Kinder- und Jugendarbeit

3. Medienkongress Villingen-Schwenningen: Ohnmacht statt Diskurs

Der 3. Medienkongress Villingen-Schwenningen versprach „Chancen und Gefahren des Aufwachsens in digitalen Erlebniswelten“ zu beleuchten. Dargestellt wurden fast ausschließlich die Gefahren.

31.03.2010

Mehr Informationen zum 3. Medienkongress Villingen-Schwenningen:
>> www.medienkongress-vs.de

Zwischen Kompetenzerwerb und Mediensucht
Tagungsdokumentation : Ullrich Dittler / Michael Hoyer (Hrsg.), Zwischen Kompetenzerwerb und Mediensucht, Kopaed-Verlag, München 2010
>> Kopaed-Shop

Medienkongress Villingen-Schwenningen
Bild: Herrmann, CC-Lizenz

Villingen-Schwenningen ist ein per Gemeindereform künstlich zusammengefügtes Doppelstädtchen mitten im Schwarzwald. Etwa 300 Gäste haben am 25. und 26. März den Weg dorthin gefunden. Der „Medienkongress Villingen-Schwenningen“ gehört damit zu den größten Fortbildungsangeboten für Pädagoginnen und Pädagogen in Sachen jugendlicher Mediennutzung im Südwesten Deutschlands.

Seit 2006 veranstalten Michael Hoyer, Honorarprofessor an der Hochschule Furtwangen, und Ullrich Dittler, Professor für Interaktive Medien an derselben Hochschule, die Medienkongresse in Villingen-Schwenningen. Dittler ist wissenschaftlicher Leiter des Kongresses, Hoyer der Organisator. Dass es ein guter Organisator ist, wird bereits beim Auspacken der Tagungsmaterialien deutlich. Die Beiträge der Referentinnen und Referenten, ergänzt um weitere Gastbeiträge, liegen schon zum Kongressbegin als Buch vor. Hoyer ist allerdings als Moderator auch der Mann für die starken, holzschnittartigen Bilder der Veranstaltung. In der Zeitung habe er gelesen, verkündet er zu Anfang, das Internet sei „die größte persönliche Enttäuschung der Deutschen“. Dies gehe aus einer gerade aktualisierten Langzeitstudie von Prof. Dr. Horst W. Opaschowski hervor. Für ihn sei das ein guter Grund während der Tagung nochmals „ganz, ganz genau“ und „ganz, ganz kritisch“ auf die Neuen Medien zu schauen. Ein eigenartiger Einstieg für eine Tagung, die sich dem Titel nach auch mit Chancen und Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs beschäftigen soll.

Es bleibt jedoch nicht beim Eigenartigen. Hoyer und Dittler skandalisieren gleich zu Beginn die Rolle der Computerspieleindustrie. Per E-Mail sei man bedroht worden. Dies gelte auch für einen Referenten, der sich nicht mehr frei vor der Presse zu äußern wage. Gemeint ist Rainer Fromm. „Die Spieleindustrie spielt nicht mehr, sie macht jetzt ernst“ sagt Dittler. Anschauungsmaterial zum Thema Computerspiele folgt auf dem Fuße: Ein Trailer für das gerade erschienene Spiel „Left 4 Dead 2“, in dem bildgewaltig Zombies gemetzelt werden. „Was schauen Sie denn so besorgt?“ fragt Dittler in die Runde. „Ist doch nur ein Kinderspiel!“ Genau das ist es aber nicht. Aus gutem Grund wurde das Spiel von der USK erst ab 18 Jahren – also ausschließlich für Erwachsene – freigegeben.

