Dialogforum Pflegekinderhilfe

Anregung zur Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe auch jenseits der geplanten Neuregelungen

In einer Stellungnahme kommentiert das Dialogforum Pflegekinderhilfe den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen. Abschließend wird eine grundsätzliche Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe in Deutschland gefordert.

09.02.2021

Die Initiative „Dialogforum Pflegekinderhilfe“ hat sich seit Mitte 2015 der Aufgabe gestellt, im Dialog mit den unterschiedlichen Akteur(inn)en in der Pflegekinderhilfe, fachliche Handlungsbedarfe und gesetzliche Änderungsbedarfe in der Pflegekinderhilfe herauszuarbeiten. Auf dieser Grundlage sollen Reformbedarfe in der Pflegekinderhilfe sichtbar werden. Vor diesem Hintergrund wurden schon die vorgesehenen Regelungen zur Pflegekinderhilfe im Referent(inn)enentwurf vom 05.10.2020 eines Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) vom Dialogforum Pflegekinderhilfe ausführlich kommentiert.

In einer neuen Stellungnahme (PDF) werden die zentralen fachlichen Handlungsbedarfe und Empfehlungen des Dialogforums Pflegekinderhilfe im Überblick zusammengefasst. Außerdem werden auf dieser Grundlage diejenigen im Regierungsentwurf zum KJSG vorgesehenen Neuerungen, die die Pflegekinderhilfe unmittelbar betreffen, kommentiert.

Grundforderungen für eine SGB VIII-Reform aus dem Dialogforum Pflegekinderhilfe

  • Gefordert wird die gesetzliche Sicherstellung der Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und jungen Volljährigen an allen sie betreffenden Verfahren und Entscheidungen sowie Aufklärung über ihre Rechte und gesicherte Beratungs- und Beschwerdewege für Pflegekinder, außerdem die Förderung von Selbstorganisation. Junge Menschen haben ein Recht auf Förderung, Beteiligung und Schutz − für Pflegekinder braucht es passende Schutzkonzeptionen.
     
  • Qualifizierte sozialpädagogische Hilfeplanung mit Dokumentation der Perspektiven aller Beteiligten, prozessorientierte Perspektivklärung und bedarfsgerechte Hilfegewährung mit der Klarstellung der Möglichkeit der Kombination von Hilfen für junge Menschen, Eltern und Pflegefamilien sind Schlüsselfaktoren für gelingende Hilfen. Eltern, Kinder, Jugendliche und junge Volljährige sowie Pflegeeltern müssen Entscheidungen verstehen und nachvollziehen können.
     
  • Eltern bleiben immer die Eltern ihrer Kinder und haben grundgesetzlich verbürgte Rechte, die sich im SGB VIII wiederfinden müssen. Gefordert wird ein Rechtsanspruch von Eltern auf Beratung und Unterstützung unabhängig vom aktuellen Personensorgerecht, Stärkung der Beteiligung und Begleitung von Eltern vor, während und nach Pflegeverhältnissen und systematische Arbeit mit den Eltern von Pflegekindern, auch wenn eine Rückkehrperspektive nicht mehr bestehen sollte.
     
  • Transparente und partizipative Gestaltung von Übergängen und das Angebot von diesbezüglichen Unterstützungsoptionen sind von zentraler Bedeutung, damit Einschnitte und Wechsel, die auch als bedrohlich erlebt werden, verarbeitet und selbstwirksam erfahren werden können. Notwendig ist die Unterstützung und Kontinuitätssicherung für junge Menschen im Übergang mit einem Anspruch auf Weitergewährung der Hilfe nach Eintritt der Volljährigkeit sowie Vorbereitung und Begleitung in die Selbstständigkeit oder Anschlusshilfen sowie die Schaffung eines Rechtstatbestands „Leaving Care“. Gefordert wird zudem die Abschaffung der Kostenheranziehung junger Menschen, damit diese die Chance haben sich ein selbstständiges Leben aufzubauen.
     
