Kindheitsforschung

Funktioniert die Lernwerkstätten-Pädagogik für Kinder unter drei Jahren?

Ein Kooperationsprojekt hat Lernwerkstätten mit unter Dreijährigen durchgeführt und ausgewertet. Die Ergebnisse des Projekts zeigen, dass die Prinzipien der Lernwerkstattpädagogik grundsätzlich auf die Arbeit mit Kindern unter drei Jahren übertragbar sind und vielfältige Chancen bieten, diese Altersgruppe zu fördern.

02.11.2018

Funktioniert die Lernwerkstätten-Pädagogik auch bei Kindern unter drei Jahren? Welche Besonderheiten gilt es zu beachten? Und welche Anforderungen stellt sie an die Betreuungspersonen? Ein Kooperationsprojekt der Lernwerkstätten für frühe naturwissenschaftlich-technische Bildung und der Krabbelstube Campus Kids (BVZ GmbH) im Forschungsorientierten Kinderhaus der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) ging diesen Fragen auf den Grund. Im Wintersemester 2017/18 und Sommersemester 2018 wurden Lernwerkstätten mit unter Dreijährigen durchgeführt und ausgewertet. Die Ergebnisse des Projekts zeigen, dass die Prinzipien der Lernwerkstattpädagogik grundsätzlich auf die Arbeit mit Kindern unter drei Jahren übertragbar sind und vielfältige Chancen bieten, diese Altersgruppe zu fördern.

„Der Begriff der Lernwerkstättenpädagogik zeichnet sich dadurch aus, dass die Kinder nicht vorgegebene, sondern eigene Zugänge zu Themen und Materialien finden und forschend lernen. Er ist in der Frühpädagogik bisher vor allem für den Kindergarten- und Grundschulbereich bekannt“, so Prof. Dr. Ute Schaich, wissenschaftliche Begleitung des Forschungsorientierten Kinderhauses und Professorin für Pädagogik der frühen Kindheit am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Frankfurt UAS, die das Projekt leitete. Das Forschungsteam ging deshalb der Frage nach, wie eine Lernwerkstatt für unter Dreijährige sinnvoll konzipiert und durchgeführt werden kann. Fokussiert wurden die Faktoren Raumgestaltung, Materialauswahl, pädagogische Begleitung sowie die Bedeutung von Gleichaltrigen-Beziehungen und von Genderprozessen beim kindlichen Forschen. Hierzu wurden acht halbstündige Beobachtungen mit jeweils zwei bis drei Kindern aus der Krabbelstube, insgesamt sieben Jungen und acht Mädchen (1 bis 3 Jahre), in der Lernwerkstatt durchgeführt, protokolliert und videografiert. Das entstandene Datenmaterial wurde in gemeinsamen Auswertungssitzungen mit allen Forschungsbeteiligten fortlaufend multiperspektivisch diskutiert.

Ziel des Forschungsprojekts war es, einen ersten Beitrag zur Schließung der Forschungslücke hinsichtlich der sinnvollen Konzeption und Begleitung von Lernwerkstätten mit unter Dreijährigen zu leisten. Aus den Ergebnissen der Datenanalyse lassen sich konkrete Schlussfolgerungen für die pädagogische Praxis entlang der untersuchten Schwerpunkte zusammenfassen.

Eine Lernwerkstatt sinnvoll einrichten

Ideal zur Einrichtung einer Lernwerkstatt ist ein ruhiger, im Krippenalltag zugänglicher Raum, in dem möglichst wenig Ablenkung und Durchgang herrscht. Eine reduzierte Einrichtung und ein reduziertes, aber anregendes Materialangebot helfen den Kindern, ein Explorationsthema zu finden und sich für einen längeren Zeitraum darauf zu konzentrieren. Lernwerkstattmaterialien müssen zentral im Raum und auch für Krabbelkinder gut zugänglich angeordnet sein.

Große Mengen des gleichen Materials motivieren zu unterschiedlichsten kindlichen Experimenten; verschiedene Materialsorten, in gleicher Menge und in gleichen Behältnissen nebeneinander angeordnet, fordern zu forschenden Vergleichen auf. Einfache Materialien mit Alltagsbezug sind für die unter Dreijährigen besonders interessant und variabel einsetzbar. Beispiele sind Natur- und Haushaltsmaterialien wie Blätter, Korken oder Dosen. Materialien, welche mit allen Sinnen erforscht und verändert werden können und dürfen, regen Denkprozesse an und halten die Aufmerksamkeit der Kinder für einen längeren Zeitraum aufrecht. Bewegliche Materialien aus mehreren Einzelteilen sowie gut kombinierbare Materialien interessieren Kinder aller Altersstufen und regen gerade ältere Kinder zur Entwicklung komplexer Experimente an. Bei der Materialerforschung entwickeln Kinder eigenständig Forschungsfragen, denen sie systematisch und ausdauernd nachgehen. Dabei verbinden sie kreativ und alltagsnah unterschiedliche Lernbereiche und finden in einen Zustand vertiefter Konzentration.

