Kindheitsforschung

Frühkindliche Entwicklung: Wann Kinder lernen, vorausschauend zu handeln

Wann und wie lernen Menschen, ihre Handlungen im Voraus zu planen? Dieser Frage gehen Entwicklungspsychologinnen der Saar-Uni auf den Grund. Sie fanden heraus, dass das Vorschulalter von drei bis fünf Jahren eine entscheidende Phase für die Entwicklung von geplantem Handeln ist.

21.11.2012

Ein weiteres Ergebnis: Bei vertrauten Gegenständen wie Gläsern können Kinder deutlich früher ihre Bewegungen vorausplanen als bei unbekannten Gegenständen. Im Rahmen einer Studie beobachteten die Wissenschaftlerinnen, wie drei- bis achtjährige Kinder Gegenstände umdrehen und erforschten so, ob und ab wann die Kleinen dabei den „richtigen Dreh raushaben“ und den vorausplanenden Griff mit dem so genannten „End-state Comfort Effect“ nutzen.

Ein Glas steht mit der Öffnung nach unten auf dem Tisch. Soll ein Erwachsener es umdrehen, macht er zunächst etwas Seltsames: Er verdreht Hand und Arm auf recht unbequem anmutende Weise, greift so das Glas, dreht es und stellt es richtig herum hin: Jetzt könnte er direkt trinken, denn am Ende ist seine Handstellung bequem und – ebenso wie das Glas – „richtig herum“. Dieses Phänomen, das Psychologen den „End-state Comfort Effect“ nennen, beweist: Es wurde vorausschauend gedacht und die Bewegung im Voraus geplant!

Was so selbstverständlich abläuft, dass kein Gedanke mehr daran verschwendet wird, ist dem Menschen nicht in die Wiege gelegt, sondern wurde irgendwann erlernt. Aber wann und wie? Wann beginnen Kinder, ihre Bewegungen derart zu planen? Hiermit befassen sich Entwicklungspsychologinnen am Lehrstuhl von Professor Gisa Aschersleben an der Saar-Uni. Gemeinsam mit dem Paderborner Sportpsychologen Matthias Weigelt untersuchten Professor Aschersleben und ihre wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Dr. Birgit Knudsen und Dr. Anne Henning den „End-state Comfort Effect“ bei Kindern. Rund 100 Jungen und Mädchen im Alter von drei bis acht Jahren – 16 Kinder in jeder Altersgruppe – drehten hierfür in einem Versuch Gläser um. In einem zweiten Versuchsaufbau steckten sie einen Holz-Stab, der an einer Seite auf eine kleine Platte montiert ist, in einen Holzklotz mit passendem Loch.

„Beim Versuch mit dem Stab steigern sich die Zahlen der Kinder, die den End-state Comfort Effect nutzten, von 13 Prozent der Dreijährigen bis zu 94 Prozent in der Gruppe der Achtjährigen“, erklärt Birgit Knudsen. „Dabei war auffallend, dass sich die Zahl der Kinder, die den Griff nutzten, zwischen drei und vier sowie zwischen vier und fünf Jahren jeweils verdoppelte“, so die Psychologin weiter. Das Vorschulalter ist demnach eine wichtige Phase, wenn es um geplante Bewegung geht, so die Folgerung der Forscherinnen. Im Alter von drei bis fünf Jahren machen die Kinder große Entwicklungsschritte und erwerben das für ein vorausplanendes Tun erforderliche Erfahrungswissen.

Dabei spielt es, so fanden die Entwicklungspsychologinnen außerdem heraus, eine große Rolle, ob ein Gegenstand für die Kinder aus dem täglichen Umgang vertraut ist oder nicht: Denn die Zahlen der kleinen End-State-Comfort-Nutzerinnen und -Nutzer waren bei dem vertrauten Glas bedeutend höher: Beim Versuch mit dem umgedrehten Glas nutzten bereits 63 Prozent der Dreijährigen und 100 Prozent der Achtjährigen den End-state Comfort-Griff.
„Vorausschauendes Planen der Bewegungen erfolgt also bei bekannten Gegenständen, mit denen die Kinder Erfahrungen im Alltag haben, deutlich früher“, erläutert Birgit Knudsen.

Dieses Ergebnis deckt sich mit weiteren aktuellen Forschungsergebnissen von Professor Aschersleben, wonach Vorschulkinder den Gebrauch von ihnen bekannten Werkzeugen genauer und korrekter imitieren, als bei solchen, die sie nicht kennen.

Sonstige Einflussfaktoren, wie Lichteffekte beim richtigen Dreh, die die Forscherinnen in einer Vergleichsgruppe als Anreiz einsetzten, zeigten in der Studie demgegenüber keine Auswirkungen. Die Erkenntnisse der Saarbrücker Entwicklungspsychologinnen sind unter anderem für die kindliche Frühförderung interessant. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscherinnen jetzt im Magazin Frontiers in Cognition: <link http: www.frontiersin.org cognition fpsyg.2012.00445 abstract>www.frontiersin.org/Cognition/10.3389/fpsyg.2012.00445/abstract

Quelle: Universität des Saarlandes vom 20.11.2012

Redaktion: Kerstin Boller

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