Sexueller Missbrauch

Betroffenensensibel berichten – aber wie?

Das Team des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) hat gemeinsam mit dem Betroffenenrat ein neues Serviceangebot für Medien erstellt: Kostenfreie, nicht skandalisierende Stockfotos, Tipps für die Berichterstattung und weitere Tools für eine betroffenensensible Berichterstattung zu sexuellem Missbrauch.

29.03.2022

Betroffenenrat und Berater:innen des Hilfe-Telefons Sexueller Missbrauch haben intensiv an der Erstellung des Servicepakets mitgewirkt, das Medienvertreter(inne)n nun auf der UBSKM-Site kostenfrei zur Verfügung steht. Hierzu gehören:

  • Stockfotos zur freien Nutzung
  • Tipps für Medien für eine betroffenensensible Berichterstattung
  • Tipps für Betroffene im Umgang mit Medien
  • Kurztexte und Logos zum Verweis auf Hilfeangebote in den Medien

Zudem stellten der Betroffenenrat und das Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch Ansprechpersonen vor, die den Medien für Interviews und Hintergrundgespräche zur Verfügung stehen.

Neue Bilder gegen falsche Mythen und skandalisierende Darstellungen

Wie das Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in den Medien bildlich dargestellt wird, beeinflusst den gesellschaftlichen Blick auf Betroffene und Täter(inne)n. Die Bildsprache zu sexuellem Kindesmissbrauch reproduziert aber immer noch viele falsche Mythen und ist oft skandalisierend, schockierend und furchteinflößend. Die Bilder männlicher Schattenrisse hinter Spielplatzschaukeln beispielsweise bedienen gleich zwei Stereotype, die nicht stimmen: Die meisten Kinder werden nicht von Fremdtäter(inne)n missbraucht, sondern von Menschen aus ihrem sozialen Umfeld (meist der Familie), und nicht nur Männer, sondern auch Frauen können Kinder missbrauchen. Bestimmte Motive können bei Betroffenen außerdem Erinnerungen an traumatische Erlebnisse hervorrufen (Trigger).

Es liegt daher auch in der Verantwortung von Medienmacher(inne)n und Bildagenturen, Fotos zu nutzen oder zur Verfügung zu stellen, die eine emotionale Reaktion ermöglichen, ohne zu verstören oder Stereotype zu bedienen. Das UBSKM-Team hat deshalb einen Grundstock an Fotos anfertigen lassen, mit denen Berichterstattung bebildert werden kann, ohne Klischees zu bedienen. Die neuen Stockfotos sollen dazu beitragen, eine sachlich angemessene Bildsprache zum Thema sexueller Kindesmissbrauch zu wählen.

„Betroffenensensible Berichterstattung spiegelt sich auch in der Bildsprache wieder. Die Fotos von Teddys am Straßenrand oder verwaisten Schaukeln auf Spielplätzen waren schon immer fehl am Platze, denn Missbrauch findet nicht „irgendwo“ an fremden Orten statt - sondern meist in den alltäglichen Lebenswelten der Kinder und durch Menschen, die ihnen besonders nahestehen. Gerade die Entwicklung der Fotoangebote im Bilderpool war uns eine Herzensangelegenheit und wir hoffen auf eine breite Verwendung.“ sagt Angela Marquardt, Mitglied im Betroffenenrat.

Betroffene nicht auf ihre „Opfer“-Geschichte reduzieren

Sexuelle Gewalt – egal in welcher Form – ist ein einschneidendes Erlebnis für Betroffene. Dadurch ergibt sich für Medien eine besondere Verantwortung zur sensiblen Berichterstattung. Das bedeutet nicht nur ein einfühlsames Vorgehen während des Interviews, auch die Vor- und Nachbereitung kann in solchen Fällen intensiver ausfallen. Schon bei der Kontaktaufnahme im Vorfeld des Interviews ist ein würdevoller und betroffenensensibler Umgang von großer Bedeutung. Viele Betroffene lehnen es beispielsweise ab, als „Opfer“ bezeichnet zu werden. Wichtig ist auch, Betroffenen in Interviews so viel Entscheidungsspielraum wie möglich zu geben, damit sie nicht erneut in eine ohnmächtige Haltung gedrängt werden. Auch die Art und Weise, wie Gewalttaten beschrieben werden, sollte gut überlegt sein. Im Zusammenhang mit sexueller Gewalt von „Sex“ zu schreiben oder zu sprechen ist beispielsweise problematisch. Auch Details eines Missbrauchs zu beschreiben, kann retraumatisierend für Betroffene sein – und schlimmstenfalls sogar Täter:innen stimulieren.

„Wer über seine persönliche Geschichte und die erlittene sexualisierte Gewalt öffentlich spricht, darf ein einfühlsames Vorgehen und grundlegendes Wissen zum Thema von Medienvertreter:innen erwarten. Die Aufklärung über diese alltäglichen Verbrechen darf nicht auf Kosten der Betroffenen gehen. Aus diesem Grund war es dem Betroffenenrat ein wichtiges Anliegen, in die vorliegenden Tipps seine eigenen Erfahrungen mit einfließen zu lassen.“ so Nicolas Haaf,ein weiteres Mitglied des Betroffenenrats.

Hilfeangebote bei der Berichterstattung benennen, damit alle Unterstützung finden können

Oft suchen Betroffene oder Menschen aus dem Umfeld von Kindern nach Berichten zum Thema vermehrt nach Hilfe- und Unterstützungsangeboten. Es sollte deshalb bei der Berichterstattung über sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen (vergleichbar der Berichterstattung zu Suizid oder Depression) auf die bundesweiten Hilfeangebote hingewiesen werden, zum Beispiel in Form eines Hinweis-Textes oder Abbinders oder durch das Einbinden/Einblenden der Logos des Hilfe-Portals Sexueller Missbrauchs www.hilfe-portal-missbrauch.de oder des kostenfreien Hilfe-Telefons Sexueller Missbrauch 0800 – 22 55 530.

„Wenn Medien über sexuellen Kindesmissbrauch berichten, sollten sie immer auf bestehende Hilfeangebote hinweisen. Bei uns rufen viele Menschen an, die durch Berichterstattungen an die eigene Geschichte erinnert werden und Unterstützung brauchen. Und es melden sich Menschen, die eine Vermutung oder einen Verdacht auf sexuellen Kindesmissbrauch haben und sich durch Berichte trauen, Hilfe zu suchen. Wenn man nicht weiß, wohin man sich wenden kann, bleibt man mit diesem Gefühl alleine zurück und Kindern wird nicht geholfen. Da haben Medien eine wirklich wichtige Rolle im Hilfesystem.“ sagt Silke Noack, die Leiterin des Hilfe-Telefons Sexueller Missbrauch.

Quelle: Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs vom 24.03.2022

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