Familienforschung

Macht das erste Kind unglücklich, kommen seltener Geschwister

Elterliche Glücks-Einbußen nach der ersten Geburt helfen zu erklären, warum viele ihren Wunsch nach zwei Kindern nicht umsetzen. Das Max-Planck-Institut für Demografische Forschung stellt Ergebnisse einer Studie über den Zusammenhang von Zufriedenheit und Zweitgeburten vor.

14.08.2015

Je unzufriedener Eltern mit ihrem Leben unmittelbar nach der Geburt des ersten Kindes werden, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie noch ein zweites Kind bekommen. Dies belegt eine Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock nun erstmals für Deutschland. Der Effekt ist besonders stark für ältere und gebildetere Mütter und Väter. 

Die Analyse rührt an einem Tabu: Dass Eltern durch die Geburt ihres ersten Kindes zumindest zunächst unglücklicher werden, wird öffentlich selten thematisiert. Dabei zeigt sich nun, dass die Zufriedenheit im Jahr nach der ersten Geburt sogar stärker fällt als etwa durch Arbeitslosigkeit, Scheidung oder den Tod des Partners.

Das berichtet Mikko Myrskylä, Demograf und neuer Direktor des MPIDR, zusammen mit Rachel Margolis vom Institut für Soziologie an der University of Western Ontario jetzt im Wissenschaftsjournal "Demography".

"Die Erfahrung der Eltern während und nach der ersten Geburt bestimmen mit, wie groß die Familie am Ende wird", sagt Mikko Myrskylä. "Politiker, die sich Sorgen um niedrige Geburtenraten machen, sollten darauf achten, dass es den jungen Eltern schon beim ersten Kind gut geht – und zwar rund um die Geburt und danach.“

Kinder bringen anfangs nicht nur Glück

Um untersuchen zu können, wie das erste Kind das Lebensgefühl der Eltern beeinträchtigt, nutzen die Forscher deren Selbsteinschätzung aus der Langzeitstudie "Sozio-oekonomisches Panel" (SOEP). Jedes Jahr bewerteten die etwa 20.000 Teilnehmer der Erhebung ihre Lebenszufriedenheit auf einer Skala von null bis zehn (maximal zufrieden). 

Im Durchschnitt gaben Mütter und Väter an, im ersten Jahr ihrer Elternschaft weniger glücklich (1,4 Einheiten) zu sein als während der zwei Jahre davor. Nur knapp 30 Prozent der Studienteilnehmer beschrieben gar keinen Verlust an Zufriedenheit. Über ein Drittel empfindet sogar ein Minus von zwei oder mehr Glücks-Einheiten. Das ist vergleichsweise viel: Durch Arbeitslosigkeit oder den Tod des Partners geht die Zufriedenheit gemäß internationalen Studien im Mittel nur um etwa eine Einheit auf derselben Glücks-Skala zurück, durch Scheidung sogar nur um 0,6 Einheiten.

Die Berechnungen von Myrskylä und Margolis zeigen, die Erfahrungen mit dem ersten Kind beeinflussen die Chancen auf ein zweites: Unter hundert Eltern, die ein Minus von drei oder mehr Glücks-Einheiten beschrieben, bekamen nur 58 innerhalb eines Jahrzehnts ein zweites Kind. Empfanden die Eltern nach Geburt des ersten Kindes dagegen keine Beeinträchtigung, gab es bei 66 von hundert Müttern und Vätern Geschwister. Der Anteil von Familien mit vier oder mehr Mitgliedern war also ohne Zufriedenheits-Verlust um fast 14 Prozent größer. Die Einflüsse von Einkommen, Ehestatus oder Geburtsort wurden aus diesen Ergebnissen bereits herausgerechnet. 

