Bildungsforschung
Bildung vor allem in Entwicklungsländern wichtiger als Geburtensenkung
Bislang ging man davon aus, dass besonders sinkende Geburtenraten und die später im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße steigende Zahl an erwerbstätigen Menschen wirtschaftlichen Aufschwung bringen. Eine aktuelle Studie zeigt nun: Nicht die sinkenden Geburtenraten per se, sondern höhere Investitionen in Bildung sind ausschlaggebend für das wirtschaftliche Wachstum.
12.06.2019
Als „demografische Dividende“ bezeichnet die Wissenschaft bislang jenen wirtschaftlichen Aufschwung, der sich in Bevölkerungen mit sinkenden Geburtenraten und sich verändernden Altersstrukturen abzeichnete. Bisher ging man davon aus, dass die relativ betrachtet höhere Zahl an Menschen im Erwerbsalter ausschlaggebend für das Wirtschaftswachstum sei. Die aktuelle Studie von WU Wien, Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital (WU, IIASA, VID/ÖAW) und TU Wien zeigt nun erstmalig: Nicht familienpolitische Maßnahmen zur Senkung der Geburtenrate, sondern Investitionen in Bildung und das Humankapital eines Landes brachten nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung. WU-Professor Jesus Crespo Cuaresma, Leiter des Instituts für Makroökonomie, erklärt: „Bislang ging man davon aus, dass die niedrigen Geburtenzahlen per se und die dadurch verhältnismäßig höhere Erwerbstätigkeit zu wirtschaftlichem Aufschwung führen. Wir sehen aber, dass nicht die niedrige Kinderzahl, sondern ein steigendes Bildungsniveau entscheidend für das spätere Wirtschaftswachstum ist.“
Bildungsexpansion als Erfolgsfaktor
In ihrem Modell widmeten sich die WissenschaftlerInnen dem Zusammenwirken von Altersstrukturen und Bildungsniveaus. Dabei zeigte sich auch: Für Bevölkerungen mit tendenziell sehr niedrigem Bildungsniveau können sinkende Geburtenraten bei gleichbleibendem Bildungsniveau sogar negative Auswirkungen haben. Umgekehrt zeigt das Modell: Besser gebildete Bevölkerungen können von mehr Erwerbstätigkeit (durch sinkende Geburtenraten) besser gebildeter Menschen profitieren. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die makroökonomische Rendite von Investitionen in Bildung sehr groß sein kann. Zum Beispiel sehen wir, dass das jetzige Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Nigeria 65 Prozent höher wäre, hätte Nigeria in den letzten Jahrzehnten die gleiche Expansion von Bildung umgesetzt wie Südkorea. Südkorea startete vor allem in den 70er- und 80-Jahren eine riesen Bildungsoffensive. Solche Effekte beobachten wir nicht, wenn wir Änderungen in Altersstruktur (ohne Änderungen in Bildung) simulieren“, so Crespo Cuaresma. „Während man in den vergangenen Jahren vor allem in Entwicklungsländern vermehrt auf familienpolitische Maßnahmen zur Senkung der Geburtenrate setzte, um die Wirtschaft anzukurbeln, zeigt sich nun, dass Investitionen in das Humankapital einer Bevölkerung wesentlicher Erfolgsfaktor für wirtschaftliche Entwicklungen sind. Besonders für Länder mit niedrigem Bildungsniveau und ohne Bildungsexpansion kann eine sinkende Geburtenrate kontraproduktiv sein.“
Gebildete Mütter investieren mehr in Bildung ihrer Kinder
Eine Erklärung dafür sehen die WissenschaftlerInnen darin, dass gebildete Eltern, insbesondere gebildete Mütter, auch mehr in die Bildung ihrer Kinder investieren. In weiterer Folge führt dies wiederum später zu besser gebildeten erwerbstätigen Menschen, die die Wirtschaft ankurbeln. „Unsere Studie bestätigt wieder, dass vor allem Bildung die Schlüsselkomponente für unsere Zukunft ist. Besonders wichtig ist dies in Hinblick auf die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen, die als oberstes Ziel die weltweite Beendigung extremer Armut bis 2030 nennen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind Bildungsinvestitionen in den betroffenen Ländern unumgänglich“, so Crespo Cuaresma.
Über die Studie
Für die Studie „Education rather than age structure brings demographic dividend“ wurde mittels der bestehenden Daten von über 160 Ländern der Welt in der Periode 1980-2015 ein ökonometrisches Modell entwickelt, anhand dessen verschiedenste Simulationen umgesetzt wurden. Im Modell wird die Interaktion zwischen Bildung und Altersstruktur als Bestimmungsfaktor des langfristigen Wirtschaftswachstums explizit betrachtet.
Quelle: Wirtschaftsuniversität Wien vom 11.06.2019
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