Co-Parenting

Familie gründen ohne Liebesbeziehung

Anhand von Interviews, Literatur und anderem empirischem Material hat sich die kultur- und strukturtheoretischen Studie „Co-Parenting und die Zukunft der Liebe“ mit dem Thema auseinandergesetzt. Zentrale Erkenntnis war dabei: Co-Parenting kann einige Fallstricke des romantischen Liebesideals überwinden, führt aber nicht notwendigerweise zu einem Ende von Ungleichheiten.

25.01.2021

Zwei oder mehr Menschen gründen eine Familie, aber sind sich nicht in höchstpersönlicher Liebe verbunden. Dies wird als Co-Parenting bezeichnet und gewinnt seit einiger Zeit an Attraktivität. Co-Parenting kann einige Fallstricke des romantischen Liebesideals überwinden, führt aber nicht notwendigerweise zu einem Ende von Ungleichheiten. Dies ist das Ergebnis der kultur- und strukturtheoretischen Studie „Co-Parenting und die Zukunft der Liebe“ anhand von Interviews, Literatur und anderem empirischem Material. Das von April 2019 bis März 2020 laufende Projekt wurde von der Volkswagen-Stiftung gefördert und die Publikation vom Open Access Fonds der Humboldt-Universität zu Berlin unterstützt.

Ende der romantischen Liebe als Ende der Familie oder Befreiung?

Es gibt verschiedene Formen des Co-Parenting. So können zwei oder mehr Menschen gemeinsam eine Queer Family gründen. Oder Menschen, die keine dauerhafte Liebes-Paarbeziehung (mehr) eingehen wollen oder deren Partner/-in keine Kinder haben möchte, bekommen gemeinsam Kinder.

Kulturpessimistische Stimmen fürchten eine familiale Dystopie durch Co-Elternschaft. Die Elternform stellt das auf romantischer Liebe beruhende Modell der bürgerlichen Normalfamilie in Frage, das in der BRD insbesondere von den 1950er bis 1970er Jahren vorherrschte.

Genau hier setzt eine zentrale feministische Kritik an: Ist die romantische Liebe nicht nur ein schönes, aber unerfüllbares Ideal und eine machtvolle Erfindung des Bürgertums seit dem 18. Jahrhundert? Gerade für Frauen bedeutet/e romantische Liebe, institutionalisiert im Ernährermodell, oft wirtschaftliche Abhängigkeit und Ungleichheiten. Frauen wird hiernach die unbezahlte Fürsorgearbeit zugewiesen – verschleiert durch das zum Herrschaftsinstrument geratene romantische Liebesideal. Schließlich gehört zum romantischen Liebeskomplex auch die Butler’sche „heterosexuelle Matrix“: Lebensformen jenseits der Hetero-Zweierbeziehung werden demnach abgewertet und ausgeschlossen.

Kinderwunsch und Kindeswohl im Co-Parenting

Fragt man nach den Beweggründen und Hoffnungen der Co-Eltern vor der Familiengründung, wird ein starker Kinderwunsch deutlich. Familie ist mit großen Glücksversprechen verbunden, die Eltern planen die Familiengründung genau und möchten sich die Verantwortung teilen.

Hinsichtlich der Versprechen erlaubt es Co-Parenting mehr Menschen, eine Familie zu gründen. Es ermöglicht zudem Familienglück jenseits des Liebespaares und ohne Abhängigkeit von einem „Ernährer-Ehemann“. Weiter kann die Beziehung zwischen den Eltern ohne romantische Ansprüche emotional entlastet werden und birgt weniger Konfliktpotential. Sehr auffällig ist, dass sich in den Familien alles um das Kindeswohl dreht und alle ihre große Liebe zum Kind betonen. Nicht zuletzt ergeben sich in Mehrelternfamilien Vorteile durch „Bonuseltern“ und „Bonusgroßeltern“.

Geschlechterungleichheiten und Abhängigkeiten auch bei Co-Parenting

Eine Herausforderung beim Co-Parenting sind die fehlenden Rollenvorbilder und Routinen. Vieles muss – auch mühsam – ausgehandelt werden. Besonders augenfällig sind weiter bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Auch bei Co-Elternschaft wird die Sorgearbeit oft von Frauen erledigt. Auch finden sich Benachteiligungen und Diskriminierungen, besonders in Mehrelternfamilien – denn rechtlich sind in Deutschland nur zwei Personen als Eltern möglich.

Neben Co-Parenting und romantischer Liebe nennt die Studie mögliche Alternativen und Szenarien zur Zukunft der Liebe: den Verzicht auf Kinder, konsensuell nichtmonogame Beziehungen, das Matriarchat oder Wahlverwandtschaften, Sorgegemeinschaften und freundschaftszentrierte Lebensweisen – und ein umfassendes Konzept von Liebe.

Quelle: Humboldt-Universität zu Berlin vom 21.01.2021

Redaktion: Kerstin Boller

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