Besonders stark lassen sich Frauen und Männer bei der Entscheidung für weitere Kinder von ihrer Zufriedenheit beeinflussen, wenn sie mit 30 Jahren oder später Eltern wurden, und wenn sie mindestens zwölf Jahre Ausbildung hinter sich hatten. Das Geschlecht spielt dagegen keine Rolle, wie die statistische Analyse zeigt. "Beide Eltern haben gelernt, was es heißt, ein Kind zu haben", sagt Mikko Myrskylä. "Die älteren und gebildeteren könnten besonders gut in der Lage zu sein, ihre Familienplanung im Fall schlechter Erfahrungen noch zu ändern."

Am Ende doch nur ein Kind

Was konkret die Zufriedenheit der meisten frischgebackenen Eltern sinken lässt, untersucht die Studie von Myrskylä und Margolis nicht. "Generell beklagen junge Eltern zunächst häufig Schlafmangel, Schwierigkeiten in der Partnerschaft und den Verlust von Freiheit und Kontrolle über ihr Leben", sagt Mikko Myrskylä. Dabei spiele auch die weiterhin schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine Rolle. Ebenfalls wichtig könnten Erfahrungen direkt bei der Entbindung sein, etwa eine sehr lange und besonders schmerzvolle Geburt.

Die unmittelbaren Glücks-Einbußen im ersten Elternjahr müssen allerdings relativiert werden. Denn bis direkt vor der Geburt steigt die Vorfreude, und damit die angegebene Zufriedenheit, deutlich über das langjährige Niveau an. "Trotz der Unzufriedenheit nach dem ersten Kind wirken sich bis zu zwei Kinder insgesamt und langfristig eher positiv auf das Lebensglück aus", sagt Myrskylä.

Die Forschungsergebnisse helfen, einen inzwischen schon lange andauernden Widerspruch zu erklären: Immer noch wünschen sich die meisten Deutschen zwei Kinder. Tatsächlich liegt die Zahl der Geburten pro Frau aber seit 40 Jahren unter 1,5. Während als Ursache häufig der steigende Anteil von Kinderlosen diskutiert wird, wird vernachlässigt, dass immer häufiger zwar ein erstes Kind kommt – dann aber nicht mehr das ursprünglich gewollte zweite: Lag der Anteil an Einkindfamilien noch bei 25 Prozent für Mütter, die Ende der 1930er-Jahre geboren wurden, hat er für die jetzt etwa 45-jährigen Mütter der späten 1960er-Jahrgänge schon 32 Prozent erreicht. Zum Vergleich: In England und Wales liegt der Anteil für die späten 1960er-Jahrgänge nur bei 21 Prozent. 

Daten über ein Tabuthema

Forschung zum elterlichen Kinderglück ist bisher selten, da die meisten Eltern negative Gefühle im Zusammenleben mit ihrem Kind nicht zugeben würden. Darum werteten die Forscher aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) Antworten der Eltern auf eine Frage nach der allgemeinen Lebenszufriedenheit aus, die ganz ohne Zusammenhang zu den Kindern gestellt wird. Die Verbindung zur ersten Geburt entsteht erst im Zeitvergleich der Antworten. Denn das SOEP erfasst für dieselben Personen nicht nur die Glücksfrage jedes Jahr wieder, sondern auch wichtige Veränderungen im Leben, wie etwa die Geburt von Kindern.

Über das MPIDR

Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock untersucht die Struktur und Dynamik von Populationen: von politikrelevanten Themen des demografischen Wandels wie Alterung, Geburtenverhalten oder der Verteilung der Arbeitszeit über den Lebenslauf bis hin zu evolutionsbiologischen und medizinischen Aspekten der Alterung. Das MPIDR ist eine der größten demografischen Forschungseinrichtungen in Europa und zählt zu den internationalen Spitzeninstituten in dieser Disziplin. Es gehört zur Max-Planck-Gesellschaft, einer der weltweit renommiertesten Forschungsgemeinschaften.

Original-Veröffentlichung:

Rachel Margolis, Mikko Myrskylä: Parental Well-being Surrounding First Birth as a Determinant of Further Parity Progression, in: Demography 52, 1147 - 1166

Quelle: Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Demografische Forschung vom 05.08.2015

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