Die Nachfrage bei Hoyer und Dittler wegen der Bedrohung durch E-Mails ergibt: Zwei anonyme Mails sind eingegangen, mutmaßlich von derselben Person geschrieben. Referent Fromm wird dort scharf kritisiert und als disqualifizierend für die Tagung bezeichnet. Die Veranstalter wurden aufgefordert, den Referenten auszuladen. Einen Beleg, dass ein Spielehersteller hinter den Mails stecke, gibt es nicht, räumt Dittler ein. Der würde sich wohl kaum eines solchen Mittels bedienen. Warum er dies dennoch öffentlich andeute, darauf bleibt Dittel die Antwort schuldig. Hoyer spürt jedoch ein starkes Bedürfnis nach weiterer Abgrenzung. Seine Veranstaltung sei „total unabhängig“, denn sie werde nicht von der Industrie gesponsert. Das sei bei Kollegen anders, die seien längst „von der Spieleindustrie gekauft“ worden. Bei 95,- Euro Teilnehmerbeitrag ohne Verköstigung und Übernachtung hätte man sich allerdings als Teilnehmer einen Sponsor gewünscht. Es muss ja nicht gleich die Spieleindustrie sein.

Was macht Rainer Fromm zu einer solchen Reizfigur für Teile der Gamer-Szene? Der Mann fasziniert durchaus, wenn man ihm zuhört. Man spürt, hier hat jemand das Thema seines Lebens gefunden. Fromm spricht eine Stunde lang ohne Punkt und Komma. Er setzt sein Publikum einem Wechselbad von Gefühlen aus und schockiert immer wieder mit Szenen extremer Gewaltdarstellung aus Spielen, die nicht indiziert wurden, zumeist für ab 16-Jährige oder für Erwachsene freigegeben wurden. Der Inhalt des Jugendschutzgesetzes wird in Deutschland nicht angewendet, sagt Fromm. Diese These wäre eine Diskussion wert gewesen, die aber gibt es nicht. Stattdessen gibt es ein zweite These: Virtuelle Gewalt wird zu realer Gewalt. Fromm hat Einzelinterviews mit jugendlichen Straftätern geführt, die sich auf Grund verminderter Schuldfähigkeit in psychiatrischer Behandlung befinden. „Crossmediale Nutzung von Gewaltdarstellung“ hat er bei ihnen festgestellt. Ausgangspunkt ist oft ein Horrorfilm. Dazu kommen dann das Spiel und der Comic zum Film. Ohnmächtig hätten sich die Jugendlichen im wirklichen Leben gefühlt, mächtig in ihrem virtuellen Leben. Beides hätten sie an irgendeinem Punkt nicht mehr auseinanderhalten können. Man spürt es geradezu, wie sich Fromm immer wieder selbst vor einfachen Schlüssen zu schützen versucht, sich selbst als Gamer outet, Angebote an die Gamer-Szene macht, für differenzierte Betrachtung wirbt – und dann doch bei den einfachsten Schlüssen landet. Eingebettet in einen Diskurs wäre Fromm mit seiner lebhaften Darstellung ein Gewinn gewesen. Diesen Diskurs aber gibt es nicht. Von wenigen Ausnahmen abgesehen jagt ein Horrorszenario das nächste: mediale Gewalt, Spielesucht, Oberflächlichkeit der Online-Kommunikation, sexuelle Verwahrlosung, Online-Kriminalität, Cyber-Mobbing.

Pädagoginnen und Pädagogen, die auf der Suche nach Wegen sind, jugendliche Mediennutzung zum Gegenstand von Unterricht oder Angeboten der offenen Jugendarbeit zu machen, wurden nur im Beitrag von Verena Ketter fündig. Ketter stellte sehenswerte medienpädagogische Projektbeispiele aus kommunalen Einrichtungen in Wiesbaden vor. Der größte Teil der Veranstaltung dürfte jedoch bei den Teilnehmenden ein Gefühl von Ohnmacht ausgelöst haben. Bestätigt fühlen durfte sich, wer es schon immer gewusst hat: Internet, Computer und Spiele sind schlecht. Zu mehr als dem Ruf nach dem Gesetzgeber führt dies aber nicht.

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