  • Die Bedingungen für Pflegeverhältnisse sind regional sehr unterschiedlich. Nötig ist die fachliche Entwicklung vergleichbarer Standards für die Begleitung von Pflegefamilien im Hinblick auf Beratung und Unterstützung, finanzielle Ausstattung und soziale Absicherung. Gesetzlich muss die Festschreibung der vereinbarten Modalitäten auch bei Zuständigkeitswechseln gesichert werden.
     
  • Stabilität und Berechenbarkeit des Lebensortes und Lebensfeldes sind Faktoren, die eine gute Entwicklung von Kindern positiv beeinflussen. Im SGB VIII ist deshalb auch die Entwicklung einer dauerhaften anderen Lebensperspektive vorgesehen, wenn eine Rückkehr in die Herkunftsfamilie nicht möglich ist. Notwendig ist eine entsprechende (auch umkehrbare) zivilrechtliche Absicherung im Falle einer auf Dauer angelegten Lebensperspektive des Kindes in der Pflegefamilie, wenn eine Rückkehr trotz Stabilisierungs- und Restabilisierungsarbeit nicht möglich ist; Maßstab muss immer das Kindeswohl sein.
     
  • Um eine echte inklusive Jugendhilfe zu erreichen, braucht es die Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle jungen Menschen, auch mit körperlicher und/oder geistiger Behinderung.
     
  • Grundforderung an die Jugendhilfeträger ist die Qualifizierung der Pflegekinderhilfe insbesondere durch Sicherung der Fort- und Weiterbildung von Fachkräften und aller anderen Akteur(inn)en sowie die Ausstattung mit angemessenen Ressourcen. 

Kommentierung der Regelungen zur Pflegekinderhilfe

Die Stellungnahme kommentiert sehr ausführlich eine Reihe zentraler vorgesehender Regelungen zur Pflegekinderhilfe. Die Erkenntnisse können der vollständigen, 31-seitigen Stellungnahme (PDF) entnommen werden.

Folgende Bereiche werden dabei in den Blick genommen:

  • Kostenbeteiligung junger Menschen
  • Hilfe für junge Volljährige, Nachbetreuung und Zuständigkeitsübergang
  • Geschwisterbeziehungen
  • Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen und Schutzkonzeptionen in der Pflegekinderhilfe
  • Beratung und Unterstützung von Eltern und Pflegeeltern
  • Möglichkeit des dauerhaften Verbleibs in der Pflegefamilie
  • Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe
  • Kombination von Hilfen zur Erziehung
  • Beratung, Beteiligung und Beschwerde von Kindern und Jugendlichen
  • Beschwerdemöglichkeiten für Pflegekinder
  • Beteiligung von Eltern an der Hilfeplanung
  • Aufklärung während einer Inobhutnahme
  • Form der Beratung, Aufklärung und Beteiligung
  • Statistik und Erhebung

Einige grundsätzliche Forderungen zur Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe in Deutschland

Das „Besondere“ der Pflegekinderhilfe achten, schützen und stärken ohne zu „besondern“ in den Strukturen und Diskursen

Jenseits der nun im Regierungsentwurf vorgesehenen rechtlichen Regelungen zeige die Arbeit im Rahmen des Dialogforums Pflegekinderhilfe, dass es notwendig sei, dem Bereich der Pflegekinderhilfe im Kontext der Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe fachpolitisch wie fachlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken, ohne das Feld der Pflegekinderhilfe wieder zu stark zu separieren. In der Stellungnahme heißt es: „Bei allen anstehenden Reform- und Weiterentwicklungsansätzen darf die spezifische Qualität dieser Hilfeform und „das Besondere“ in der Ausgestaltung jeder einzelnen Hilfe im Kontext der Familiensettings nicht aus den Augen verloren werden. Weder kann es darum gehen, die Pflegekinderhilfe mit professionellen Strukturen zu überdecken, noch sie konzeptionell so durchzudeklinieren, dass sie als Produkt in standardisierten Leistungsbeschreibungen neben den anderen Hilfen verschwindet. Die zentrale Anforderung besteht darin, ihre Möglichkeiten und Grenzen klarer zu profilieren und die dazu erforderlichen Rahmenbedingungen genauer in den Blick zu nehmen. Diese traditionsreiche Hilfeform kann als zukunftsweisend gelten, wenn es darum geht, neue Formen der Erbringung gesamtgesellschaftlich wichtiger Aufgaben im Zusammenspiel von professionellen Diensten und bürgerschaftlichem Engagement zu entwickeln.“

