
Auf einmal ist alles anders: die Wohnsituation, der Alltag, die Menschen. Ein Kind, das in eine Pflegefamilie kommt, befindet sich in einer Extremsituation. Warum gelingt es einigen Kindern besser als anderen, sich in der neuen Familie zu integrieren und neue positive Bindungen aufzubauen? Welchen Einfluss haben die Pflegefamilie und die äußeren Bedingungen, und wie können diese unterstützt werden? Ein neues Forschungsprojekt an der Fachhochschule Dortmund bearbeitet diese Fragen in Kooperation mit der Universität Erlangen-Nürnberg. Dazu begleitet das Team um Prof. Dr. Katja Nowacki aus dem Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften verschiedene Pflegefamilien, die ein Kind im Alter zwischen ein und sechs Jahren neu aufgenommen haben, jeweils ein Jahr lang.
Der Fokus der Studie liegt auf der Bindungsentwicklung bei den Pflegekindern. Doch wie können Bindungen objektiv eingeschätzt werden? Wie werden Veränderungen in der Bindung sichtbar? Um ein objektives Bild davon zu bekommen, wie eng, oder, genauer gesagt, wie sicher eine Bindung ist, werden die Kinder mit den Pflegeeltern an drei Terminen im Laufe des Jahres in unterschiedlichen Situationen beobachtet: zuhause in gewohnter Umgebung, aber auch unter „Labor“-Bedingungen, also in künstlich initiierten Situationen in kontrollierter Umgebung, zum Beispiel im Beobachtungslabor in der Arbeitsstelle für Spieleforschung der FH Dortmund. Dort werden mit standardisierten Beobachtungsverfahren, z.B. durch Filmaufnahmen, Alltagssituationen durchgespielt: Spiel-, aber auch Aufräumsituationen und das Verhalten der Kinder, wenn die neuen Eltern kurz den Raum verlassen, geben wichtige Hinweise auf die Sicherheit der Bindung. Wie schnell lässt sich das Kind von den neuen Bezugspersonen beruhigen? Von welchem Elternteil lässt es sich schneller trösten? Welche Person ist „sozialer Anker“, bietet Orientierung? Zusätzliche Hinweise liefern so genannte Persönlichkeitseinschätzungen und Entwicklungsstand-Erhebungen nach anerkannten Verfahren sowie Fragebögen, die die Einschätzung der Eltern wiedergeben.
„Leider ist die Diagnostik zur Bindungsstörung relativ unausgereift“, bedauert Prof. Nowacki, „deshalb müssen Methoden entwickelt und validiert werden, zum Teil übersetzen wir eigenhändig Fragebögen aus dem Englischen.“ Dennoch kann die Professorin für Klinische Psychologie und Sozialpsychologie bereits erste Ergebnisse präsentieren. „Einen wichtigen Einfluss auf die Beziehung der Eltern zum Pflegekind haben die eigenen Erlebnisse der Eltern in ihren Ursprungsfamilien“, das ergab eine Vorstudie. Und: Unsicher gebundene Kinder zeigen mehr Verhaltensauffälligkeiten.
Außerdem weiß man, dass eine sichere Bindungsentwicklung mit zunehmendem Alter schwieriger wird. Kann man daraus bereits Empfehlungen ableiten? „Vielleicht die: Die wichtigste Grundlage ist ein liebevolles Miteinander. Erst wenn die Beziehung zwischen Pflegekind und -eltern relativ sicher ist, sollten die Eltern mit Erziehungsmaßnahmen beginnen!“
Das Projekt „Bindungsentwicklung von Pflegekindern“ verbindet die Grundlagenforschung der Psychologie, in diesem Fall die Beobachtung der Bindungsentwicklung, mit den Interventionsmaßnahmen als praktischem Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit. Während der Gesamtlaufzeit von drei Jahren möchten die Dortmunder Sozialwissenschaftler 25 Familien beobachten. Die Kooperationspartner der Universität Nürnberg-Erlangen arbeiten parallel mit denselben Methoden, sodass sich die Auswertung schließlich auf 50 Familien stützen wird.
Bisher haben sich in der Ruhrgebietsregion elf Familien zur Mitarbeit bereit erklärt. Den ersten Kontakt zu den Familien stellen meist die zuständigen Jugendämter her, mit denen die FH Dortmund in diesem Projekt kooperiert. Schwierig ist, dass die Untersuchungen erst nach der ersten Eingewöhnungsphase starten können. Fragen, ob oder wie stark sich die Bindungen bereits in den ersten Tagen und Wochen ausbilden, sind somit leider kaum professionell zu beobachten, da in den ersten Tagen in der neuen Familie nicht die Wissenschaft, sondern ausschließlich das Wohl des Kindes im Vordergrund steht. Außerdem ist die Rechtslage oft nicht so schnell geklärt. Dennoch ist Prof. Nowacki optimistisch: „Wir hoffen, dass wir mit den neuen Erkenntnissen Hilfsmaßnahmen entwickeln können, um die Familien in der neuen Konstellation zu unterstützen“ – wenn plötzlich alles anders ist, anders und: besser.
Mehr Informationen zum aktuellen Forschungsprojekt erhalten Sie hier.
Quelle: Prof. Dr. Katja Nowacki, Fachhochschule Dortmund
ch
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