Familienforschung

DJI Online Thema 2009/12: Doing Family - den Alltag von Familien ernst nehmen

DJI Online widmet sich im Schwerpunktthema des Monats Dezember dem Familienalltag aus wissenschaftlicher Sicht mit zentralen Thesen, einschlägigen Forschungsprojekten und -ergebnissen sowie Publikationen des Deutschen Jugendinstituts.

03.12.2009

Der aktuelle Diskurs um ein Betreuungsgeld für Familien, die ihre Kinder zu Hause aufziehen, ist auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Verständigungs- und Orientierungsbedarfs. Veränderte Arbeitswelten, ein aktivierender Sozialstaat, beschleunigte Informations-, Kommunikations- und Transporttechnologien sowie veränderte Geschlechterverhältnisse haben bestehende Gesellschaftsbezüge aufgebrochen. Aufgrund dieser veränderten Rahmenbedingungen stellen sich für Familien, aber auch für Akteure aus Wirtschaft und Politik, neue Herausforderungen an die Gestaltung des Familienalltags.

Auf der zweitägigen wissenschaftlichen Fachtagung „Doing Family. Familienalltag heute“ des DJI in Berlin diskutierten WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen und ExpertInnen aus der Fachpraxis auf Basis empirischer Befunde, welche Unterstützung Familien brauchen, um heutzutage einen funktionierenden Alltag „herstellen“ zu können. dabei muss der real gelebte Alltag von Familien in seinen vielfältigen Formen in den Blick genommen werden.

„Familie ist und bleibt vorerst das einzige Interaktionssystem, in dem es der Gattung Mensch einigermaßen erfolgreich gelungen ist, die vielschichtigen Prozesse des gemeinschaftlichen Zusammenlebens, der Paarbildung und Fortpflanzung, der sozialen, emotionalen und materiellen Selbstversorgung, der sozialen Sicherheit, Verlässlichkeit und der basalen Solidarität, der wechselseitigen Anteilnahme und Unterstützung, der Anerkennung sowie der emotionalen Zuwendung in ein und demselben Beziehungsgefüge zu bewältigen“, so DJI-Direktor Prof. Dr. Thomas Rauschenbach.

Druck auf Familien wächst

Nichtsdestotrotz sind Auflösungserscheinungen und Erosionsschäden am Idealbild der Familie unverkennbar. Die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen öffentlich proklamierter und real gelebter Familie wird eher größer als kleiner. Nach Ergebnissen der DJI-Forschung liegt dies im Wesentlichen begründet

  • erstens in der Erosion der strukturellen Grenzziehungen zwischen Beruf und Familie und damit auch der traditionellen Geschlechterrollen von Frauen und Männern,
  • zweitens in den gestiegenen Ansprüchen an Familien (z.B. als wichtige Orte der Bildung)
  • und nicht zuletzt in den schwindenden Ressourcen, die aufgrund wachsender sozialer Ungleichheiten zu unterschiedlichen Ausstattungen mit Kompetenzen im Umgang mit den neuen Herausforderungen für Familien führen.

Zusammengenommen führen diese Faktoren zu einer strukturellen Überforderung von Familie. „Was alle Eltern über die sozialen Milieus hinweg eint“, warnt auch Christine Henry-Huthmacher (Konrad Adenauer Stiftung) in ihrem DJI-Gastbeitrag, „ist der steigende Druck im Familienalltag. Eltern sehen sich heute vielfältigem Druck hinsichtlich Zeit, Organisation, Leistung im Beruf, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und dem Erfolg der Kinder in der Schule ausgesetzt. Auch Erziehung erfolgt heute nicht mehr ohne einen großen Reflexionsaufwand, Partnerschaft unterliegt hohen Erwartungen - all dies trägt zur steigernden Verunsicherung von Eltern bei“.

Lösungsmöglichkeiten gesucht

Dr. Karin Jurczyk, Leiterin der Abteilung Familie und Familienpolitik am DJI, betont in diesem Zusammenhang im Interview mit DJI Online die ein wenig aus der Mode gekommene, aber immer noch zentrale Thematik der Geschlechtergerechtigkeit. „Unser Wohlfahrtsstaat baut nach wie vor auf einem traditionellen Geschlechterverhältnis, d.h. der Fürsorglichkeit von Müttern auf“. Insofern seien die teilweisen „Auslagerungen“ von Sorgeleistungen in andere gesellschaftliche Bereiche auch ein Ausdruck ungelöster Probleme in den Geschlechterverhältnissen und daher „Flickwerk“, weil sie keinem neuen Gesamtkonzept des Zusammenhangs von Geschlechtergerechtigkeit und Familienorientierung folgten.

Ähnlich argumentiert Ulrich Mückenberger, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Hamburg, wenn er im Beitrag für DJI Online schreibt, dass das Ehegatten-Splitting eine geschlechterhierarchische Mann-Frau-Beziehung zementiert und aufzeigt, wie Familien durch verbesserte Zeit- und Vereinbarkeitspolitik effektiver zu unterstützen wären.

Unterschiedliche Familienformen brauchen differenzierte Hilfen

Familie ist Chance und Risiko zugleich. Einerseits ist sie die Lebensform mit den höchsten Potenzialen für eine gelingende subjektive Entwicklung und Wohlbefinden. Andererseits birgt sie unter schlechten Bedingungen gleichzeitig die größte Gefahr für die Beschädigung von Individuen und die Verhinderung ihrer Entfaltung. Insofern ist es entscheidend, dafür zu sorgen, dass Familien vor Ort das vorfinden, was sie konkret brauchen. „Hierfür braucht es jedoch nicht unzählige Einzelangebote, sondern vielmehr Verfahren und Instrumente wie bspw. Zeitbüros oder lokale verbindliche Familienberichte, die gewährleisten, dass vielfältige Bedarfe zur Kenntnis genommen und Lösungen ausgehandelt werden“, so Dr. Karin Jurczyk (DJI). Neben mehr Beratung und Unterstützung durch Familienzentren werden ausreichend Betreuungsplätze in Kinderkrippen und Horten mit flexiblen Buchungszeiten sowie Ganztagsschulen mit integrierten musischen, sportlichen und kreativen Förder- und Freizeitangeboten benötigt.

DJI schafft empirische Grundlagen

Grundlagen für die differenzierte Bedarfsermittlung liefern Forschungsprojekte wie z.B. der DJI-Survey AIDA (Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten), mit dessen Familienmodul eine möglichst detailgenaue Analyse des Familienalltags erfolgen kann. Dr. Walter Bien, Leiter des Zentrums für Dauerbeobachtung und Methoden am DJI, im DJI Online Interview über die mitunter problematische statistische Erfassung der neuen Familienkonstellationen: „In unserem DJI-Survey AIDA ist Familie eine auf Dauer angelegte, in der Regel generationenübergreifende Solidargemeinschaft - analysiert wird, wer wo mit wem und wie lebt. D.h. es wird über die Haushaltsgrenzen hinaus geschaut und berücksichtigt, ob eine Patchwork-Familie, eine Kernfamilie oder eine Alleinerziehende in einem Haushalt lebt. Bei dieser Form der Sozialberichterstattung werden die Daten der amtlichen Statistik um die haushaltsübergreifenden und biographierelevanten Teile ergänzt, um ein realistisches und differenziertes Bild von Familie zeichnen zu können.“

Weitere Informationen: www.dji.de/thema/0912

Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.

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