Familienforschung
Soziale Ungleichheit unter berufstätigen Müttern gewachsen
Mütter mit einem höheren Bildungsgrad steigen nach der Geburt schneller wieder in den Beruf ein und nutzen eher Angebote zur Kinderbetreuung: Dieser bereits bekannte bildungsbedingte Unterschied zwischen Frauen mit niedriger und höherer Bildung hat sich in den vergangenen 20 Jahren deutlich vergrößert, wie eine Studie zeigt, die Soziologinnen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und der Universität Tübingen durchgeführt haben.
12.09.2018
Die Wissenschaftlerinnen der Universität Tübingen untersuchten, wie Mütter mit unterschiedlichem Bildungshintergrund Angebote wahrnahmen, die eine frühe Rückkehr in den Beruf fördern und Zugang zu staatlich geförderter Kinderbetreuung erleichtern. Die Studienergebnisse ermöglichen ein besseres Verständnis dafür, wie Bildungsunterschiede mit Entwicklungen in der Familienpolitik und Veränderungen in der Arbeits- und Betreuungskultur zusammenwirken.
Studie untersucht Entwicklung von 1997 bis 2013
In der Studie werteten die Wissenschaftlerinnen Daten aus dem Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) von 6.282 Müttern und rund 8.600 Kindern aus, aus dem Zeitraum von 1997 bis 2013. Die Wissenschaftlerinnen untersuchten, ob Mütter erwerbstätig waren, ob sie Kindertageseinrichtungen (Kitas) oder informelle Betreuungsmöglichkeiten wie z.B. durch Großeltern oder Freunde nutzten, sowie jegliche Kombinationen aus beidem. Der Bildungsstand der Mütter wurde nach drei Gruppen unterschieden: hohe Bildung (Universitäts- oder Fachhochschulabschluss), mittlere Bildung (Berufsausbildung) sowie niedrige Bildung (keine Berufsausbildung). Des Weiteren verglichen die Soziologinnen Ost- und Westdeutschland, die historisch bedingt durch sehr unterschiedliche kulturelle Ideale geprägt sind, was die Berufstätigkeit von Müttern und formale Kinderbetreuung betrifft.
Bildungsgrad beeinflusst zunehmend, wie schnell Mütter in den Beruf zurückkehren
Das Ergebnis: Die Berufstätigkeit von Müttern mit niedrigem Bildungsstand blieb über den gesamten Zeitraum in Westdeutschland relativ stabil bei ca. 20 Prozent, während sie in Ostdeutschland zwischenzeitlich leicht sank. Vor allem in Westdeutschland nutzte diese Gruppe im untersuchten Zeitraum aber vermehrt formale Kinderbetreuungsangebote mit einem Anstieg des Anteils von zwei auf 16 Prozent. Gleichzeitig sank die informelle Betreuung, vor allem durch Großeltern, von 39 auf 18 Prozent. Bei Müttern mit mittlerer oder hoher Bildung war der Zuwachs in der Kitanutzung noch markanter, in den alten Bundesländern stieg der Anteil der Mütter, die eine Kita in Anspruch nahmen, bei mittlerer Bildung von sechs auf 21 Prozent und bei hoher Bildung von 14 auf 36 Prozent.
Im Osten Unterschied zwischen niedrig- und hochgebildeten Müttern drastisch gestiegen
Besonders im Zeitraum nach 2007 machten sich die Bildungsunterschiede im Verhalten bemerkbar. Im Osten Deutschlands, wo zu Erhebungsbeginn (1997) kaum Unterschiede zwischen den drei Gruppen existierten, zeichnet sich dies drastischer ab als im Westen: Hier machte der Unterschied zwischen niedrig- und hochgebildeten Müttern, die sich für ihren Beruf entschieden, anfangs nur 3 Prozent aus, bis zum Ende der Erhebung waren es 30 Prozent. In Westdeutschland vergrößerte sich der Abstand zwischen diesen Gruppen von 13 auf 25 Prozent.
