Orientierungshilfe für Jugendämter
Kindeswohl bei Aufwachsen in islamistisch oder salafistisch geprägten Familien
Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe sind zunehmend mit Kindern und Jugendlichen konfrontiert, die in islamistischen oder salafistischen Familien aufwachsen. Für Jugendämter, aber auch freie Träger und Familiengerichte steht eine Orientierungshilfe mit praxisnahen Handlungsorientierungen zur Verfügung.
15.06.2021
Die Praxis ist zunehmend konfrontiert mit Kindern und Jugendlichen, die in islamistisch bzw. salafistisch geprägten Familien aufwachsen. Meist sind es die Eltern, aber auch ältere Geschwister, Onkel, Tanten oder andere Familienmitglieder, die dem Bereich des religiös begründeten Extremismus zugerechnet werden oder drohen, entsprechende Überzeugungen zu entwickeln. Hinzu kommen seit einigen Jahren so genannte Rückkehrer/-innen-Fälle, also Kinder und Jugendliche von Eltern, die sich dem sog. Islamischen Staat, al Qaida oder anderen terroristischen Gruppierungen angeschlossen hatten, und teilweise allein, teilweise mit ihren Müttern, seltener mit ihren Vätern, regelmäßig aber hoch belastet aus den Kriegsgebieten oder Lagern nach Deutschland zurückkehren.
Die Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) hat 2018 deshalb beschlossen, eine fachliche Orientierungshilfe für Fachkräfte in Jugendämtern, aber auch für Familiengerichte und Träger der freien Jugendhilfe erstellen zu lassen.
Orientierungshilfe erschienen
SOCLES, cultures interactive und die Türkische Gemeinde Schleswig-Holstein haben im Auftrag des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung den aktuellen Wissensstand im In- und Ausland analysiert sowie bisherige Erfahrungen in Deutschland einbezogen. Die Orientierungshilfe ist im Mai 2021 erschienen und steht der Kinder- und Jugendhilfe und ihren Kooperationspartnern nunmehr zur Verfügung.
Die Orientierungshilfe stellt sich den Aufwachsensbedingungen von Kindern und Jugendlichen in islamistisch und salafistisch geprägten Familien, den Rechten des Staates in solchen Kontexten in das Familienleben einzugreifen, den Unterschieden zwischen dem Gefährdungsbegriff im Kinderschutz, in der Radikalisierungsprävention und bei den Sicherheitsbehörden, den Möglichkeiten von Hilfen sowie der Zusammenarbeit mit spezialisierten Trägern in der Deradikalisierung sowie mit den Sicherheitsbehörden.
Die Orientierungshilfe soll leisten:
- Kontext- und Begriffsklärung in einem begrifflich vielgestaltig aufgeladenen Feld sowohl von Erziehung und Kindeswohl als auch von ideologischen Bekenntnisinhalten und Verhaltensweisen.
- Entwicklungspsychologische und rechtliche Grundlegungen zur Gewährleistung einer dem Kindeswohl erforderlichen Erziehung und Kindeswohlgefährdung im Zusammenhang mit dem Aufwachsen in einer (islamistisch) radikalisierten Familie.
- Konzepte zu Interventionen in und mit Familien, die in Bezug auf Religion, Weltanschauung und gesellschaftspolitische Dynamiken sensibel sind und gleichzeitig das Kindeswohl fest im Blick behalten.
- Wege für einen Zugang zu den Familien sowie Zugang zu Hilfen für die Betroffenen aus den Familien aufzeigen.
- Kriterien zur Gefährdungseinschätzung, zu Ressourcen und Resilienz, Belastungen und Risiken praxisnah darstellen.
- Unterstützung des Strukturaufbaus in den Ländern zu spezialisierter Beratung durch Aufzeigen von Potenzialen für eine institutionalisierte Kooperation mit Jugendämtern.
- Hinweise zur Überwindung der Erwartungsdiskrepanzen für die Kooperation zwischen Jugendämtern bzw. Trägern der Erziehungshilfe und den Sicherheitsbehörden.
Standardwerk im Kontext Radikalisierung, Kindeswohl und Familie
Die Orientierungshilfe gibt der Praxis konkrete Hinweise und Einschätzungshilfen an die Hand. Sie veranschaulicht die fachlichen Anforderungen an den Zugang zu und in der Arbeit mit den Familien anhand von Schaubildern und Fällen zu den verschiedenen Konstellationen. Sie kann schon jetzt als Standardwerk für die Arbeit im Feld Radikalisierung, Kindeswohl und Familie gelten, an der sich auch die Akteure in Kriminalämtern und Verfassungsschutz in ihrer Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendhilfe orientieren können.
Das interdisziplinäre, arbeitsfeldübergreifende Autor(inn)enteam hat rechtliche und sozialpädagogische Expertise zusammengeführt mit der Expertise aus Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung sowie Politik-, Religions- und Islamwissenschaft. Sie wurde erstellt in Kooperation zwischen SOCLES International Centre for Socio-Legal Studies gGmbH, cultures interactive – Verein zur interkulturellen Bildung und Gewaltprävention e. V. (CI) und Türkischer Gemeinde Schleswig-Holstein e. V. (TGS-H).
Download
Meysen, Thomas; Brandt, Leon; Baer, Silke; Meilicke, Tobias; Becker, Kim Lisa (2021): Kindeswohl bei Aufwachsen in islamistisch oder salafistisch geprägten Familien. Orientierungshilfe für Jugendämter. Heidelberg: SOCLES.
Die Orientierungshilfe ist, zusammen mit Fallbeispielen und Auszügen zu bestimmten Themenbereichen auf den Seiten der genannten Projektpartner und des Niedersächsischen Ministeriums abrufbar:
Quelle: SOCLES International Centre for Socio-Legal Studies gGmbH
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