Sozialforschung

Sozialer Aufstieg in Deutschland schwerer als bislang angenommen

In Deutschland hängt der soziale Status einer Person maßgeblich vom sozialen Status der Vorfahren ab. Etwa lassen Bildungsgrad oder Berufsstand der Ur-Großeltern noch auf den ihrer Nachfahren heute in der vierten Generation schließen. Soziale Ungleichheit baut sich also sehr viel langsamer ab als bislang geglaubt. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie unter Beteiligung des Institut für Weltwirtschaft.

07.03.2018

Die soziale Mobilität in Deutschland ist deutlich geringer als bislang angenommen. Sebastian Braun, Arbeitsmarktforscher am Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel), und Jan Stuhler, Universität Madrid, untersuchten Daten, die über vier Generationen hinweg den sozialen Status von Familien in Deutschland im 20. Jahrhundert beschreiben.

Sie kommen zu dem Ergebnis, dass durchschnittlich 60 Prozent der für den sozialen Status einer Person maßgeblichen Faktoren von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Dazu könnten Lebensumstände wie das gesellschaftliche Netzwerk zählen, aber auch vererbte Begabungen. Das Ergebnis gilt unabhängig davon, ob der soziale Status anhand des Bildungsgrads oder des Berufs gemessen wird. Ihre Studie ist in der März-Ausgabe des renommierten Economic Journal erschienen.

Soziale Ungleichheit baut sich nur sehr langsam ab

„Dies bedeutet, dass sich die soziale Ungleichheit in Deutschland nur sehr langsam abbaut. Selbst nach vier Generationen konnten wir immer noch einen Zusammenhang zwischen dem eigenen sozialen Status und dem der Vorfahren messen“, sagte Sebastian Braun. „Je geringer der soziale Status der Ur-Großeltern, desto geringer der Status der Ur-Enkel heute. Ein niedriger Status der Vorfahren wirkt wie eine Last, die den sozialen Aufstieg auch vier Generationen später noch bremst. Umgekehrt gilt: Je höher der soziale Status der Ur-Großeltern, desto höher der Status ihrer Nachfahren heute.“

Auf den ersten Blick widersprechen diese Ergebnisse früheren Studien, nach denen in den meisten Industrieländern der soziale Status einer Person nur zu etwa 30 bis 40 Prozent von den Eltern geprägt ist und soziale Ungleichheiten daher relativ schnell verschwinden. Braun und Stuhler erklären die Unterschiede dadurch, dass Studien zur sozialen Mobilität von hoher Datenunsicherheit geprägt sind, da meist nur ungefähre Informationen über die sozialen Rahmenbedingungen vorliegen, die den Status einer Person beeinflussen. Kinder erscheinen im Vergleich zu ihren Eltern dann unterschiedlicher, als sie tatsächlich sind, und die soziale Mobilität bzw. die Durchlässigkeit der sozialen Schichten wird als zu hoch bewertet.

Mehrgenerationen-Studien veränderten die Ergebnisse

„Indem wir mehr als zwei Generationen beobachteten, konnten wir diesen „Messfehler“ bereinigen“, so Braun. Bereinigt man die bislang vorliegenden Daten entsprechend, ist in Deutschland der soziale Status einer Person durchschnittlich zu 60 Prozent durch das Elternhaus geprägt. „Mehrgenerationen-Studien helfen außerdem zu verstehen, warum sich der soziale Status von einer Generation zur nächsten überträgt und welche Rahmenbedingungen die Durchlässigkeit sozialer Schichten bedingen“, so Braun. Hier herrscht in der Forschung bislang noch Uneinigkeit.

In Ermangelung verfügbarer Daten befassten sich bisherige Studien zur sozialen Mobilität vor allem mit dem Eltern-Kind-Verhältnis. Noch in den späten 80er Jahren ging der Nobelpreisträger Gary Becker davon aus, dass der soziale Status der Eltern nur wenig Einfluss auf denjenigen ihrer Nachkommen und deren Einkommensperspektiven hat. „Die heute vorliegenden Daten und der Blick auf mehrere Generationen widerlegen diese Annahmen. Der soziale Aufstieg ist deutlich schwieriger als bislang vermutet“, sagte Braun.

Zur Studie

„The Transmission of Inequality Across Multiple Generations: Testing Recent Theories with Evidence from Germany” von Sebastian Braun und Jan Stuhler ist in der März-Ausgabe des Economic Journal erschienen.

Kontakt: Dr. Sebastian T. Braun, E-Mail: sebastian.braun@ifw-kiel.de

Quelle: Institut für Weltwirtschaft (IfW) vom 05.03.2018

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