Massenzustrom-Richtlinie

Solidarische Flüchtlingsaufnahme in der Europäischen Union stärken

Angesichts der anhaltenden Kriegssituation und der damit einhergehenden großen Anzahl von Flüchtlingen braucht es eine solidarisch und flexibel gestaltete Verteilung innerhalb der EU, um die Erstaufnahmestaaten zu entlasten. Dies könnte durch die pragmatische Nutzung verschiedener Instrumente wie Mindestkontingente und Matching-Verfahren erfolgen, die die derzeit freie Wahl des Ziellandes ergänzen. Zu diesem Schluss kam der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR).

04.04.2022

Mit der Aktivierung der Richtlinie über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes („Massenzustrom-Richtlinie“) hat die EU die Weichen für eine schnelle und unkomplizierte Unterstützung von Flüchtlingen aus der Ukraine gestellt:

„Es war eine historische Entscheidung im Sinne des Flüchtlingsschutzes und ein Zeichen, dass Europa hier ebenso pragmatisch wie solidarisch agiert. Angesichts der hohen Zahlen steht aber die Verteilungsfrage erneut auf der politischen Agenda“, sagte Prof. Dr. Petra Bendel, Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR).

Rund 3,9 Millionen Menschen sind bereits nach Einschätzung des UNHCR aus der Ukraine geflohen. Die meisten von ihnen haben bislang Schutz in der europäischen Nachbarschaft gefunden: in Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik, Slowakei, Rumänien sowie der Republik Moldau.

„Wir brauchen einen solidarischen Ausgleich, um Erstaufnahmestaaten in Mittel- und Osteuropa zu entlasten und über eine Verteilung eine möglichst gute Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine mit Zugang zu Gesundheitsleistungen, Bildung und Arbeit zu gewährleisten. Die derzeitige Aufnahmebereitschaft ist beeindruckend, die Zivilgesellschaft leistet wieder Beachtliches – auch in Deutschland. Eine dauerhafte Überforderung in wenigen Staaten muss aber vermieden werden“, so Prof. Bendel.

Die Richtlinie zur Gewährung vorübergehenden Schutzes regelt wichtige rechtliche, organisatorische und gesellschaftspolitische Fragen, darunter den Zugang zu einer Unterkunft, der Gesundheitsversorgung, zu Bildung und zum Arbeitsmarkt. Zudem können temporär Schutzberechtigte ihr Zielland derzeit frei wählen.

„Vom jahrelangen Streit in der EU über eine solidarische Verteilung ist im Moment nicht viel zu spüren, vielmehr gibt es einen breiten Konsens über die Idee der doppelten Freiwilligkeit, die Grundlage der Richtlinie ist, wonach Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis Flüchtlinge aufnehmen, die ihrerseits freiwillig entscheiden, wohin sie gehen wollen. Je länger der Krieg dauert und je mehr Flüchtlinge kommen, die nicht über persönliche Netzwerke verfügen, desto mehr wird die Verteilungsfrage an Relevanz gewinnen“, so Prof. Dr. Daniel Thym, stellvertretender SVR-Vorsitzender.

Die Kommission will über eine sogenannte Solidaritätsplattform die freiwilligen Maßnahmen wie finanzielle und logistische Hilfe oder die Zusage zur Aufnahme von Flüchtlingen koordinieren.

„Aus Sicht des SVR bietet sich ein mehrgleisiger Ansatz an, um die Solidarität innerhalb der EU mit Leben zu erfüllen“, so die SVR-Vorsitzende: „Erstens wird es weiterhin eine Verteilung durch die Entscheidungen der Flüchtlinge geben, die über Kontakte in Mitgliedstaaten verfügen. Zweitens könnten Mitgliedstaaten, die noch vergleichsweise wenige Flüchtlinge aufgenommen haben, entsprechend ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten Mindestkontingente für eine Flüchtlingsaufnahme beziffern oder sonstige, zum Beispiel logistische, Hilfe bei der Verteilung und Aufnahme leisten. Bei den Pledges verfügt die EU schon über Erfahrungen aus dem Resettlement. Drittens könnten perspektivisch bedarfsgerechte Matching-Verfahren sinnvoll sein, um aufnahmewillige Mitgliedstaaten und die dortigen Kommunen mit den Flüchtlingen zusammenzubringen, die dort hinwollen. Denkbar wäre eine Art Vermittlungsplattform, auf der potenzielle Aufnahmegemeinden Schutzberechtigte über dortige Möglichkeiten in Bezug auf Arbeit, Bildung oder Wohnraum informieren können.“

Der stellvertretende SVR-Vorsitzende Thym ergänzte: „Aufnahmeländer, die besonders vielen Flüchtlingen aus der Ukraine Schutz gewähren, müssen zudem logistisch und finanziell von der EU unterstützt werden. Dies gilt auch für Nicht-EU-Staaten wie die Republik Moldau.“

Quelle: Sachverständigenrat für Integration und Migration vom 28.03.2022

Redaktion: Pia Kamratzki

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