Digitalisierung und Medien

Digitale Lebenswelten – AGJ fordert Kinder kompetent zu begleiten

Ein neues Diskussionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ setzt sich mit den veränderten Bedingungen einer mediatisierten und digitalisierten Lebenswelt für Klein- und Vorschulkinder auseinander. Die Bedarfe von Kindern, Eltern und Fachkräften werden benannt sowie wichtige Schritte auf dem Weg zur Umsetzung frühkindlicher Medienbildung in Kindertageseinrichtungen aufgezeigt.

06.10.2016

Kinder wachsen heute in einer vielfältigen Medienwelt auf, die in eine digitalisierte, alle Lebensbereiche umfassende Umgebung eingebettet ist. Bereits in der frühen Kindheit sind (digitale) Medien Bestandteil des Alltagslebens. Erste Erfahrungen sammeln die Kinder in den Familien, die inzwischen über eine umfassende Grundausstattung und ein breites Medienrepertoire verfügen.  Kinder und Eltern sind darüber hinaus mit einem wachsenden kommerziellen Angebot konfrontiert, das bereits auf Kinder im Vorschulalter zielt. Die Mediatisierung der Lebenswelt von Klein- und Vorschulkindern wird – neben dem grundlegenden Prozess der Digitalisierung des Alltags – vor allem durch die "neuen" Medien in der Familie weiter befördert. Ihre Medienerfahrungen und medialen Vorlieben transportieren Kinder aktiv in die Kindertageseinrichtungen hinein, spielen die Geschichten ihrer Lieblingsheldinnen und -helden nach, entwickeln diese in der Fantasie weiter, benutzen Handys, Skype, Kameras und andere Medien im Rollenspiel.

Eltern und Fachkräfte wünschen sich Orientierung

Der beschleunigte Wandel der Informations- und Kommunikationstechnologien, die zunehmende Durchdringung der kindlichen Lebensbereiche durch Medien (Mediatisierung) und das wachsende Medienangebot tragen bei Eltern und Fachkräften gleichermaßen zur Verunsicherung darüber bei, wie insbesondere die digitalen Medien die kindliche Sozialisation beeinflussen, welche Effekte diese auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder haben, in welchem Alter und in welcher Form sie ihnen den Zugang zu geeigneten Inhalten erlauben oder diesen unterbinden sollten. Der weitverbreitete Wunsch nach Orientierung spiegelt sich auch im boomenden Markt an Ratgeberliteratur wider, die klare Rezepte zur "richtigen" Medienerziehung verspricht.

AGJ fordert Kinder kompetent zu begleiten

Die skizzierten Veränderungen in der kindlichen Lebenswelt und im Familienalltag bieten für die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ den Anlass, den Stellenwert von Mediatisierung und Digitalisierung für Klein- und Vorschulkinder näher zu beleuchten. Im <link file:116181 _blank download des papiers>Diskussionspapier "Digitale Lebenswelten. Kinder kompetent begleiten!" (PDF, 152 KB) ist der veränderte Rahmen für die Bewältigung ihrer altersspezifischen Entwicklungsaufgaben kritisch beschrieben. Die Bedarfe von Kindern, Eltern und Fachkräften werden benannt sowie wichtige Schritte auf dem Weg zur Umsetzung frühkindlicher Medienbildung in Kindertageseinrichtungen aufgezeigt.

1. Den veränderten Rahmenbedingungen in der kindlichen Lebenswelt Rechnung tragen und Forschung ausbauen

Die AGJ weist nachdrücklich auf das bestehende Forschungsdesiderat zu den Nutzungsweisen digitaler Medien durch Klein- und Vorschulkinder und den Auswirkungen einer mediatisierten Kindheit hin. Sie plädiert für eine Intensivierung der Forschungsaktivitäten und fordert die Umsetzung von Längsschnitt-Studien mit quantitativen und qualitativen Zugängen, die eine empirisch gestützte, altersgemäße Medienbildung von Anfang an ermöglichen.

