9. Familienbericht

Familien krisenfest machen

„Eltern sein in Deutschland“, das ist der Titel des Neunten Familienberichts. Die Kommission unter dem Vorsitz von DJI-Forschungsdirektorin Sabine Walper empfiehlt unter anderem, Familien wirtschaftlich zu stabilisieren und bei ihren gestiegenen Anforderungen zu entlasten.

11.03.2021

Die wirtschaftliche Stabilität von Familien zu sichern, steht angesichts der Corona-Pandemie an erster Stelle der Empfehlungen des Neunten Familienberichts mit dem Titel „Eltern sein in Deutschland“. Er wurde von einer unabhängigen Sachverständigenkommission unter dem Vorsitz von DJI-Forschungsdirektorin Prof. Dr. Sabine Walper verfasst und am 03. März 2021 im Kabinett beschlossen. Neben monetären Leistungen wie etwa einer eigenständigen Kinderabsicherung fordern die sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Kommission insbesondere, die Förderung der substanziellen Beteiligung beider Elternteile am Erwerbsleben. „Die beste Absicherung gegenüber einem Armutsrisiko sind zwei erwerbstätige Eltern, die gemeinsam zum Familieneinkommen beitragen“, sagt Kommissionsvorsitzende und Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut (DJI), Prof. Dr. Sabine Walper. Die Corona-Krise habe gezeigt, wie schnell ein Elternteil unerwartet den Job beziehungsweise Aufträge verlieren könne oder von Kurzarbeit betroffen sei.

Die meisten Väter arbeiten in Vollzeit weiter, während Mütter in Teilzeit gehen

Für den Neunten Familienbericht haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen die soziale, ökonomische sowie rechtliche Situation von Familien in Deutschland untersucht. Demnach praktizieren insbesondere in Westdeutschland immer noch viele Eltern das sogenannte modernisierte Ernährermodell mit Vätern, die nach der Familiengründung in Vollzeit – oft mit Überstunden – weiterarbeiten und Müttern, die in stark reduzierte Teilzeit gehen. Das hat nicht nur negative Konsequenzen für die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Frauen, sondern auch zur Folge, dass viele getrennte und geschiedene Mütter von Armut betroffen und auf Transferbezug angewiesen sind, heißt es in dem Bericht. Dabei entspricht diese Arbeitsaufteilung nicht immer den elterlichen Präferenzen: Väter wünschen sich häufig, ihre Arbeitszeit zu reduzieren während Mütter gerne ihren Erwerbsumfang ausweiten würden. Ökonomische Zwänge und Anreize stehen dem jedoch oft strukturell entgegen.

Einkommenssicherung und Sorgearbeit gleichmäßiger auf Mütter und Väter verteilen

Vor diesem Hintergrund empfehlen die Sachverständigen, Anreize für eine geringfügige Erwerbstätigkeit von Müttern zu mindern und aus dem Ehegattensplitting auszusteigen, indem zunächst die Steuerklassen drei und fünf abgeschafft werden. Vergünstigungen für die sogenannten Minijobs sollen zurückgefahren werden. Als Anreiz für eine egalitäre Arbeitsteilung setzt die Kommission auf eine Reform des Elterngelds: „Aus Studien wissen wir, dass die frühe Familienphase die Weichen stellt für die spätere Erwerbsbeteiligung von Müttern und die Beteiligung der Väter an der Sorgearbeit“, erklärt Kommissionsvorsitzende Walper und ergänzt: „Damit Väter sich für eine längere Elternzeit entscheiden, muss die Höhe der Einkommensersatzleistung und die Zahl individuell gewährter Elternzeitmonate steigen“. Deshalb fordert die Familienberichtskommission drei exklusive individuelle Elterngeldmonate mit einem höheren Einkommensersatz von 80 Prozent für jeden Elternteil und acht frei aufteilbare Monate, in denen sich der Einkommensersatz pro Elternteil im Zeitverlauf verringert.

Kindertagesbetreuung und Ganztagsangebote für Grundschulkinder weiter ausbauen

Damit Müttern und Vätern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie besser gelingt, empfiehlt die Kommission neben erweiterten Möglichkeiten zum Home-Office – auch über die Pandemie hinaus – den Ausbau ganztägiger, qualitativ hochwertiger Bildungsangebote für Kinder vom Krippenalter bis zum Ende der Grundschulzeit weiter voranzutreiben. Außerdem unterstreichen die Sachverständigen, wie wichtig ein Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ist – sowohl für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie als auch für gerechtere Bildungschancen der Kinder. Sie empfehlen den Ausbau Teilzeit gebundener Ganztagsschulen, die eine verbindliche Nutzung an drei Tagen pro Woche vorsehen.

