Jugendforschung

Europas Jugend ist arbeitslos: Wer sind die NEETs?

Angesichts der Jugendarbeitslosigkeit in Europa suchen Forscher nach neuen Wegen zur Analyse der Verwundbarkeit junger Menschen im Arbeitsmarkt. Der vorliegende Bericht der EU-Agentur Eurofund beleuchtet den bekannten NEET-Indikator, versucht eine Einteilung der Vielfalt der NEETs in sieben Untergruppen und formuliert Schlussfolgerungen für weitere politische Maßnahmen.

09.08.2016

Bereits seit 2010 sind die Jugendarbeitslosigkeit und die Überlegung, wie der Einstieg möglichst vieler europäischer Jugendlichen ins Arbeitsleben wirksam gefördert werden kann, zentrale Anliegen auf der politischen Tagesordnung der EU. Zwar zeichnet sich derzeit eine Verbesserung durch die endlich – wenn auch nur schleppend – ansteigenden Jugendbeschäftigungszahlen ab, aber 2013 waren mehr als 5,5 Millionen junge Europäer im Alter zwischen 15 und 24 Jahren keiner Arbeit nachgegangen – ein historischer Höchststand der Jugenderwerbslosigkeit in der Geschichte der EU.

Seit 2010 fließt das NEET-Phänomen (Jugendliche und junge Erwachsene, die keiner Beschäftigung, Ausbildung oder Fortbildung nachgehen) als wichtiger Input in die jugendpolitischen Maßnahmen der 28 EU-Mitgliedstaaten ein. Seit seinem Entstehen erweist sich das NEET-Konzept als wirkmächtiges Hilfsmittel zur Verbesserung des Verständnisses der Verwundbarkeiten junger Menschen hinsichtlich ihrer Teilhabe am Arbeitsmarkt und sozialen Inklusion. Dank des NEET-Indikators als bestgeeignetem Faktor zur Einschätzung des Ausmaßes der Benachteiligung junger Menschen werden Untergruppen wie junge Mütter und Jugendliche mit Behinderungen – denen in besonderem Maße droht, in die traditionelle Kategorie “inaktiv” eingeordnet und somit ausgegrenzt zu werden – in politischen Debatten mit berücksichtigt. Darüber hinaus hat er dazu beigetragen, politische Zielsetzungen im Jugendbereich neu zu definieren, und ergänzt entscheidend zentrale Überwachungsrahmen in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sphäre der EU.

Obwohl das NEET-Konzept in der politischen Arena rasch Zugkraft gewonnen hat, wird es aufgrund der Heterogenität der erfassten Population zuweilen kritisiert. Als NEETs gelten grundsätzlich junge Menschen, die weder auf dem Arbeitsmarkt noch durch Bildung Humankapital beisteuern; die verschiedenen Gruppen dieser Kategorie kennzeichnen sich jedoch durch höchst unterschiedliche Merkmale und Bedürfnisse – mit erheblichen Konsequenzen für politische Gegenmaßnahmen. Regierungen und Sozialpartner haben sich zwar geeignete Ziele gesetzt, um die NEET-Rate zu senken; ihre Interventionen könnten indes ins Leere laufen, wenn nicht zugleich versucht wird, ein Verständnis für die Untergruppen zu entwickeln und auf ihre jeweiligen Bedürfnisse einzugehen.

Die Analyse stützt sich auf die für jede Untergruppe erhobenen Daten und beschreibt die Zusammensetzung und Merkmale der Europäer mit NEET-Status sowohl in der EU-28 als auch in den einzelnen Mitgliedstaaten. Der Bericht schließt mit einem Überblick über die NEET-Profile in den einzelnen Ländern.

Politischer Kontext

Das NEET-Konzept hat seinen Ursprung in Großbritannien. Der Begriff tauchte erstmals in den 1990er Jahren im Rahmen politischer Diskussionen über die Notwendigkeit auf, junge Menschen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren, die nach dem Schulabschluss keine Beschäftigung aufgenommen hatten, zu reintegrieren. Konkret erwähnt wurden NEETs erstmals in den in Europa geführten politischen Debatten in der europäischen Flaggschiff-Initiative “Youth on the move - Jugend in Bewegung” im Rahmen der EU 2020-Strategie; der Begriff wurde in der Folgezeit auf junge Menschen im Alter zwischen 15 und 24 und später auf die 15- bis 29-jährigen ausgeweitet und ist inzwischen geläufiger terminus technicus im politischen Diskurs der Kommission, des Parlaments und des Rates der Europäischen Union.

Die Reduzierung der NEET-Quote ist eines der erklärten Ziele der “Jugendgarantie” (Youth Guarantee). Die EU 2013-Initiative soll sicherstellen, dass alle jungen Menschen der Altersgruppe 15-24 Jahre ein hochwertiges Angebot einer Arbeitsstelle, einer weiterführenden Ausbildung, eines Ausbildungsplatzes oder eines Praktikums erhalten, und zwar vier Monate nach dem Verlust einer Arbeitsstelle oder dem Abschluss der formalen Ausbildung. Der Begriff NEET ist zudem Schlüsselindikator für die Stärkung der sozialen Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion und wird in dem vom Beschäftigungsausschuss (EMCO) ausgearbeiteten Indikatorrahmen für das Monitoring der Umsetzung der Jugendgarantie verwendet.