Veränderten Familienrealitäten Rechnung tragen – gesellschaftliche Pluralität – Gesamtzuständigkeit für alle jungen Menschen

Die Pflegekinderhilfe ist nicht mehr und nicht weniger als ein spezifisches Hilfesegment mit einer normalisierenden Ausrichtung des Hilfesettings, das für eine bestimmte Zielgruppe im Kontext eines abgestimmten Hilfesystems hilfreich und zieldienlich ist. Diese Zielgruppe gilt es allerdings in mehrfacher Hinsicht zu erweitern: Veränderten Familienrealitäten sind bei der Auswahl und Gewährung von Hilfe und Matching ebenso Rechnung zu tragen wie dem Ziel, dass auch für junge Menschen mit Behinderung eine geeignete Familie gefunden werden kann. Auch behinderte Kinder und Jugendliche sind zuallererst Kinder und Jugendliche und dazu ist eine Gesamtzuständigkeit im Rahmen des SGB VIII erforderlich.

Die gesellschaftlichen Voraussetzungen und die damit einhergehenden Problemlagen und Unterstützungsbedarfe haben sich ebenso verändert wie die Hilfestrukturen, in die sie eingepasst werden müssen. Diese veränderte Ausgangslage fachlich aufzuarbeiten und in veränderte Konzepte und Organisationsstrukturen zu integrieren, markiert die zentrale Herausforderung, vor der die Pflegekinderhilfe aktuell steht. Dazu sind nicht nur fachliche Anstrengungen in den Jugendämtern erforderlich, sondern zunächst einmal jugendhilfepolitische Schwerpunktlegungen, damit auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es für eine ernst gemeinte Weiterentwicklung braucht. 

Anregung zu einem Bundesmodellprogramm zur Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe und ihrer Schnittstellen

Vor diesem Hintergrund sei zu überlegen, ob – auch vor dem Hintergrund der neuen gesetzlichen Regelungen in der Pflegekinderhilfe – in der neuen Legislaturperiode ein Bundesmodellprogramm zur Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe sinnvoll wäre, unter enger Berücksichtigung der Einbindung dieser Hilfeform in die Gesamtheit der Kinder- und Jugendhilfe. Zu berücksichtigen wären nach Ansicht des Dialogforums Kinderpflegehilfe dabei unterschiedliche Ebenen:

  1. Der Aspekt der praktischen Vollzugsprobleme. Hier gilt es aufzuzeigen, an welchen Stellen Umsetzungsschwierigkeiten bestehen bzw. wo Bedingungen zu einer guten und auch bei Zuständigkeitswechseln anschlussfähigen Ausgestaltung der Pflegekinderhilfe noch nicht gegeben sind.
  2. Die Ebene der Forschung. Dieser Bereich zielt darauf ab, die Wissensbasis für Praxis und Politik zu verbessern, um die Pflegekinderhilfe systematisch weiterentwickeln zu können.
  3. Eine weitere Ebene befasst sich mit dem Aspekt der Fort- und Ausbildung. So ist zum einen eine Vorbereitung auf die Pflegekinderhilfe an den Ausbildungsstätten für soziale Berufe praktisch nicht präsent, zum anderen gibt es wenige systematische Fortbildungscurricula.
  4. Die Ebene Innovation ermöglicht neue Überlegungen, Erkenntnisse und Methoden in die Pflegekinderhilfe einzubringen und auf diese Weise auch den sich stetig wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gerecht zu werden.

Wichtig sei, dass ein solches Zukunftsprogramm thematisch offen bliebe und eine systematische Einbindung der zentralen Akteure erfolge.

Quelle: Dialogforum Pflegekinderhilfe vom 15.01.2021

Redaktion: Kerstin Boller

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