Hilfen zur Erziehung

AGJ-Positionspapier: Öffentliche und Freie Jugendhilfe in den Hilfen zur Erziehung

Wie soll sich die Zusammenarbeit zwischen Verantwortungsgemeinschaft und Geschäftsbeziehung in den Hilfen zur Erziehung weiterentwickeln, um die Qualität der Angebote und Leistungen im Interesse der jungen Menschen auch künftig sicherzustellen? Dieser Frage widmet sich die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ in ihrem Positionspapier „Öffentliche und Freie Jugendhilfe in den Hilfen zur Erziehung: Verantwortungsgemeinschaft im Sinne der Adressatinnen und Adressaten gestalten“. Das Papier zeigt neben aktuellen Entwicklungen der Trägerlandschaft sowie Trendbewegungen auch Schlussfolgerungen für Gelingensvoraussetzungen für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit in der Praxis vor Ort.

16.10.2018

Das Positionspapier, das vom Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ Ende September beschlossen wurde, stellt zunächst die Daten und Zahlen zu der Trägerlandschaft in den Hilfen zur Erziehung vor und erörtert in Folge die partnerschaftliche Zusammenarbeit öffentlicher und freier Jugendhilfe aus verschiedenen Blickrichtungen. Dazu gehören die Ausgestaltung der Partnerschaftlichkeit vor dem Hintergrund der Strukturvorgaben und Leitprinzipien des SGB VIII, der aktuellen fachpolitischen Entwicklungen und auch der geschäftlichen Beziehungen zwischen den Trägern der öffentlichen und der freien Jugendhilfe. Die Schlussfolgerungen beinhalten schließlich Rahmenbedingungen, Gestaltungsmöglichkeiten und Gelingensvoraussetzungen für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit in der Praxis vor Ort.

Die Entwicklung sowie Ausgestaltung einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit und einer Verantwortungsgemeinschaft zwischen öffentlicher und freier Jugendhilfe auf Basis der strukturellen Zweigliedrigkeit der Jugendhilfe dient dem Wohl der Adressatinnen und Adressaten und ist Ziel des SGB VIII. Die Partner stehen aber auch in Geschäftsbeziehung zueinander, mit jeweils definierten Rahmenbedingungen und Voraussetzungen, über die die Beteiligten sich laufend verständigen müssen. Dazu gehört auch eine Verständigung über die Anpassung ihrer Angebote an sich wandelnde Lebensbedingungen und Bedarfslagen von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien.

Unbegleitete minderjährige Geflüchtete: Beispiel für partnerschaftliche Zusammenarbeit

Im Hinblick auf ebendiese sich wandelnden Bedingungen und Bedarfslagen bietet die Unterbringung und Versorgung der in den letzten Jahren nach Deutschland unbegleitet minderjährigen Geflüchteten ein besonderes und bedeutendes Beispiel für die partnerschaftliche Zusammenarbeit der öffentlichen und freien Jugendhilfe: Sie hatte Mitte der 2010er Jahre angesichts der hohen Zahl von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten vor großen Herausforderungen gestanden. In kürzester Zeit mussten Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden, um Obdachlosigkeit zu vermeiden und eine Versorgung und Begleitung der jungen Menschen zu ermöglichen. 2016 lebten zeitweise knapp 70.000 unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Deutschland. Die Verantwortung für eine kind- und jugendgerechte Unterbringung einer großen Anzahl junger Menschen, für die Umsetzung der Jugendhilfestandards und für mögliche Risiken beim Aufbau neuer Angebotsformen wurden durch beide Seiten innerhalb kurzer Zeit gemeinsam übernommen und getragen. Denn die sich in dieser „Krisensituation“ ergebenden Fragen nach Raum- und Unterbringungskapazitäten, der Gewinnung von Fachkräften und der Notwendigkeit einer Betriebserlaubnis für kurzfristig benötigte Wohn- und Betreuungsformen betrafen im gleichen Maße die öffentliche wie die freie Jugendhilfe. Die großen Anstrengungen konnten nur gemeinsam und partnerschaftlich zwischen Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe geleistet werden.

Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ stellt in ihrem Positionspapier aus verschiedenen Perspektiven und Blickrichtungen die Zusammenarbeit vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen der Trägerlandschaft in den Fokus, zeigt Entwicklungslinien und Trendbewegungen auf und zieht Schlussfolgerungen, wie sich die Zusammenarbeit zwischen Verantwortungsgemeinschaft und Geschäftsbeziehung in den Hilfen zur Erziehung weiterentwickeln sollte, um die Qualität der Angebote und Leistungen im Interesse der Adressatinnen und Adressaten auch künftig sicherzustellen.

Trägerlandschaft, Entwicklungslinien, Trends und Schlussfolgerungen

Der erste Teil des Papieres ist wie folgt gegliedert:

  • Daten und Zahlen zur Trägerlandschaft in den Hilfen zur Erziehung
  • Strukturvorgaben und Leitprinzipien des SGB VIII zum Verhältnis öffentlicher und freier Jugendhilfe
  • Komplementäre Geschäftsbeziehung zwischen den Trägern der öffentlichen und der freien Jugendhilfe
  • Realitäten von Jugendhilfepraxen
  • Fachpolitische Entwicklungslinien und aktuelle Trends

Der zweite Teil des Papieres zeigt zehn Perspektiven auf:

Aus Sicht der AGJ sind folgende Positionen zentral, wenn es um die Angebotsvielfalt in der Kinder- und Jugendhilfe sowie um das Einhalten der Grundprinzipien des SGB VIII geht:

  • In der Diskussion um die Partnerschaftlichkeit bzw. um das Verhältnis öffentlicher und freier Jugendhilfe stehen die Adressatinnen und Adressaten sowie die Qualität der erforderlichen Angebote und Leistungen im Mittelpunkt, um im Sinne des § 1 SGB VIII Kinder und Jugendliche zu fördern, sie und ihre Familien zu unterstützen und sie vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen. Sie und die positive Gestaltung ihrer Lebensbedingungen sind die zentralen Leitziele für alle beteiligten Akteure in der Kinder- und Jugendhilfe.
  • Die Kinder- und Jugendhilfe hat einen gesetzlich verankerten Auftrag: Sie erbringt in erster Linie personenbezogene Dienstleistungen, ist für die Unterstützung, Begleitung und Hilfe für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen verantwortlich und zur Wahrnehmung des staatlichen Wächteramtes verpflichtet. Sie ist sozialrechtlich wesentlich durch das SGB I, VIII und X geprägt. Eine primär wettbewerbsrechtliche Betrachtung ist abzulehnen.
  • Die Träger der Kinder- und Jugendhilfe sind zu einem ressourcensparenden und wirtschaftlichen Einsatz der Mittel verpflichtet, was für die Träger der freien Jugendhilfe eine verantwortliche Unternehmensführung (bspw. Personalverantwortung) und das Interesse, an der Angebotsvielfalt mitzuwirken, einschließt.
  • Die öffentliche Jugendhilfe muss ihre Gesamt- und Planungsverantwortung mit den vorrangig durch die Länder aber auch den Bund zur Verfügung gestellten Mitteln umsetzen (können). Dazu gehört insbesondere eine aufgabenangemessene Ausstattung der Jugendämter und Landesjugendämter, um sich auf die (gesetzlich normierte) Aufgabenerfüllung zu konzentrieren.
  • Es gibt Wettbewerb zwischen den Trägern der freien Jugendhilfe und eine ökonomische Verhandlungsebene zwischen dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe und den Anbietern. Beides ist im Sinne der Ziele des § 1 SGB VIII zu gestalten. Die Frage, welche Wettbewerbsmechanismen bzw. welches ökonomische Verhalten diese Ziele am besten unterstützt, ist noch zu wenig erforscht. Um die Zusammenarbeit im Sinne der Leistungen für Kinder und Jugendliche zukunftsgerecht und verantwortungsvoll zu gestalten, sollten die Wechselwirkungen stärker untersucht und diskutiert werden.
  • In der Aushandlung und Festsetzung von Leistungsentgelten müssen folgende Grundsätze Beachtung finden: Einhaltung des Fachkräftegebotes orientiert an der Leistungserbringung / Berücksichtigung von erforderlichen Rahmenbedingungen wie Supervision und Fortbildung / Einhaltung sozialversicherungs- und arbeitsrechtlicher Vorgaben / Ermittlung von Personalkosten auf der Grundlage tariflicher Vergütungshöhen.
    Kostenkontrolle muss immer zusammen gedacht werden mit einer tragfähigen Verständigung über eine qualifizierte Leistungserbringung, um die Ziele des § 1 SGB VIII zu realisieren.
  • Die Zweigliedrigkeit des Jugendamtes, der Jugendhilfeausschuss und seine Zusammensetzung sind bewährte Strukturprinzipen, durch die Fachkräfte aus der freien Jugendhilfe in die öffentliche Verantwortung für die Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen eingebunden werden. Dadurch wird der Pluralität und der unterschiedlichen Werteorientierung im Trägerspektrum der freien Jugendhilfe Rechnung getragen sowie die vielfältige fachliche Expertise in die Arbeit des Jugendhilfeausschusses eingebracht.
  • Grundvoraussetzung für eine gelingende Zusammenarbeit ist das Wissen über und die Anerkennung der jeweiligen rechtlichen Grundlagen, Rollen und Aufgaben und die Übersetzung dieser Strukturprinzipien in Planung, Dialog, Verfahren und Rahmenvereinbarungen vor Ort, um auch damit eine Qualitätsdimension zu gewährleisten, die es den Parteien ermöglicht, Vertragspartner zu werden und diese Voraussetzungen in den Rahmenvereinbarungen aufzunehmen.
  • Die Bildung von Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII soll vor Ort unterstützt werden, um auch damit einen Beitrag zu leisten, Maßnahmen aufeinander abzustimmen und zu ergänzen. 
  • Ein bedarfsgerechtes Angebot muss zudem in der Lage sein, flexibel auf ungewöhnliche Bedarfe und schwierige erzieherische Herausforderungen angemessen zu reagieren. Hier muss sich partnerschaftliche Zusammenarbeit auch in adressatenorientierten und fachlich anspruchsvollen Hilfesettings auf der Basis solider Finanzierungen bewähren. Nur so können plötzliche Unzuständigkeitserklärungen und schädliche Hilfeabbrüche vermieden werden.
  • Auch und vor allem vor dem Hintergrund des enorm großen Fachkräftebedarfs für die Kinder- und Jugendhilfe stehen öffentliche wie freie Jugendhilfe in der Verantwortung, dieses Arbeitsfeld als attraktiven Arbeitsort zu gestalten, um den gesetzlichen Auftrag sicherzustellen. Dazu gehört auch, gute Kooperationsbeziehungen aufzubauen und zu halten sowie einen fachlichen Austausch und Qualitätsprozess partnerschaftlich zu gestalten.

Das ausführliche Positionspapier der AGJ (13 Seiten) steht auf den Seiten des Fachkräfteportals zum Download zur Verfügung.

Quelle: Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

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