Mütter mit niedriger Bildung seien bei dieser Entwicklung dem Risiko ausgesetzt, dauerhaft in wirtschaftlicher Unsicherheit zu leben und gesellschaftlich ausgegrenzt zu werden, warnen die Wissenschaftlerinnen. Auffallend an den Ergebnissen sei zudem die Annäherung von neuen und alten Bundesländern: In der ehemaligen DDR wurden Bildungsunterschiede im Hinblick auf die Berufstätigkeit von Müttern erst im Lauf der 2000er Jahre sichtbar.
Ursache könnte die Entwicklung des Arbeitsmarktes sein: „Schlechtere Berufsaussichten für Mütter mit niedriger Bildung könnten sie davon abgehalten haben, auf Anreize aus der Familienpolitik zu reagieren und nach der Geburt schnell wieder in den Beruf einzusteigen“, sagt Pia Schober, Professorin für Soziologie an der Universität Tübingen. „Unterschiedliche Arbeitsmarktchancen wären für ostdeutsche Mütter somit nach der Wiedervereinigung bedeutender für die Gestaltung von Berufstätigkeit und Kinderbetreuung geworden als zuvor dominante kulturelle Normen.“
Neue deutschlandweite Klassenunterschiede?
Nach Ansicht der Autorinnen könnten die Befunde auf neue, deutschlandweite Klassenunterschiede hindeuten. „Es bleibt abzuwarten, ob diese langfristig eine größere Bedeutung einnehmen als derzeit weiterhin bestehende Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen im Berufsleben oder unterschiedliche Einstellungen in alten und neuen Bundesländern zur Betreuung in Kitas“, fasst Pia Schober zusammen.
Originalpublikation: Stahl, J. F., & Schober, P. S. (2017). Convergence or divergence? Educational discrepancies in work-care arrangements of mothers with young children in Germany. Work, Employment & Society, published online April 7, 2017.
Kontakt
Prof. Dr. Pia Schober
Universität Tübingen
Institut für Soziologie
Telefon: +49 7071 29-73462
E-Mail: pia.schober@uni-tuebingen.de
Quelle: Eberhard Karls Universität Tübingen vom 10.09.2018
Termine zum Thema
-
19.03.2024
Seelische Gesundheit von Kindern - Webseminar in Englisch für Eltern
-
25.04.2024
Gemeinsam Zukunft gestalten: Fachkräfte in Bildung und Betreuung stärken mit PECE
-
29.04.2024
Gesundes Aufwachsen in einer digitalen Welt - die Verantwortung von Eltern und Fachkräften im Blick
-
13.06.2024
COPE-Jahreskonferenz
-
12.09.2024
Kinder stärken! Resilienz im Kita-Alltag fördern
Materialien zum Thema
-
Broschüre
Selbstorganisation von Eltern in der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe fördern und ermöglichen - Anforderungen und Bedarfe von Eltern in der stationären Kinder- und Jugendhilfe - Abschlussbericht
-
Zeitschrift / Periodikum
Schuldistanz - die Rolle der Jugendsozialarbeit
-
Webangebot / -portal
PECE - Positive Erziehung, chancenreiche Entwicklung
-
Stellungnahme / Diskussionspapier
Jugendsozialarbeit stärken – Ausbildung garantieren! Stellungnahme der BAG ÖRT zur Ausbildungsgarantie im Rahmen des Weiterbildungsgesetzes
-
Zeitschrift / Periodikum
Außerschulische Bildung Nr. 2/2023: „Soziale Ungleichheit in Deutschland“
Projekte zum Thema
-
Perspektive gGmbH Institut für sozialpädagogische Praxisforschung und -entwicklung
Inobhutnahme – Perspektiven: Impulse!
-
Schulen
Bewegungs-Pass an Grundschulen
-
Agentur für Soziale Perspektiven e.V.
Queere-Jugend-Berlin.de
-
AWO Kreisverband Pinneberg e.V. Jugendwerk Unterelbe
Ferienfreizeiten und Sprachreisen mit dem AWO Jugendwerk Unterelbe
-
Informationsstelle Bildungsauftrag Nord-Süd
Bildungsauftrag Nord-Süd – Rundbrief 111