Pädagogische Fachkräfte unterstützen die Kinder durch „Mitforschen“

Pädagogische Fachkräfte in der Lernwerkstatt erkennen durch intensives Beobachten die Fragen und Interessen der Kinder und greifen diese in der Interaktion auf. Sie sind offen für kindliche Ideen und Vorgehensweisen und geben keinen „richtigen“ Weg vor. Sie reagieren feinfühlig und entwicklungsangemessen auf verbale und non-verbale Kontaktangebote der Kinder und signalisieren über zugewandte Mimik, Gestik sowie angeregte Stimmlage ihr Interesse an deren Tätigkeiten. So bestärken sie Kinder in ihrer Exploration und helfen ihnen, diese zu vertiefen. Das Verbalisieren kindlicher Tätigkeiten und das Formulieren offener Fragen regen Denkprozesse an und helfen Kindern, ihre Erlebnisse einzuordnen und zu verstehen. Die wirksamste Anregung stellt ein „Mitforschen“ der pädagogischen Fachkräfte dar, bei dem sie gemeinsam mit dem Kind Materialien erkunden, ausprobieren und mit dem Kind in einen offenen Dialog über die gemeinsamen Beobachtungen treten. Als Bindungsperson bietet die pädagogische Fachkraft den Kindern ein ausgewogenes Verhältnis aus Sicherheit und Explorationsunterstützung. Hierzu muss sie auch negativen Gefühlen der Kinder Raum geben, ihre Affektregulierung feinfühlig unterstützen und Anregungen zur weiteren Exploration schaffen. Pädagogische Fachkräfte können die Lernwerkstattbesuche nutzen, um Bedürfnisse, Interessen sowie den Entwicklungsstand einzelner Kinder noch besser einzuschätzen und im intensiven Kontakt eine bereits bestehende Fachkraft-Kind-Bindung zu stärken.

Fruchtbare Lernprozesse durch altersgemischte Gruppen

Die Motivation der Kinder, sich mit Material zu befassen, an dem auch Gleichaltrige Interesse zeigen, ist höher, was sich häufig auch in einer längeren Explorationsdauer ausdrückt. Kinder verschiedenen Alters profitieren vom gemeinsamen Lernwerkstattbesuch. Durch Beobachten und Nachahmen kompetenterer Kinder können sie neue Herausforderungen eingehen und so besonders fruchtbare Lernprozesse gestalten. Jüngere wie auch ältere Kinder ziehen einen Nutzen aus den Explorationsimpulsen ihrer Peers und lassen sich von ihnen zu neuen Experimenten inspirieren.

Lernwerkstatt fördert Geschlechtergerechtigkeit und den Abbau von Stereotypen

Kinder in den ersten drei Lebensjahren zeigen keine oder kaum genderspezifische Interessen oder Verhaltensweisen, sondern zeigen genderunabhängig sowohl an technisch-naturwissenschaftlichen und mathematischen als auch an kreativen, sozialen und ästhetischen Beschäftigungen großes Interesse. Diese grundsätzliche Offenheit kann in der Lernwerkstatt zur Förderung von Geschlechtergerechtigkeit aufgegriffen werden. Zur Vermeidung von bzw. zum Abbau von Geschlechterstereotypen können geschlechternonkonforme Interessen und Tätigkeiten der Kinder in der Lernwerkstatt aufgegriffen und gefördert werden. Dies setzt eine an den individuellen Interessen der Kinder orientierte pädagogische Begleitung voraus, die Geschlechterstereotype hinterfragt. Die regelmäßige Reflexion der eigenen Einstellungen und Erfahrungen der pädagogischen Fachkräfte ist hierfür Voraussetzung.

Selbst jüngste Kinder profitieren von der Lernwerkstatt

„Die Ergebnisse des Projekts zeigen, dass die Prinzipien der Lernwerkstattpädagogik grundsätzlich auf die Arbeit mit Kindern unter drei Jahren übertragbar sind und vielfältige Chancen zur Förderung von Mädchen und Jungen bieten“, so Schaich. Selbst die jüngsten Kinder der Stichprobe konnten in der Lernwerkstatt forschend lernen und die dabei ablaufenden Prozesse eigenaktiv gestalten. Die Kinder erhalten den Raum, eigenen Interessen nachzugehen und so bedeutsame Lernprozesse, die auf ihrem jeweiligen Entwicklungsstand aufbauen, in Bewegung zu setzen. Die ermöglichten Interaktionen mit Peers und Erwachsenen beflügeln die kindliche Exploration.

Es besteht noch weiterer Forschungsbedarf

„Aufgrund der fehlenden Empirie können keine abschließenden Aussagen über die Auswirkung gelungener Lernwerkstattarbeit auf den weiteren Bildungsweg gemacht werden. Aufgrund der Förderung unterschiedlicher Entwicklungsbereiche ist es durchaus denkbar, dass die Etablierung einer Lernwerkstattpädagogik für Kinder unter drei Jahren den Übergang zum Kindergarten und auch zum späteren formellen Lernen erleichtern kann. Dem zukünftig in der pädagogischen Praxis und Wissenschaft nachzugehen, könnte sich als vielversprechend erweisen“, betont Schaich. Auch bleibe im vorliegenden Projekt offen, wie sich die Begleitung durch männliche pädagogische Fachkräfte möglicherweise auf Gender- und Lernprozesse in der Lernwerkstatt mit unter Dreijährigen auswirken könnte.

„Das Projekt führte die vielfältigen Chancen zur Professionalisierung der Krippenpädagogik und zur Förderung von Jungen und Mädchen vor Augen, die eine Etablierung von Lernwerkstätten in der pädagogischen Arbeit mit Kindern unter drei Jahren bietet. Hier können Kinder – im wahrsten Sinne des Wortes – den „Raum“ bekommen, sich individuell und selbstständig Erfahrungen, Erkenntnisse und ein Bild von der Welt anzueignen. Das Projekt konnte herausarbeiten, dass die hier bestehende Möglichkeit zum eigenständigen Forschen Kindern die Voraussetzung zur Erlangung eines positiven Selbstkonzeptes, zur Erlangung von Kreativität und Problemlösungskompetenz und damit auch die Grundlage eines erfolgreichen Lernens bietet“, erläutert Schaich.

Weiterführende Informationen

Quelle: Frankfurt University of Applied Sciences vom 31.10.2018

Redaktion: Kerstin Boller

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