Umwelt und Klima

Warum sollte sich die Regierungspolitik mit BNE beschäftigen?

Wir haben mal nachgefragt… und zwei interessante Interviews mit Frau Katja Dörner (Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90 / die Grünen) und Herrn Achim Schreier (Mitarbeiter des BMU, im Bereich Bildungsservice) geführt, aber lesen Sie selbst …

26.05.2010



Flagge auf dem Reichstag, Quelle: sxc/pk2000

Copyright: sxc/Priit Kallas

Interview zum Thema "Bildung für nachhaltige Entwicklung" (BNE) mit Achim Schreier, Mitarbeiter des Bundesumweltministeriums im Bereich Bildungsservice:www.bmu.de/bildungsservice


Herr Schreier, BNE ist ein weites Feld, das viele Aspekte beinhaltet. Können Sie trotzdem versuchen, auf den Punkt zu bringen, was BNE - für Sie persönlich - bedeutet?

A. Schreier: BNE muss, wenn man an den normalen Unterricht denkt, nicht nur einen komplexen Lerngegenstand aufgreifen, sondern auch Langfristperspektiven und Gerechtigkeitsvorstellungen, also soziale, ökonomische und ökologische Belange einbeziehen.

Manchmal möchte man sich fragen, ob "Nachhaltigkeit" nicht einfach nur ein Modewort ist. Umweltbildung hat es doch auch schon früher gegeben - hat sich überhaupt was geändert? Ist "Bildung für nachhaltige Entwicklung" (BNE) etwas Neues?

A. Schreier: Umweltbildung ist sicher nichts Neues. Neu ist aber, dass durch BNE Inhalte des Lehrens und Lernens weniger als bisher aus fachlichen Traditionen, sondern verstärkt unter Berücksichtigung interdisziplinärer Ansätze gewonnen werden sollen. Scientific literacy ist nämlich nicht mit einer reinen fach(wissenschaft)lichen Orientierung verbunden, sondern verbindet alle Naturwissenschaften mit gesellschaftlichen, alltagsrelevanten und politischen sowie ethischen Fragen und Implikationen.

Warum sollte sich die Regierungspolitik mit BNE beschäftigen?

A. Schreier: Ohne regierungsamtliche Unterstützung kann die Nachhaltigkeitsidee keine Dynamik und flächendeckende Verbreitung finden. Daher ist der Nachhaltigkeitsgedanke ein zentrales Handlungsziel der Bundesregierung, das durch internationale Vereinbarungen gestützt wird. Grundlage dafür ist ein Nachhaltigkeitsbericht, der alle zwei Jahre erscheint und an dem sich alle Akteure orientieren. Dies betrifft auch die einzelnen Bundesländer, die bereits in großer Zahl eigene Nachhaltigkeitsberichte bzw. Nachhaltigkeitsstrategien veröffentlicht haben, in denen Bildung eine zentrale Rolle spielt. So werden ständig die Ziele und die Ergebnisse miteinander verglichen und wir kommen dadurch zu einer immer stärkeren Orientierung an Nachhaltigkeit.

Was sind die Ziele mit Blick auf BNE und wo werden Sie (auch) zukünftig die Schwerpunkte Ihrer Arbeit setzen?

A. Schreier: Auf Grundlage der Leitlinien zur Nachhaltigkeit wurden klare quantitative Ziele und prioritäre Handlungsfelder definiert. Die Ziele helfen uns, dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung näher zu kommen. Das heißt: Heute und hier nicht auf Kosten der Menschen in anderen Regionen der Erde und auf Kosten zukünftiger Generationen zu leben. Einige Beispiele sind:

  • Die Energie- und Rohstoffproduktivität soll bis 2020 (gegenüber 1990) verdoppelt werden, d. h. mit der gleichen Menge Energie soll mehr Wirtschaftsleistung erbracht werden
  • In der Zeit von 2008 bis 2012 sollen die Kyoto-Gas-Emissionen um 21% gegenüber 1990 verringert werden.
  • Der Anteil der erneuerbaren Energien soll bis 2010 (gegenüber 2000) verdoppelt werden.
  • Der Anteil des Schienenverkehrs an der Güterverkehrsleistung soll bis 2015 gegenüber 1997 verdoppelt werden.

Die Nachhaltigkeitsstrategie ist kein theoretisches Grundsatzpapier, sondern praktische Orientierung zu nachhaltigem Handeln von Politik und Gesellschaft. Ziele und Indikatoren zeigen an, wo wir auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung stehen.

