Kindheitsforschung

Wie Kinder psychisch kranker Eltern gestärkt werden können

Schätzungen zufolge haben rund 4,75 Millionen Minderjährige in Deutschland mindestens ein psychisch erkranktes Elternteil. Das BMBF fördert hierzu im Rahmen der Initiative „Gesund ein Leben lang“ das Forschungsprojekt „COMPARE-emotion“ an den Universitäten Gießen und Bochum. Ziel ist es, kindgerechte Therapien und Präventionsansätze zu entwickeln, damit psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen möglichst vermieden werden können.

13.12.2017

Psychische Erkrankungen sind in unserer Gesellschaft weit verbreitet: Knapp 30 Prozent aller Deutschen sind im Laufe ihres Lebens mindestens einmal betroffen. Depressionen, Angststörungen, Sucht oder Schizophrenie sind nicht nur mit erheblichen Leiden und Beeinträchtigungen für die Betroffenen verbunden. Auch das soziale Umfeld leidet unter der tabuisierten Krankheit. Am deutlichsten wird das, wenn psychisch erkrankte Menschen minderjährige Kinder haben. Kinder psychisch kranker Eltern stehen im Mittelpunkt eines Forschungsprojekts an sechs deutschen Universitäten, darunter die Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) unter der Leitung von Prof. Dr. Christina Schwenck, Professur für Förderpädagogische und Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der JLU.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert im Rahmen der Initiative „Gesund ein Leben lang“ das Teilprojekt „Emotionsverarbeitung und -regulation bei Kindern von Eltern mit psychischer Erkrankung (COMPARE-emotion)“ in den kommenden vier Jahren mit insgesamt rund 1,1 Millionen Euro. Beteiligt sind daran auch die Professur für Psychotherapie und Systemneurowissenschaften der JLU (Prof. Dr. Rudolf Stark) und die Juniorprofessur für Entwicklungsneuropsychologie der Ruhr-Universität Bochum (Prof. Dr. Sarah Weigelt). Das mit dem Projekt verbundene Therapieangebot ist Teil des Forschungsprojekts „Children of Mentally Ill Parents at Risk Evaluation (COMPARE)” unter der Leitung von Prof. Dr. Hanna Christiansen, Professur für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Philipps-Universität Marburg.

Kindgerechte Therapien und Präventionsansätze

„Ich freue mich sehr darüber, dass unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der BMBF-Förderinitiative erfolgreich waren und gratuliere ihnen herzlich zu diesem Erfolg“, so JLU-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee. „Mit ihrer Forschung tragen sie dazu bei, dringend benötigte kindgerechte Therapien und Präventionsansätze zu entwickeln, damit psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen möglichst vermieden werden können. Denn viele Therapien sind auf Menschen mittleren Alters zugeschnitten.“

Schätzungen zufolge haben rund 4,75 Millionen Minderjährige in Deutschland mindestens ein psychisch erkranktes Elternteil. Für sie ist es ganz besonders schwierig zu verstehen, warum Mama oder Papa sich plötzlich anders verhalten, nicht mehr mit ihnen spielen oder lachen können. Viele Kinder psychisch erkrankter Eltern müssen mehr Verantwortung übernehmen, als es in ihrem Alter angemessen ist. Sie machen sich Sorgen um ihre Eltern und suchen die „Schuld“ für das Verhalten der Eltern bei sich selbst, weil sie nicht wissen oder verstehen, worunter die Eltern leiden.

Hinzu kommt, dass Kinder psychisch erkrankter Eltern selbst ein deutlich erhöhtes Risiko aufweisen, an einer psychischen Störung zu erkranken. Dieses erhöhte Risiko ist einerseits damit zu erklären, dass psychische Störungen teilweise genetisch bedingt sind. Zum anderen sind die Kinder durch die Erkrankung der Eltern stärker belastet. „Es ist daher dringend notwendig, präventive Angebote zu initiieren, um den Teufelskreislauf zu durchbrechen und zu verhindern, dass die Kinder selbst erkranken“ , so Projektleiterin Schwenck. „Faktisch bestehen in unserem Gesundheitssystem jedoch kaum Möglichkeiten, sich diesen Kindern zu widmen, solange sie selbst noch nicht erkrankt sind.“

Auch in der Forschung wurde das Thema Kinder psychisch erkrankter Eltern bislang kaum behandelt. Im Rahmen der BMBF-geförderten multizentrischen Studie sollen Eltern, die unter einer psychischen Störung leiden und Kinder im Alter zwischen 6 und 12 Jahren haben, psychotherapeutisch behandelt werden. Die Hälfte der Eltern erhält zusätzlich ein Elterntraining, das sogenannte Positive Erziehungsprogramm (Triple P). Das Ziel der Studie ist es herauszufinden, ob sich diese zusätzliche Maßnahme positiv auf die Gesundheit der Kinder auswirkt. Für die Eltern ist die therapeutische Behandlung kostenlos, sie wird von den Krankenkassen getragen.

Am Standort Gießen werden zudem mögliche Übertragungswege der psychischen Erkrankung von den Eltern auf die Kinder untersucht. Dabei geht es vor allem darum, wie Kinder psychisch erkrankter Eltern Gefühle wahrnehmen, verarbeiten und steuern. Die Kinder nehmen an verschiedenen Verhaltensexperimenten teil. Von einem Teil der Kinder untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch die Gehirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT). „Von dieser Studie erhoffen wir uns Aufschluss über Ansatzpunkte präventiver Maßnahmen für die Kinder psychisch erkrankter Eltern“, so Schwenck.

Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer gesucht

Für die Studie sucht das Gießener Wissenschaftlerteam ab Januar 2018 noch Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Teilnehmen können Eltern mit einer psychischen Erkrankung, die Kinder im Alter zwischen 6 und 12 Jahren haben, und sich einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung unterziehen wollen. Gleichzeitig werden Eltern ohne psychische Erkrankung mit Kindern im Alter zwischen 6 und 12 Jahren gesucht, um die Gefühlsverarbeitung der Kinder beider Gruppen vergleichen zu können. Selbstverständlich unterliegen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei allen Erhebungen der Schweigepflicht.

Weitere Informationen sind zu finden unter: www.compare-giessen.de

Kontakt

Prof. Dr. Christina Schwenck
Abteilung für Förderpädagogische und Klinische Kinder- und Jugendpsychologie
Otto-Behaghel-Straße 10C, 35394 Gießen       
Telefon: 0641 99-26333

Quelle: Justus-Liebig-Universität Gießen vom 11.12.2017

Back to Top