Wesentliche Erkenntnisse

Der NEET-Indikator ist zwar kein vollkommenes, aber doch maßgebliches Werkzeug, um das Ausmaß der vielfältigen Anfälligkeit junger Menschen in Bezug auf ihre Teilhabe am Arbeitsmarkt und das Risiko sozialer Exklusion besser nachvollziehen zu können. Anhand von sieben Untergruppen zur Aufteilung der so genannten NEET-Population in Europa lässt sich eine Reihe konkreter Anliegen und Merkmale identifizieren, bei denen mit Augenemaß entwickelte politische Initiativen wirksam ansetzen könnten.

  • Soziodemografische Faktoren: Untersuchungen belegen, dass der Anteil von NEETs mit zunehmendem Alter ebenfalls zunimmt, und dass junge Frauen mit größerer Wahrscheinlichkeit zur NEET-Gruppe gerechnet werden.
  • Bildungsstand: Die größte NEET-Gruppe bilden junge Menschen aus der Sekundarschuloberstufe – die oftmals aus dem politischen Diskurs fallende, so genannte “vernachlässigte Mitte”. Jenseits der absoluten Zahlen hinaus nimmt die Wahrscheinlichkeit, NEET zu werden, mit zunehmendem Bildungsniveau jedoch immer noch ab: das heißt, Bildung ist nachweislich der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit und Ausschluss. Die Länder Südeuropas und die Mittelmeeranrainerstaaten verzeichnen jedoch infolge der Krise hohe Raten gut ausgebildeter NEET.
  • Registrierung bei der Arbeitsverwaltung: Während über die Hälfte der NEET keine Beschäftigung finden und rund 70 % von ihnen den Wunsch haben, zu arbeiten, sind gerade einmal 57 % von ihnen bei der Arbeitsverwaltung als arbeitssuchend gemeldet – was eine Grundvoraussetzung für die Förderung im Rahmen der Jugendgarantie wäre.
  • Zusammensetzung der NEETs: Die kurz- und langzeiterwerbslosen jungen Menschen machen geringfügig mehr als die Hälfte der NEET-Population (29,8 % bzw. 22 %) aus. Nahezu 8 % der NEETs befinden sich zum wiederholten Mal (re-entrants) und 15,4 % aufgrund ihrer familiären Pflichten in einem NEET-Status, und 6,8 % sind infolge einer Erkrankung oder Behinderung NEETs geworden. Knapp unter 6 % sind “entmutigte” junge Menschen. Für die verbleibenden 12,5 % NEET-Jugendlichen konnten keine Ursachen ausgemacht werden.
  • Unterschiede zwischen den Länderclustern: hinsichtlich Umfang und Zusammensetzung der NEET-Population bestehen zwischen den Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede. In den nordischen, westlichen und kontinentalen Ländern sind die größten Gruppen in der Regel kurzfristig erwerbslos, wogegen in einigen südlichen Ländern und den Mittelmeeeranrainerstaaten die Anteile langzeiterwerbsloser und entmutigter Jugendlicher größer sind. In den osteuropäischen Ländern bilden junge Frauen aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen die Mehrheit der NEETs.

Schlussfolgerungen für Politikmaßnahmen

  • Vorteile des “NEET”-Konzepts: Das NEET-Konzept ist ein wirkmächtiges Instrument, um die öffentliche Meinung und das Augenmerk politischer Entscheidungsträger auf die Probleme junger Menschen – insbesondere auf die Verwundbarkeitsmuster innerhalb dieser Gruppe – zu fokussieren. Dank dieses Konzepts haben bestimmte Untergruppen wie junge Mütter und Jugendliche mit Behinderungen Eingang in politische Debatten gefunden.
  • Aufteilung der NEET-Population: Um der durch den NEET-Indikator ausgemachten Heterogenität Rechnung zu tragen, sollten Regierungen und Sozialpartner ihre politischen Maßnahmen zielführender gestalten, indem sie verstärkt auf die unterschiedlichen Merkmale und Bedürfnisse der einzelnen Untergruppen der NEET-Population eingehen.
  • Teilhabe junger Frauen am Arbeitsmarkt: Die Daten der EU-Arbeitskräfteerhebung lassen offen, ob junge Menschen freiwillig oder unfreiwillig NEETs werden; das Risiko, aufgrund ihrer Mutterpflichten von einem NEET-Status betroffen zu werden, trifft allerdings fast ausschließlich junge Frauen. Diese Feststellung spricht eindeutig für die Notwendigkeit verstärkter politischer Rückendeckung für Initiativen, die sich für den Einstieg junger Frauen ins Berufsleben engagieren.

Eurofound ist eine dreigliedrige Agentur der Europäischen Union, die Wissen zur Verfügung stellt, um die Gestaltung der Sozial- und Arbeitspolitik zu unterstützen.

Der Bericht Exploring the diversity of NEETs ist online abrufbar.

Quelle: JUGEND für Europa, Übersetzung: Petra Waldraff, Kassel

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