Mit Veröffentlichung des Fortschrittsberichts "Für ein nachhaltiges Deutschland" im Oktober 2008 wurden drei weitere Instrumente vereinbart, die vor allem zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie beitragen sollen und zu einer stärkeren Verankerung des Themas in den Ressorts führen werden:

  • Künftig werden neue Gesetze einer Gesetzesfolgenabschätzung mit Blick auf Aspekte nachhaltiger Entwicklung unterzogen; damit erhalten die vier Leitlinien der Nachhaltigkeitsstrategie stärkeren Eingang in die "Alltagspolitik".
  • Der Staatssekretärausschuss hat ein Arbeitsprogramm verabschiedet und wird nun monatlich über ein Thema mit Nachhaltigkeitsbezug beraten, etwa Zusammenarbeit von Bund und Ländern, Verfügbarkeit von Rohstoffen und Rohstoffabbau in Entwicklungsländern oder Perspektiven für eine Forschung für Nachhaltigkeit als Innovationspolitik; zu jedem Thema werden Gäste eingeladen, die ihre Expertise einbringen.
  • Auf den monatlichen Sitzungen des Staatssekretärausschusses werden Ressortberichte vorgestellt, in denen die einzelnen Ministerien über den Einbezug des Nachhaltigkeitsleitbildes und seiner Leitlinien in ihrer Fachpolitik, aber auch in ihrer Administration berichten.

Weitere Informationen:  www.dialog-nachhaltigkeit.de

Was haben Kinder und junge Erwachsene von BNE?

A. Schreier: Vorstellungen von Gerechtigkeit/Ungerechtigkeit, altruistisches Handeln und Mitgefühl können nicht erst bei Erwachsenen herausgebildet werden. Vielmehr ist dies schon sehr viel früher nötig. Von daher ist es von außerordentlicher Bedeutung, sich in der Schule mit den diffizilen Aspekten der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit bekannt zu machen, um es den Heranwachsenden zu ermöglichen, sich moralisch verhalten zu können, und zwar so, dass es der Förderung der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit dient.

Kinder und junge Erwachsene lernen in einer Kombination aus naturwissenschaftlichen und gesellschaftlich-ethischen Frage- und Problemstellungen, z. B. welchen Nutzen und welchen Wert die Natur hat und warum sie geschützt werden muss. Dabei entwickeln sie eine besondere nachhaltige Sensibilität für globale Probleme, in dem sie weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen. Sie lernen ihr Wissen anzuwenden, erkennen die Problemstellungen und können Schlussfolgerungen ziehen, um daraus Entscheidungen für das eigene alltägliche Handeln zu treffen.

Was muss getan werden, damit an den Kindergärten, Schulen und Universitäten das Thema Nachhaltigkeit stärker präsent ist?

A. Schreier: Neben einer intensiven Aus-, Fort- und Weiterbildung der handelnden Akteure müssen viel mehr nutzer- und serviceorientierte Materialien zur Verfügung gestellt werden, damit die BNE Leitlinie aller pädagogischen Prozesse wird.

Medien sind wichtige Multiplikatoren. Welchen Stellenwert hat Nachhaltigkeit dort?

A. Schreier: Viele – vor allem etablierte - Medien haben ihre Schwierigkeiten schon mit dem Begriff der "Nachhaltigkeit". Das Wort an sich ist sperrig, und kann nicht für die rechte Begeisterung sorgen. Von Weizsäckers Forderung, mit einer "modernen und effektiven Nachhaltigkeitskommunikation" anzusetzen und "neue Formen, Strategien und Instrumente zu entwickeln, um Themen der Nachhaltigkeit mit ihren ökologischen, sozialen und ökonomischen Dimensionen" in die Massenmedien zu bringen, blieb vielfach ungehört. Dennoch wird der Nachhaltigkeitsgedanke in den Medien vermehrt als Leitlinie der Berichterstattung akzeptiert, so dass Lesern, Zuhörern und Zuschauern der weite Blick für Zusammenhänge, Risiken und Folgen eines Ereignisses oder einer Entwicklung eröffnet wird.

Wenn Sie jetzt sofort drei Dinge verändern könnten, welche wären das?

Ich würde den Schulen noch mehr Unterstützung gewähren und z. B. das BMU-Aktionsprogramm "Klimaschutz in Schulen und Bildungseinrichtungen" weiter ausbauen und weitere Mittel zur Verfügung stellen. Den handelnden Akteuren in Schulen und Bildungseinrichtungen würde ich attraktive Fortbildungsangebote machen und ihnen in der täglichen Praxis  mehr inhaltliche und organisatorische Freiräume geben.

SaM


Bild: www.gruene-bundestag.de

Interview zum Thema "Bildung für nachhaltige Entwicklung" (BNE) mit Frau Katja Dörner, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90 / Die Grünen


BNE ist ein weites Feld, das viele Aspekte beinhaltet. Können Sie trotzdem versuchen, auf den Punkt zu bringen, was BNE für Sie persönlich bedeutet?


K. Dörner: Bei"„Bildung für nachhaltige Entwicklung" geht es u. a. um Gleichberechtigung, Umwelt- und Friedenspolitik. Das sind ur-grüne Themen, die mich seit meiner Jugend bewegen. Ziel von BNE ist die Vermittlung von Gestaltungskompetenzen, die ein verantwortungsvolles Denken und Handeln ermöglichen sollen. Auch dies entspricht dem basisdemokratischen und emanzipatorischem Selbstverständnis von Bündnis 90 / Die Grünen.