Eltern entlasten und gerechte Bildungschancen bei Kindern fördern

Einen Fokus legt der Familienbericht auch auf eine angemessene Förderung der Kinder und gerechte Bildungschancen unabhängig von ihrer Herkunft. Denn in der Corona-Pandemie verschärfen sich soziale Ungleichheiten, nicht zuletzt, weil Bildungsaufgaben – während der Schul- und Kita-Schließungen und auch noch bei der schrittweisen Öffnung – in die Familie verlagert wurden. Ohnehin ist Elternschaft laut dem Bericht anspruchsvoller geworden und hat eine Intensivierung erfahren, die sich schon darin zeigt, dass Väter wie auch Mütter mehr Zeit in die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder investieren. Damit besteht jedoch die Gefahr, dass sich soziale Ungleichheiten zusätzlich verschärfen. Denn obwohl sich vor allem Eltern aus niedrigen Einkommensgruppen und Migrantenfamilien Aufstiegschancen für ihre Kinder erhoffen, erleben sie häufiger, dass sie ihr Kind zu Hause nicht ausreichend fördern können. Entsprechend plädiert die Kommission dafür, Unterstützungsangebote für Familien im gesamten Bildungsverlauf der Kinder zu etablieren, beispielsweise über Familienzentren an Schulen. Außerdem sollen multiprofessionelle Teams an Schulen mit Sozialarbeiterinnen und -arbeitern sowie Gesundheitsfachkräften die Vermittlung insbesondere gesundheitsbezogener, digitaler, sozialer und persönlicher Kompetenzen der Kinder fördern. Darüber hinaus empfiehlt die Kommission, Erziehungs- und Bildungspartnerschaften durch einen intensiveren Austausch zwischen Lehrkräften und Eltern zu stärken, und schlägt dafür eine einstündige Reduktion der wöchendtlichen Lehrverpflichtung vor.

Rechtliche Anpassungen für neue Familienformen

Schließlich werden im Familienbericht eine Reihe von rechtlichen Anpassungen gefordert, die der Realität neuer Familienformen besser gerecht werden. So wird beispielsweise mittlerweile jedes dritte Kind in eine nichteheliche Lebensgemeinschaft geboren. „Wir schlagen vor, dass unverheiratete Paare, die bei der Geburt des Kindes zusammenleben, automatisch das gemeinsame Sorgerecht erhalten. Auch darüber hinaus sollen rechtliche Regelungen geschaffen werden, die Kinder unverheirateter Eltern im Fall einer Trennung wie die Kinder von verheirateten Paaren rechtlich absichern“, sagt Walper.

Auch Elternteile, die nicht die biologischen Eltern des Kindes sind, aber im Alltag Verantwortung übernehmen und häufig auch substanziell zur Finanzierung beitragen, sollen rechtlich besser anerkannt werden. Dies betrifft etwa Stief-, Patchwork- und Pflegefamilien sowie Regebogenfamilien, in denen sich gleichgeschlechtliche Paare dazu entscheiden, gemeinsam ein Kind zu bekommen. „Für diese immer häufiger vorkommenden Familienkonstellationen regen wir an, ein echtes Sorgerecht für mehr als zwei sorgende Elternteile zu ermöglichen“, sagt Walper.

Zum Hintergrund

Mit der Erstellung des 9. Familienberichts beauftragte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey im Juli 2018 eine aus sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bestehende Kommission. Unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Sabine Walper untersuchte das Gremium die veränderten Lebensrealitäten von Eltern und Kindern und erarbeitete Empfehlungen an die Politik. Bei der redaktionellen Erstellung des Berichts sowie bei der Auswertung von Daten unterstützte die Geschäftsführung am Deutschen Jugendinstitut (DJI). Der aktuelle Bericht mit dem Titel „Eltern sein in Deutschland“ wurde im August 2020 der Regierung vorgelegt. Zusammen mit einem Gutachten der Bundesregierung wurde der Neunte Familienbericht am 3. März 2021 im Kabinett verabschiedet. In jeder zweiten Legislaturperiode legt die Bundesregierung im Auftrag des Deutschen Bundestags einen Bericht über die Lage der Familien vor.

Den Neunten Familienbericht gibt es in ausführlicher Fassung (PDF: 7,1 MB) und als Kurzfassung zum Download. Weitere Informationen zum Bericht gibt es außerdem auf der Website des Familienministeriums.

Quelle: Deutsches Jugendinstitut (DJI) vom 03.03.2021

Redaktion: Silja Indolfo

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