Kinder- und Jugendarbeit

Scripted Reality in der medienpädagogischen Arbeit

Experten und Expertinnen diskutierten bei der Fachtagung der Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz (LMK) über konkrete Handlungskonzepte zu Fernsehproduktionen, die aussehen wie dokumentierte Realität, aber nach Drehbuch verfilmt sind.

04.03.2014

Sieht aus wie dokumentierte Realität, ist aber nach Drehbuch verfilmt: Das Genre „Scripted Reality“ füllt seit rund einem Dutzend Jahren zunehmend die Programme der Fernsehsender und hat zu einer gesellschaftspolitischen und moralischen Debatte in der Öffentlichkeit geführt. Die Durchdringung des TV-Programms mit „geskripteten“ Realitäten ist allgegenwärtig.

Was bedeutet das für die Arbeit von Erzieher/-innen, Medienpädagog/-innen, für die konkrete Vermittlungstätigkeit von Medienkompetenz in und außerhalb der Schule? Am 25. Februar 2014 trafen sich rund 80 Medienpädagog/-innen und –wissenschaftler/innen in der Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK) in Ludwigshafen zur Fachtagung „Scripted Reality in der medienpädagogischen Arbeit“ und diskutierten gemeinsam mit bundesweit eingeladenen Scripted-Reality-Experten pädagogische Handlungsbedarfe und Handlungskonzepte.

Scripted-Reality-Formate wie „Familien im Brennpunkt“, „X-Diaries“ oder „Pures Leben – Mitten in Deutschland“ stehen in der Diskussion, weil sie den Unterschied zwischen dokumentierter Realität und inszenierter Fiktion verwischen. Viele jugendliche Zuschauer/innen verunsichert das. Die Vermittlung des Unterschiedes zwischen Realität und Fiktion ist aber eine klare Aufgabe der – vor allem schulischen – Medienpädagogik, darin
stimmten die Expert/-innen und Diskussionsteilnehmer/-innen der Fachtagung überein. Ab der sechsten Klasse sollte damit begonnen werden, den Charakter der Schein-Dokus zu entschleiern – mit Hilfe von Sendeausschnitten, von Making-Of-Materialien der Produktionsfirmen und durch medienpraktische Vermittlung. Wichtig sei es, Lehrer/-innen dafür zu qualifizieren und möglichst auch Eltern zu informieren.

Dr. Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI), eröffnete die Tagung mit dem Vortrag „Faszination und Bedeutung von Scripted Reality - Warum Pre-Teens und Jugendliche sich für Formate begeistern, die aussehen wie schlechte Dokumentationen es aber nicht sind.“ Fast alle 13- bis 18-jährigen seien mit Scripted-Reality-Formaten vertraut. Die Sendungen griffen Themen aus der jugendlichen Lebenswelt  auf, lieferten einfache Erklärungen und Problemlösungen. Mit dem Stilmittel der Übertreibung ermöglichten sie andererseits den jungen Zuschauer/-innen, sich zu distanzieren und „abzulachen“. Ein Risiko liege im Abbild der Wirklichkeit: Menschen und die Milieus, in denen sie leben, aber auch ihre Problemlagen und die Themen Sexualität und Beziehung würden verzerrt dargestellt.

In der Broschürenreihe tv.profiler hatte die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) bereits 2012 eine Unterrichtseinheit zu Scripted Reality veröffentlicht. Als Vorher-Nachher-Effekt dieses Moduls wurde festgestellt, dass die meisten Schüler/innen lernen konnten, Scripted Reality zu erkennen.

Das Lernangebot „Faszination Medien“ (FAME) der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen und der Bundeszentrale für politische Bildung soll einen Beitrag dazu leisten, Jugendliche bei einem kompetenten und reflektiert-verantwortlichen Umgang mit den neuen Medien und deren Inhalten zu unterstützen. Leopold Grün, Filmemacher und Medienpädagoge, präsentierte die gleichnamige DVD-ROM, die mit reichhaltigem Originalmaterial einen Blick „hinter die Kulissen“ erlaube und Aufschluss gebe über die Entwicklung von medialen Funktionsweisen, Gestaltungsmitteln und Wirkungsweisen. Im Mai 2014 werde die DVD „Faszination Medien“ veröffentlicht.

