Bildungsforschung

Praxis-Schock: Jeder zweite Lehrer fühlt sich schlecht ausgebildet

Laut einer Allensbach-Studie zur Situation an deutschen Schulen erschwert sieht sich die Hälfte aller Lehrer im Zuge ihrer universitären Ausbildung nur unzureichend auf die Praxisanforderunge des Lehrbetriebs vorbereitet.

24.04.2012

Die Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland urteilt weitgehend positiv über ihren Beruf. Knapp drei Viertel (71 Prozent) aller Lehrkräfte an Grund- und weiterführenden Schulen bereitet ihre Arbeit demnach Freude. Gut jeder zweite Pädagoge in Deutschland (52 Prozent) hält seinen Beruf zudem für attraktiv, allerdings sind auch 38 Prozent in dieser Frage anderer Meinung. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie mit dem Titel „<link http: www.vodafone-stiftung.de scripts _blank external-link-new-window external link in new>Lehre(r) in Zeiten der Bildungspanik: Eine Studie zum Prestige des Lehrerberufs und zur Situation an den Schulen in Deutschland“, die das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland durchgeführt hat. Neben einem repräsentativen Querschnitt von Lehrerinnen und Lehrern an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland wurden dafür insgesamt 2.096 bevölkerungsrepräsentativ ausgewählte Personen ab 16 Jahren befragt, darunter auch 382 Eltern schulpflichtiger Kinder. Das überwiegend positive Urteil der Lehrkräfte über ihren Beruf steht allerdings im Gegensatz dazu, dass sich weite Teile der Lehrerschaft zugleich mit wachsenden Belastungen konfrontiert sehen. So ist jeder zweite Lehrer (50 Prozent) davon überzeugt, dass das Unterrichten im Lauf der letzten fünf bis zehn Jahre deutlich schwieriger geworden sei, was hauptsächlich am Verhalten der Schüler selbst liege.

Ältere und erfahrene Lehrer bewerten ihren Beruf deutlich skeptischer
Die Studie zeigt, dass vor allem ältere Lehrerinnen und Lehrer bzw. jene mit der größten Berufserfahrung den Lehrberuf weniger attraktiv einschätzen als ihre jüngeren und unerfahrenen Kollegen. So halten nur noch knapp 41 Prozent der Lehrer ab 55 Jahren sowie knapp 46 Prozent der seit mindestens zwanzig Jahren im Schuldienst stehenden Lehrer ihren Beruf für attraktiv. Lehrer bis 35 Jahren bestätigen dies hingegen zu 62 Prozent, jene mit maximal fünfjähriger Schuldienst-Erfahrung sogar zu 64 Prozent. Auch die Einschätzung, dass das Unterrichten in den letzten Jahren schwieriger geworden sei, wird von Lehrern in der Altersgruppe ab 55 Jahre (70 Prozent) sowie von jenen mit mindestens 20 Jahren Berufserfahrung (63 Prozent) überdurchschnittlich oft geteilt. Gleiches gilt für Lehrerinnen und Lehrer an Haupt- und Realschulen (62 Prozent).

Lehrer empfinden Verhalten ihrer Schüler zunehmend als Belastung

Dass das Unterrichten in den letzten Jahren schwieriger geworden sei, führen Lehrer zu insgesamt 42 Prozent auf das Verhalten ihrer Schüler zurück und kritisieren damit fehlende Disziplin, Respektlosigkeit und die Missachtung von Regeln ebenso wie ein geringes Konzentrationsvermögen, fehlende Motivation oder allgemeine Erziehungsdefizite. Besonders oft wird dies von Haupt- und Realschullehrern betont (55 Prozent), deutlich seltener hingegen von Gymnasiallehrern (34 Prozent). Darüber hinaus zeigt die Studie, dass von jenen Lehrern, die ihren Beruf grundsätzlich für weniger attraktiv halten, mehr als jeder vierte (27 Prozent) einen zunehmend schwierigen Umgang mit den Schülern dafür verantwortlich macht. Weitere ausschlaggebende Gründe für diese Einschätzung sind neben einer allgemein hohen psychischen Belastung im Beruf (33 Prozent) die Tatsache, dass Lehrer immer häufiger Aufgaben übernehmen müssten, die eigentlich Sache des Elternhauses sind (31 Prozent), sowie ein zunehmend schwieriger Umgang mit den Eltern der Schüler (28 Prozent). Eine zu geringe Bezahlung oder fehlende berufliche Perspektiven sind hingegen nur von nachrangiger Bedeutung (jeweils neun Prozent).

