Studie

Wie Corona-Hilfspakete für Frauen und Männer wirken

Eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung beleuchtet die erwartbaren Auswirkungen der drei zentralen Corona-Hilfspakete der Bundesregierung.

03.12.2021

„Für neue Bundesregierung gibt es bei Gleichstellung viel zu tun“

Mit ihrer milliardenschweren Stabilisierungspolitik hat die Bundesregierung in der Corona-Krise zahlreiche Arbeitsplätze und Unternehmen sowie gesamtwirtschaftliche Kaufkraft in Deutschland gesichert. Viele Hilfen haben aber kaum die bestehenden Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern berücksichtigt, beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt sowie im Steuer- und Sozialsystem. Daher ist zu erwarten, dass mit der Umsetzung der Hilfspakete zugleich Schieflagen in der Gleichstellung von Frauen und Männern noch weiter vergrößert werden.

38 Prozent der 108 untersuchten Maßnahmen dürften Männern eher nutzen als Frauen

So zeigt die Analyse des zu erwartenden Nutzen durch die Maßnahmen: 38 Prozent der 108 untersuchten Maßnahmen dürften Männern eher nutzen als Frauen, für 21 Prozent ist der absehbare Nutzen für Frauen größer einzuschätzen als für Männer. Bei rund 41 Prozent ist der Nutzen für beide Geschlechter gleich groß einzuschätzen. Berücksichtigt man, wie viel Geld für verschiedene Stabilisierungsmaßnahmen vorgesehen ist, dürften die geschlechtsspezifischen Ungleichgewichte sogar noch weitaus größer ausfallen, so die Analyse der Forscherin Dr. Regina Frey. Auch längerfristige Beschäftigungseffekte sind vor allem in Branchen zu erwarten, in denen bislang deutlich mehr Männer als Frauen arbeiten.  

Abschätzung von Gesetzesfolgen auf die Gleichstellung muss besser eingesetzt werden

„Die Studienergebnisse bedeuten selbstverständlich nicht, dass nicht auch Frauen von den Corona-Hilfspaketen profitiert haben und profitieren. Aber sie zeigen, dass viele Maßnahmen so aufgesetzt waren, dass sie seltener und in geringerem Umfang Frauen nutzen als Männern“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Auch wenn die Entscheidungen unter hohem Zeitdruck erfolgen mussten, wurde die unbedingt notwendige und längst vorgeschriebene Abschätzung von Gesetzesfolgen auf die Gleichstellung ausgerechnet bei diesen Multi-Milliarden-Paketen offenbar nicht effektiv vorgenommen. Deshalb dürften sie insgesamt besondere Belastungen, die zum Beispiel viele Mütter tragen mussten, wenn sie angesichts geschlossener Schulen und Kitas ihre Erwerbsarbeit reduziert haben, nicht ausgleichen, sondern den Rückstand zu Männern eher noch vergrößern. Das ist ein Beispiel für eine ,geschlechterblinde´ Politik, wie es sie im Jahr 2021 eigentlich nicht mehr geben sollte.“

Geschlechtsspezifische Segregation auf dem Arbeitsmarkt

Die Befunde unterstreichen: „Für die neue Bundesregierung gibt es in Sachen Gleichstellungspolitik viel zu tun“, betont die WSI-Direktorin. Dazu zählt Kohlrausch nicht nur eine deutlich bessere Evaluierung von Gesetzesfolgen, sondern auch eine Politik, die „mehr existenzsichernde Beschäftigung für Frauen“ fördere. Dazu gehöre neben weiteren kräftigen Investitionen in öffentliche Kinderbetreuung und den Sozial- und Care-Sektor insgesamt auch der Abbau von falschen Anreizen wie der Privilegierung von Minijobs und dem Ehegattensplitting. Zudem sei es wichtig, noch viel stärker als bisher der geschlechtsspezifischen Segregation auf dem Arbeitsmarkt entgegenzuwirken.

Drei zentrale Corona-Hilfspakete der Bundesregierung analysiert

In der Studie analysiert Regina Frey, die als Expertin für Gleichstellungsfragen Kommunen, Bundesländer und Bundesbehörden berät, die drei zentralen Corona-Hilfspakete der Bundesregierung. Diese umfassen nach der Untersuchung 108 abgrenzbare Maßnahmen mit einer großen Bandbreite: Das Kurzarbeitsgeld (KUG) zählt ebenso dazu wie der Entlastungsbeitrag für Alleinerziehende oder der Kinderbonus, die Innovationsprämie für E-Autos wie auch die Förderung von Gebäudesanierungen. Auch Unterstützungszahlungen für Selbständige, die Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes oder die Förderung der Quantentechnologie sind enthalten. Die Studie beruht auf plausibilisierten Annahmen zur Wirkung der Maßnahmen, denn bisher sind kaum Auswertungen zur tatsächlichen Inanspruchnahme der Hilfen und Förderungen zugänglich (mit Ausnahme des Kurzarbeitsgeldes). Daher können bei den Finanzvolumina einzelner Maßnahmen aktuell auch keine genaueren Differenzierungen nach Geschlecht vorgenommen werden. Je nachdem, ob der absehbare Nutzen für beide Geschlechter annähernd gleich groß ist oder ob eher ein Nutzen für Männer oder für Frauen angenommen werden kann, wird das gesamte vorgesehene Volumen einer Maßnahme einer dieser Kategorien zugeordnet.     