2. Medien als Herausforderung für kleine Kinder begreifen und die Aneignung von Medienkompetenzen ermöglichen

Die AGJ unterstreicht die Bedeutung einer Medienerziehung und -bildung, die Kinder in ihrer Entwicklung begleitet und den kompetenten, das heißt gleichermaßen kritischen wie reflektierten, kreativen wie verantwortungsvollen Umgang mit Medien gezielt fördert, ihnen dabei umfassende Teilhabemöglichkeiten einräumt und ausreichende Räume der selbstständigen Entdeckung lässt. Dies schließt die aktive Begleitung bei der Mediennutzung durch Eltern und Fachkräfte ein. Zur Medienerziehung gehört neben dem kindgerechten Zugang zu Medien für alle Kinder auch, dass Regeln verhandelt und Zeiten der Mediennutzung etabliert werden.

3. Eltern im Umgang mit digitalen Medien Sicherheit bieten

Die AGJ empfiehlt, dass sich Bildungsinstitutionen von Anfang an als starker Partner in der Medienerziehung für Eltern zeigen und sie auch in medienpädagogischen Fragen beraten, damit Eltern sich bei pädagogischen Unsicherheiten gut informiert positionieren können.

4. Die Verantwortung von Fachkräften und Kindertageseinrichtungen für Medienbildung fördern

Angesichts der zunehmenden Bedeutung digitaler Medien im Familienalltag und der Faszination von Kleinkindern für Medien plädiert die AGJ dafür, Kindertageseinrichtungen als Orte der Medienbildung auszubauen. Es ist erforderlich, dass Träger und Einrichtungen Medienbildungskonzepte entwickeln. Die AGJ fordert frühe Medienbildung als Querschnittsthema zu begreifen und konsequent in den Alltag von Kindertageseinrichtungen zu integrieren. Aus Sicht der AGJ ist der Bereich der Medienkompetenz einschließlich der kritischen Reflexion von Mediennutzung in die Curricula der Fach- und Hochschulen für die Ausbildung und für die Fortbildung von frühpädagogischen Fachkräften zu implementieren. Einschlägige Fachorganisationen sollten von Seiten des Bundes bei der Durchführung von Medienkompetenzprogrammen strukturell gefördert werden, so dass eine flächendeckende Fachkräfte-Weiterbildung und mit ihr die Verbreitung und Umsetzung vorhandener medienpädagogischer Konzepte möglich wird. In Kindertageseinrichtungen sollte Medienbildung alltagseingebettet und in das jeweilige pädagogische Konzept integriert erfolgen.

5. Die medienerzieherischen Potenziale von Fachkräften in der Elternarbeit stärken

Für Fachkräfte heißt dies, Eltern individuell zu begegnen und sie gezielt auf der Basis ihrer Ressourcen einzubinden, ohne zu urteilen oder zu belehren. Erzieherinnen und Erziehern kommt die überaus schwierige Aufgabe zu, Eltern ihr digitales Verhalten im Alltag zu spiegeln und für die Rechte der Kinder einzutreten. Die AGJ weist darauf hin, dass ausreichend eigene Kenntnisse, Durchsetzungsfähigkeit und Weitsicht Schlüsselkompetenzen sind, die Fachkräfte als Voraussetzung für Medienerziehung benötigen. Es geht für sie nicht allein um die Weitergabe der "vierten Kulturtechnik", sondern um die selbstreflexive Ausbildung notwendiger sozialer Grundkompetenzen.

6. Die Möglichkeiten digitaler Medien in der Frühpädagogik ausschöpfen

Die AGJ fordert Fachkräfte auf, Medienerziehung als Instrument so einzusetzen, dass sie Kinder in ihrer Entfaltung unterstützt, Förderbedarfe berücksichtigt und Gleichstellung (auch der Geschlechter) fördert.