„Erschwernis-Zulage“ für Lehrer an Schulen in sozialen Brennpunkten
Wenngleich das Thema Verdienst unter Lehrern kein ausschlaggebendes Kriterium bei der Berufswahl darstellt, so haben sie doch relativ klare Vorstellungen davon, wonach sich die Höhe der Bezüge richten sollte. Drei Viertel aller Lehrer (75 Prozent) erachten die Zahl der geleisteten Unterrichtsstunden als entscheidend, gut jeder zweite Pädagoge (51 Prozent) fordert eine Bezahlung auf Basis der Berufserfahrung. Darüber hinaus macht die Untersuchung aber auch deutlich, dass insgesamt 38 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland eine Besoldung für gerechtfertigt halten, in der berücksichtigt wird, ob eine Schule in einem „sozialen Brennpunkt“ etwa mit hoher Kriminalitätsrate oder hoher Arbeitslosigkeit liegt. Unter Haupt- und Realschullehrern fordern dies sogar 46 Prozent. Auch in der Gesamtbevölkerung spricht sich knapp ein Viertel aller Befragten (24 Prozent) für eine „Erschwernis-Zulage“ bei der Besoldung von Lehrern in Deutschland aus. Besonders zahlreich befürworten das Befragte in Hamburg (38 Prozent) und Berlin (35 Prozent).

Dr. Mark Speich, Geschäftsführer der Vodafone Stiftung Deutschland, kommentiert: „Lehrer sehen sich heute vielen Herausforderungen und Zumutungen ausgesetzt - insbesondere dann, wenn sie sich in sozial schwierigen Lagen für chancengerechte Bildung einsetzen. Diesen besonderen Leistungen sollte im Besoldungssystem stärker Rechnung getragen werden, ganz unabhängig von der Schulform.“

Bevölkerung fordert härteren Umgang von Lehrern mit „Problem-Schülern“
Beim Umgang mit schwierigen Schülern bzw. Klassen bevorzugt jeder zweite Lehrer in Deutschland (50 Prozent) einen Mix aus Strenge und Überzeugungskraft. Dieses pädagogische Vorgehen wird von einer Mehrheit der Gesamtbevölkerung allerdings kritisiert: Insgesamt 56 Prozent halten den Umgang von Lehrern mit undisziplinierten Schülern für zu „lasch“ und fordern ein konsequenteres Durchgreifen. Insbesondere Befragte mit einfacher Schulbildung teilen diese Kritik überdurchschnittlich oft (64 Prozent), während Befragte mit höherer Bildung dem nur zu 48 Prozent zustimmen. Zudem ist die Kritik am inkonsequenten Vorgehen der Lehrer in Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern (72 Prozent) oder Thüringen (71 Prozent) erheblich ausgeprägter als im Saarland oder in Bayern (jeweils 48 Prozent).

Leistungskluft zwischen Schülern verschiedener sozialer Schichten wächst
Wie die Studie der Vodafone Stiftung Deutschland weiter zeigt, sind Lehrer nahezu ausnahmslos (97 Prozent) davon überzeugt, dass der soziale Hintergrund des Elternhauses die Leistung von Schulkindern beeinflusst – 90 Prozent halten diesen Einfluss sogar für groß bis sehr groß. Vor diesem Hintergrund ist es alarmierend, dass 60 Prozent dieser Pädagogen ferner der Ansicht sind, die Leistungsunterschiede zwischen Schülern aus verschiedenen sozialen Schichten hätten zugenommen. In den neuen Bundesländern bestätigen das sogar über drei Viertel der befragten Lehrerinnen und Lehrer (76 Prozent). Dessen ungeachtet betonen Lehrer jedoch mit einer deutlichen Mehrheit von 73 Prozent, dass die soziale Herkunft der Schüler keine Rolle bei der Noten-Vergabe spielt. In der Gesamtbevölkerung wird diese Meinung zwar noch von gut jedem Zweiten (55 Prozent) geteilt, allerdings sind auch 28 Prozent der Meinung, Kinder aus sozial schwächeren Schichten würden bei der Benotung eher benachteiligt. In einzelnen Bundesländern liegt dieser Wert deutlich höher, wie etwa in Hamburg (40 Prozent), Brandenburg (39 Prozent) oder Hessen (38 Prozent).