Manchmal möchte man sich fragen, ob "Nachhaltigkeit" nicht einfach nur ein Modewort ist. Umweltbildung hat es doch auch schon früher gegeben - hat sich überhaupt was geändert? Ist "Bildung für nachhaltige Entwicklung" (BNE) etwas Neues?

K. Dörner: Nachhaltigkeit ist insbesondere in Politikkreisen ein gern genutzter Begriff. Auch wenn manchmal nicht viel dahinter steht, ist dies ein Indiz dafür, dass Nachhaltigkeit ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist. Es zeigt die Erwartungshaltung der Gesellschaft, dass Politik auch an morgen und übermorgen denken muss. Auch wenn die Umweltbildung dazu sicher einen Beitrag geleistet hat, entwickelt BNE diesen Ansatz weiter. Sie setzt auf Vernunft- statt auf Angstdenken. Dabei umfasst Bildung weit mehr als reine Wissensvermittlung. Klassische Unterrichtsmethoden greifen bei der Entwicklung von Werten und sozialen Kompetenzen oft zu kurz. Gestaltungskompetenzen entwickeln sich nicht durch Frontalunterricht, sondern durch persönliche Erfahrungen mit der eigenen Umgebung. Das Konzept "Bildung für nachhaltige Entwicklung" schreibt die Idee der Umweltbildung fort und setzt durch seine Methodenvielfalt Standards, die über den klassischen Ansatz der Umweltbildung hinausgehen. Ein entscheidendes Detail steckt in dem Begriff "Entwicklung": BNE bedeutet, Nachhaltigkeit als positiven Prozess, als Fortschritt zu begreifen.

Warum sollte sich die Regierungspolitik mit BNE beschäftigen?

K. Dörner: Nachhaltige Entwicklung erfordert mehr als politische und wirtschaftliche Maßnahmen, denn Partizipation ist die Grundlage demokratischer Willensbildung und somit auch Basis einer nachhaltigen Politik. Wie die sinkende Wahlbeteiligung zeigt, ist ein höheres Engagement im Sinne von BNE unverzichtbar.

Was sind die Ziele mit Blick auf BNE und wo werden Sie (auch) zukünftig die Schwerpunkte Ihrer Arbeit setzen?

K. Dörner: Ziel grüner Bildungspolitik ist die Etablierung einer neuen, wertschätzenden Lern- und Lehrkultur, die jedes Kind und jede/n Jugendliche/n individuell dahingehend fördert, Verantwortung für sich und die Umwelt zu übernehmen. Das geschieht idealerweise in einem Prozess, bei dem kognitives mit emotionalem und körperlichem Lernen einhergeht. Ich werde mich daher auch weiterhin in diesem Sinne für gleiche Bildungschancen, frühkindliche und vor allem ganzheitliche Bildung einsetzen.

Was haben Kinder und junge Erwachsene von BNE?

K. Dörner: Kinder sind von klein auf kreativ, interaktiv, lernwillig und sozial. Dies nach Kräften zu fördern, damit sie zu selbstständigen, weltoffenen Mitgliedern unserer Gesellschaft heranwachsen, kann nur in ihrem Interesse sein. Und es zahlt sich aus: durch Spaß am Lernen (im Schulalltag und auch später), durch Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und später im Beruf ohnehin.

Was muss getan werden, damit an den Kindergärten, Schulen und Universitäten das Thema Nachhaltigkeit stärker präsent ist?

K. Dörner: Veränderungen in der Lehre sind ein langjähriger Prozess. Damit sich Umweltbildung nicht auf den alljährlichen Osterputz beschränkt, muss BNE bei der Ausbildung von Lehrkräften eine herausgehobene Rolle spielen. Das umfasst auch und insbesondere die schon angesprochene Methodenvielfalt. Darstellendes Spiel beispielsweise galt lange als exotische Unterrichtsmethode, die bestenfalls in Projektwochen Beachtung fand. Neben der Etablierung innovativer Lernstrukturen bedarf es einer besseren finanziellen Ausstattung des Bildungswesens, mehr Fortbildungen und Lehrevaluationen.

Medien sind wichtige Multiplikatoren. Welchen Stellenwert hat Nachhaltigkeit dort?

K. Dörner: Medien tragen wesentlich zur öffentlichen Bewusstseinsbildung bei. Deshalb ist es wichtig, dass sie Nachhaltigkeit einen zunehmend größeren Platz in ihrer Berichterstattung einräumen.

Wenn Sie jetzt sofort drei Dinge verändern könnten, welche wären das?

K. Dörner:

  • Größere Investitionen in Qualität und Quantität der Kitaplätze
  • Eine gemeinsame Schule für alle Kinder einführen
  • Eine Kindergrundsicherung einführen und Kinderarmut verhindern


SaM

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