Einen Scripted-Reality-Schülerworkshop für die Mittelstufe stellte Constantin Schnell vom Landesmedienzentrum Baden-Württemberg vor. Mittels Rollenspielen würden in dem 3- bis 4-stündigen Workshop sowohl die Pre-Production als auch die Produktion von Reality-TV bearbeitet: Drehbuchschreiben, Casting, Auswahl der Locations würden an Hand von Vorlagen durchgespielt; die Möglichkeiten des Filmschnitts, des Off-Tons und des Musikeinsatzes erprobt.

Karen Schönherr, Medienpädagogin von medien+bildung.com – die medienpädagogische LMK-Tochtergesellschaft hatte gemeinsam mit der Landeszentrale für Medien und Kommunikation zu der Tagung eingeladen – entwickelt unter dem Titel „Echt oder Fake?“ ein Konzept für fünf Projekttage mit Schüler/-innen von 7. bis 9. Klassen. Darin stehe ausgiebig Zeit zur Reflektion der eigenen Mediennutzung zur Verfügung, zur Analyse der gängigen TV-Formate, aber auch zur eigenen Produktion – von der Story-Entwicklung und Drehplanung bis  zum eigenen Dreh und Schnitt. Karen Schönherr zeigte sich überzeugt, dass die ausführliche und nachvollziehende Beschäftigung mit der Produktionslogik von Scripted Reality nachhaltig dazu führe, dass Schüler/-innen analytische Kenntnisse entwickelten.

Dr. Thomas Voß, Bereichsleiter Programm und Medienkompetenz der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein (MA HSH), hatte mit „Schein & Sein: Inszenierte Wirklichkeit in Reality-TV und Web 2.0“ eine Handreichung für den Unterricht in der Sekundarstufe 1 im Gepäck. Die sieben eigenständig durchführbaren Module setzen inhaltliche Schwerpunkte auf die Faszination und Hintergründe von Reality-TV, Casting-Shows, Scripted Reality und Gerichtsshows. Mit der Handreichung bestehend aus  Arbeitsblättern, Kopiervorlagen sowie einer DVD unter anderem mit Sendungsmitschnitten und Interviews sollen möglichst viele Schulklassen die Wirkungsmechanismen verstehen lernen. Ergänzt wird das Material durch ein Online-Profilspiel.
Dr. Meike Isenberg von der Landesanstalt für Medien (LfM) Nordrhein-Westfalen wies auf den Kontakt zu den Sendern und ihren Jugendschutzbeauftragten hin, der auch für die medienpädagogische Bearbeitung von Scripted Reality von Bedeutung sei. In den vergangenen Jahren sei ein vielfältiges Angebot an Materialien und Handlungskonzepten entstanden, in der Regel für Pädagog/-innen und interessierte TV-Zuschauer/innen problemlos online abrufbar.

Das abschließende Podium der Fachtagung „Scripted Reality in der medienpädagogischen Arbeit“ unterstrich nochmals die Brisanz der öffentlichen Diskussion um die Verwischung der Differenz von Dokumentarischem und Inszeniertem im Genre der Scripted Reality. Die Akteure der Medienbildung – von den Medienanstalten über Landesmedienzentren bis zur Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen – hätten dies als Herausforderung aufgegriffen. Inzwischen liege eine Reihe von konkreten Handlungskonzepten für die medienpädagogische Arbeit in und außerhalb der Schule vor. Die medienpädagogische Begleitung von Scripted Reality müsse fortgeführt und weiter entwickelt werden.

Weitere Informationen zum Thema und zur Fachtagung über <link http: www.medienundbildung.com _blank>www.medienundbildung.com

Quelle: Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz vom 27.02.2014

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