Lehrer mit der Situation an Schulen trotz zu großer Klassen weitgehend zufrieden
In Bezug auf die konkrete Situation im täglichen Lehrbetrieb an deutschen Schulen geben Lehrerinnen und Lehrer ein überwiegend positives Urteil ab. So halten 82 Prozent aller befragten Pädagogen die Motivation ihrer Kollegen für eher gut bis sehr gut, 80 Prozent bestätigen dies auch für das Leistungsniveau ihrer Schule. Erstaunlicherweise beurteilen die Lehrer auch das Verhalten der Schüler ihnen gegenüber zu 76 Prozent und das der Eltern zu 74 Prozent positiv. Für genauso gut halten die befragten Lehrer ihre Spielräume bei der Unterrichtsgestaltung sowie die allgemeine Stimmung im Kollegium (jeweils 74 Prozent). Auch die Ausstattung der Schulen bewerten sie zu mehr als zwei Dritteln (69 Prozent) positiv. Deutliche Kritik äußern Lehrer hingegen an den Klassengrößen: Beinahe zwei Drittel (64 Prozent) halten die Klassen für zu groß. Eine Verkleinerung der Klassen erachten drei Viertel der Lehrer (75 Prozent) demnach auch mit Abstand als drängendste Maßnahme zur Verbesserung der Situation an deutschen Schulen. Auch in der Gesamtbevölkerung steht dieser Aspekt bei jedem zweiten Befragten (50 Prozent) an der Spitze der Forderungen.

Unterrichtsausfall und Lehrer-Mangel betrifft vor allem weiterführende Schulen
Während insgesamt 44 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer ihren Schulen einen Lehrer-Mangel attestieren, macht die Studie deutlich, dass dieses Problem insbesondere an weiterführenden Schulen besteht. Das wird aktuell von jedem zweiten Pädagogen an Haupt- und Realschulen bzw. Gymnasien (50 Prozent) bestätigt, während Grundschullehrer an ihren Schulen nur zu 30 Prozent einen Mangel an Lehrkräften ausmachen. Unterstrichen wird dieser Befund auch dadurch, dass Unterrichtsausfälle für 91 Prozent der Lehrer an weiterführenden Schulen aber nur für 64 Prozent ihrer Kollegen an Grundschulen zum beruflichen Alltag gehören.

Auch Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbands, sieht in der Bekämpfung des Unterrichtsausfalls und des fachspezifischen Lehrer-Mangels eine der größten bildungspolitischen Herausforderungen: „Über eine Million Unterrichtsstunden werden jede Woche nach unseren Berechnungen nicht lehrplangemäß gehalten oder fallen aus. Gerade in den Naturwissenschaften fehlen nach wie vor Tausende von Lehrkräften. Wir brauchen endlich an unseren Schulen eine echte Unterrichtsreserve, die diesen Namen verdient!“

Deutliche Kritik an geringer Durchlässigkeit des Schulsystems
Mehr als zwei Drittel aller Lehrer in Deutschland (67 Prozent) kritisieren, dass Schüler selbst bei guten Leistungen kaum Chancen hätten, zu einem späteren Zeitpunkt noch auf eine höhere Schulform zu wechseln, d.h. von der Haupt- auf die Realschule bzw. von der Realschule aufs Gymnasium. Auch in der Gesamtbevölkerung halten 59 Prozent aller Befragten einen solchen Schritt für schwierig, wobei Eltern schulpflichtiger Kinder in diesem Punkt die größte Skepsis aller Befragten an den Tag legen (70 Prozent).

Jeder zweite Lehrer hält Lehramt-Studium für unzureichend
Die Allensbach-Untersuchung belegt, dass sich jeder zweite Lehrer (50 Prozent) nach seiner universitären Ausbildung derzeit nur unzureichend auf die berufliche Praxis an deutschen Schulen vorbereitet fühlt. Konkret kritisieren Lehrer im Rahmen der universitären Ausbildung vor allem die fehlende Vorbereitung auf einen angemessenen Umgang mit Schülern bzw. Eltern (zusammen 65 Prozent). Besonders gravierend wird der „Praxis-Schock“ von Lehrern unter 35 Jahren (60 Prozent) sowie von Lehrern mit weniger als fünf Jahren Berufserfahrung (62 Prozent) empfunden. Auffällig ist in dieser Frage zudem eine extreme Diskrepanz in der Einschätzung von Lehrern aus den alten bzw. neuen Bundesländern: Während sich erstere zu 56 Prozent durch ihr Studium schlecht auf den Beruf vorbereitet fühlen, geben letztere zu 73 Prozent an, gut vorbereitet zu sein.

Mehrheitlich schlechtes Zeugnis für Bildungspolitik der Länder
Ein überwiegend schlechtes Zeugnis stellen Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland der Bildungspolitik in ihrem jeweiligen Bundesland aus. So halten 54 Prozent diese derzeit für weniger gut bis gar nicht gut. Zudem teilen 53 Prozent aller Pädagogen die Kritik, dass viele Vorgaben der zuständigen Behörden dem tatsächlichen Alltag an deutschen Schulen oft nicht gerecht würden. Ähnlich groß (56 Prozent) ist auch der Anteil jener Lehrer, die meinen, dass die Anpassung der Lehrpläne beim Übergang vom neun- zum achtjährigen Abitur in den betreffenden Bundesländern bislang nur unzureichend erfolgt sei.

Quelle: Vodafone Stiftung Deutschland

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