7. Kindern einen unverzweckten Zugang zur digitalen Welt eröffnen

Die AGJ befürwortet einen kinderrechtsbasierten Zugang zur Medienbildung, der die Rechte auf Information, Teilhabe und Bildung zentral stellt. Sie weist darauf hin, dass Fachkräfte einer ausgeprägten Urteilsfähigkeit bedürfen, um Teilhabechancen von ökonomistischen Bildungsprinzipien zu unterscheiden und Kindern pädagogisch geschützt Erfahrungsräume zu ermöglichen. Dabei sind Bildungsanforderungen auch kritisch zu reflektieren. Fachkräfte sind in ihrer Urteilsfähigkeit durch Fortbildungen zu unterstützen.

8. Den Schutz von Kindern im Internet gewährleisten

Die Bundesregierung ist in der Pflicht, sich gegenüber weitreichenden Problemen der Datensicherheit als Anwalt der Bevölkerung und insbesondere von Kindern zu behaupten und ihre Datensouveränität v.a. gegenüber Großkonzernen durchzusetzen.

Anforderungen an Fachkräfte und Politik

Kleine Kinder gehen auf vielfältige Weise mit digitalen Medien um – ein Trend, der sich in Zukunft weiter fortsetzen wird. Medienerziehung ist deshalb auch in den ersten formalen Bildungsorten zu realisieren und auszubauen. Dafür benötigen Kindertageseinrichtungen nicht nur die entsprechende Ausstattung, sondern vor allem Fachkräfte, die sich mit dem Thema der Digitalisierung auseinandergesetzt haben und fähig, vor allem aber motiviert sind, ihre fundierte Sichtweise altersangemessen an Kinder und Eltern weiter zu geben. Einen Königsweg gibt es nicht, denn das Leben in der digitalen Welt gestaltet sich entsprechend individueller und struktureller Lebenslagen vielfältig. So ist jede Erzieherin und jeder Erzieher selbst in der Verantwortung, eine Position zu entwickeln und diese zu vermitteln. Es gilt, mit Kindern und Eltern über die medialen Entwicklungen im Gespräch zu bleiben, die Vorbildfunktion der Eltern deutlich zu machen, Kinder bei ihren Medienerfahrungen aktiv zu begleiten und Geräte ausreichend kindersicher zu machen. Für Fachkräfte bedeutet dies, den Themenkomplex der Medienbildung in ihr Professionsverständnis zu integrieren. Für Bund, Länder und Träger heißt dies, ausreichend Angebote der Fort- und Weiterbildung bereit zu stellen, genauso wie die Einbindung von Medienerziehung in die Ausbildung der Fachkräfte zu integrieren. Dafür sind ausreichende finanzielle Mittel bereit zu stellen, um bereits erprobte Medienbildungsprogramme und -initiativen strukturell zu festigen und flächendeckend zu implementieren.

<link file:116181 _blank download des papiers>>> Vollständiges Diskussionspapier "Digitale Lebenswelten. Kinder kompetent begleiten!" (PDF, 152 KB)

Positionspapier "Mit Medien leben und lernen"

Das neue Diskussionspapier schließt an das <link file:14497 _blank download des papiers medien leben und>Positionspapier der AGJ "Mit Medien leben und lernen – Medienbildung ist Gegenstand der Kinder- und Jugendhilfe" vom Dezember 2014 (PDF, 133 KB) an, das auf die Bedeutung von Mediatisierung und Digitalisierung für das Aufwachsen junger Menschen und ihrer Teilhabe an der Gesellschaft aufmerksam macht. Es fordert die Kinder- und Jugendhilfe dazu auf, sich in allen Handlungsfeldern mit den veränderten Bedingungen einer mediatisierten und digitalisierten Lebenswelt ihrer Adressatinnen und Adressaten kritisch auseinanderzusetzen und die hiermit verbundenen Anforderungen in ihr Professionsverständnis zu integrieren.

Quelle: Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

Redaktion: Kerstin Boller

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