Bei 86 der Maßnahmen identifizierte die Forscherin einen direkten Nutzen für Personen. Hierzu zählen beispielsweise die Milderung von Einkommensausfällen aufgrund der Schließung von Betreuungsangeboten, Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung in der akuten Krise, aber auch Kredite und staatliche Garantien. Für 78 dieser Maßnahmen mit einem Nutzen für Personen lagen Informationen zum veranschlagten Budget vor. Es beläuft sich auf insgesamt knapp 600 Milliarden Euro, worin allerdings auch ein großer Anteil an Krediten und Haftungsgarantien enthalten ist (361 Milliarden Euro).

Auswertung der Maßnahmen anhand dreier Parameter

Ob das jeweilige Instrument Frauen und Männern annähernd gleichermaßen nutzen kann oder einem Geschlecht klar mehr als dem anderen, ermittelt die Forscherin anhand von drei Parametern, die in der Studie für jede Einzelmaßnahme dokumentiert werden. Untersucht werden zum einen direkte Nutzeneffekte der Corona-Hilfsmaßnahmen nach Geschlecht. Zum anderen geht es um in die Maßnahmen eingelagerte Regelungen, die dazu führen, dass diese für Frauen und Männer nicht gleichermaßen gut greifen können. Drittens geht es um zu erwartende Beschäftigungseffekte für Männer und Frauen. So wird beispielsweise das Instrument Kurzarbeitsgeld zum einen von Männern im Durchschnitt stärker in Anspruch genommen. Zudem besteht eine Verzerrung, denn die Lohnersatzleistung ersetzt einen festen Prozentsatz des ausgefallenen Nettoeinkommens. Das ist bei vielen verheirateten Frauen niedriger als bei Männern mit gleichem Bruttoeinkommen, weil sie die besonders ungünstige Steuerklasse V gewählt haben. Hier spricht Frey von einem „inhärenten Verzerrungseffekt“, der dazu führt, dass das Instrument für Frauen und Männer nicht gleich wirksam sein kann. Hinzu kommt, dass Frauen insgesamt im Durchschnitt weniger verdienen und besonders häufig in Minijobs arbeiten, die nicht über KUG abgesichert sind.

Die Auswertung kommt zu folgenden Kernergebnissen:

  • Von 35 der 86 Maßnahmen oder 41 Prozent ist zu erwarten, dass sie Frauen und Männern annähernd gleich stark nutzen. Bei 33 Maßnahmen oder 38 Prozent ist davon auszugehen, dass sie eher Männern nutzen. Lediglich für 18 Maßnahmen kann erwartet werden, dass sie eher Frauen nutzen, das entspricht 21 Prozent.
  • Da Maßnahmen, die absehbar eher Männern nutzen, oft ein besonders großes finanzielles Volumen umfassen, sind die Unterschiede hier sogar noch größer: 68 Prozent der insgesamt eingeplanten knapp 600 Milliarden Euro sind für Instrumente vorgesehen, die eher Männern nutzen dürften, bei 25 Prozent ist der Nutzen gleich einzuschätzen. Nur 7 Prozent des Volumens wurden für Maßnahmen eingeplant, die Frauen eher nutzen können als Männern.
  • Bei insgesamt 15 Maßnahmen wirken sich „inhärente Verzerrungen“ auf den geschlechtsspezifischen Nutzen aus. In 14 Fällen geschieht das zu Ungunsten von Frauen, so wie etwa beim Kurzarbeitsgeld durch die oben beschriebene Kombination von Nettolohnorientierung und Steuerklassenverteilung. Auf diese 14 Maßnahmen entfällt ein Budget von knapp 150 Milliarden Euro. Lediglich in einem Fall ist der Nutzen für Frauen größer: Durch die Aussetzung der Mindesteinkommensgrenze in der Künstlersozialkasse.
  • 49 Maßnahmen haben indirekte, längerfristige Wirkung auf die Schaffung von zusätzlicher Beschäftigung. Davon entfallen 40 oder 82 Prozent auf Branchen, in denen aktuell vor allem Männer arbeiten, etwa Energiewirtschaft, Informationstechnologie oder Schiffbau. 8 Maßnahmen bzw. 16 Prozent fördern Wirtschaftszweige, in denen beide Geschlechter annähernd gleich stark vertreten sind. Lediglich in einem Fall, dem Öffentlichen Gesundheitsdienst, verbessern sich die Beschäftigungsaussichten in einer aktuell „frauendominierten“ Branche.          

Elke Hannack, stellvertretende Vorsitzende des DGB, Kuratoriumsvorsitzende der Hans-Böckler-Stiftung:

„Die Gleichstellungswirkung staatlicher Maßnahmen darf nicht dem Zufall überlassen bleiben, wenn es mit der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft vorangehen soll. Wir brauchen eine nachhaltige Gleichstellungsstrategie und bei allen Regierungsvorhaben schon in der Planung einen Gleichstellungscheck. Das ist unser Anspruch an eine neue Bundesregierung, die sich dem Fortschritt verschreiben will!“

Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI:

„Viele Instrumente der hier untersuchten Pakete zur Krisenabwehr könnten geschlechtsspezifische Ungleichheiten verstärken. Ein wichtiger Grund ist, dass die in der Regel erforderliche geschlechterdifferenzierte Folgenabschätzung nicht effektiv genug vorgenommen wurde und daher nicht dazu führte, dass effektive Mechanismen eines Nachteilsausgleichs für Frauen eingeführt wurden.“

Studienautorin Dr. Regina Frey:

„Es braucht ein Monitoring der Hilfen und Förderungen im Rahmen der Anti-Krisen-Politik, das nach Geschlecht und gegebenenfalls auch nach anderen sozialen Kategorien differenziert. Eine gleichstellungsorientierte Planung und Steuerung von Kriseninterventionen ist internationaler Standard und Teil eines guten Regierungshandelns.“

Quelle: Hans-Böckler-Stiftung, Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht vom 18.11.2021

Back to Top