Sozialforschung
Mutterschaft geht häufig mit verringertem Wohlbefinden einher
Der Anteil an Frauen mit psychischen und gesundheitlichen Belastungssymptomen nimmt nach der Geburt zu. Ihr mentales Wohlbefinden reduziert sich in vielen Fällen im Verlauf der Mutterschaft weiter. Dies zeigt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Das DIW fordert aus diesem Grund vor allem institutionelle Entlastungsmaßnahmen.
03.09.2018
30 Prozent der untersuchten Mütter in Deutschland erfahren eine substanzielle Verschlechterung des gesundheitsbezogenen Wohlbefindens innerhalb der ersten sieben Jahre nach der Geburt. Gleichzeitig profitieren aber auch 19 Prozent von einer substanziellen Verbesserung. In einer vergleichbaren Gruppe von kinderlosen Frauen nimmt das mentale Wohlbefinden im Altersverlauf ebenfalls ab, jedoch weniger stark. Das sind die wichtigsten Ergebnisse einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) basieren.
Regretting-Motherhood-Debatte
Vor dem Hintergrund der Regretting-Motherhood-Debatte hat der DIW-Wissenschaftler Marco Giesselmann, gemeinsam mit Marina Hagen von der Universität Frankfurt am Main und Reinhard Schunck vom Leibniz-Institut für Sozialwissenschaft, die Daten von Müttern vor und bis zu sieben Jahren nach der Geburt ausgewertet, um zu untersuchen, ob und inwieweit sich deren mentales Wohlbefinden in der Mutterschaft verändert. „In der 2015 unter dem Hashtag #regrettingmotherhood geführten Debatte wurden vor allem die gesellschaftliche Konzeption der Mutterrolle und deren negative emotionale Konsequenzen diskutiert. Die nun vorliegende Studie zeigt deutlich, dass die Mutterschaft das mentale Wohlbefinden vieler Müttern negativ beeinflusst“, fasst Giesselmann die Ergebnisse zusammen. Bei mehr als 46 Prozent der Mütter verschlechtert sich das mentale Wohlbefinden in den sieben Jahren nach der Geburt des ersten Kindes, bei knapp 30 Prozent sogar substanziell. Ein knappes Drittel berichtet allerdings auch über eine Verbesserung des mentalen Wohlbefindens, 19 Prozent sogar über eine substanzielle.
Belastungssymptome nehmen vier bis sieben Jahre nach der Geburt zu
Veränderungen ergeben sich vor allem bei Merkmalen mit Stressbezug: Von gelegentlichen oder häufigen Einschränkungen in der Leistungsfähigkeit aufgrund emotionaler Probleme berichtet etwa ein Viertel der Frauen mit Kindern zwischen vier und sieben Jahren. Dies sind fast 50 Prozent mehr als vor der Mutterschaft. Auch der Anteil der Frauen, die unter fehlender Energie leiden, nimmt um rund 20 Prozent zu.
Deutlich wird zudem, dass mentale Belastungssymptome im Verlauf der Mutterschaft eher zu- als abnehmen, also nicht in der Phase der stärksten Eingebundenheit auftreten, sondern erst vier bis sieben Jahre nach der Geburt des ersten Kindes. „Es ist also weniger die starke physische Belastung der ersten Jahre, die den größten negativen Effekt auf das mentale Wohlbefinden der Mütter hat“, erläutert Giesselmann. „Vielmehr sind es möglicherweise Spannungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Mutterschaftsidealen, die mit den Jahren zunehmen. Dies legen auch gendertheoretische Forschungen nahe.“
Mentales Wohlbefinden bei Kinderlosen sinkt weniger stark
Um auszuschließen, dass das abnehmende Wohlbefinden womöglich gar nicht mit der Mutterschaft zusammenhängt, wurden auch die Daten einer annähernd strukturgleichen, aber kinderlosen Vergleichsgruppe ausgewertet. Zwar zeigt sich auch bei dieser Gruppe ein abnehmendes mentales Wohlbefinden im Laufe der Jahre, allerdings weniger ausgeprägt als bei Müttern. „Dass in der Kontrollgruppe das Wohlbefinden ebenfalls sinkt, zeigt, dass zumindest ein Teil des sinkenden Wohlbefindens bei Müttern wohl ebenfalls durch normale Alterseffekte begründet ist“, sagt Giesselmann.
Trotz dieser Einschränkung legen die Ergebnisse einen negativen Effekt von Mutterschaft nahe, der im Sinne der Diskurse um das Schlagwort #regrettingmotherhood als Folge tradierter und widersprüchlicher Mutterschaftsideale interpretiert werden kann. Insbesondere die vom DIW Berlin eingebrachten Vorschläge zum Ausbau des Kinderbetreuungssystems und zur Abschaffung des Ehegattensplittings könnten Mütter potentiell entlasten und darüber hinaus langfristig helfen, gesellschaftliche Normen und Wertemuster offener zu gestalten – und so zu einem verbesserten mentalen Wohlbefinden von Müttern beitragen.
Weiterführende Informationen
Die Studie im DIW Wochenbericht 35/2018 (PDF, 191 KB) sowie ein Interview mit Marco Giesselmann zum Thema „Tradierte klassische Leitbilder von Mutterschaft müssten aufgeweicht werden“ (Print: PDF, 45 KB und Podcast: MP3 3,5 MB) stehen auf der Webseite des DIW zur Verfügung.
Quelle: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. vom 29.08.2018
Termine zum Thema
Materialien zum Thema
-
Anleitung / Arbeitshilfe
Queer-Papiere für die Jugendarbeit – Neue Fachpapier-Reihe
-
Ausstellung / Event
Wanderausstellung „Fachkräfte fragen – queere Jugendliche antworten“
-
Broschüre
Junge, Junge* – Geschlechterreflektierte Jungen*arbeit stärken
-
Broschüre
Ratgeber: Wenn Studierende Angehörige pflegen
-
Nachschlagewerk
Geschlechtlichkeit in Leichter Sprache
Projekte zum Thema
-
Kompetenzzentrum geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe Sachsen-Anhalt e.V.
Medienkoffer „Geschlechtervielfalt in Einrichtungen der frühkindlichen Bildung, in Grundschulen und Horten“
-
Mutter-Kind-Gruppe
-
Interkulturelle Erziehung im Kiga
-
Projekt Mutter-Kind-Wohnen
-
Integration ausländischer Jugendlicher "Multi-Kulti-Webpage-Kurs"
Institutionen zum Thema
-
Außeruniversitäre Forschungs-/Serviceeinrichtung
Kompetenzzentrum geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe Sachsen-Anhalt e.V.
-
Verband / Interessenvertretung
Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. (DBSH) – Funktionsbereich Kinder- und Jugendhilfe
-
Verband / Interessenvertretung
Fachstelle Jungenarbeit in Hessen
-
Fort-/Weiterbildungsanbieter
Odenwald-Institut
-
Hochschule
Österreichisches Institut für Familienforschung