Flucht und Migration

Schnellere Integration wenn Geflüchtete den Asyl- und Aufnahmeprozess verstehen

Wenn Flüchtlinge nach Deutschland kommen, müssen sie rasch durchschauen, wie Aufnahme und Asylverfahren geregelt sind, welche Einrichtungen wofür zuständig sind und welche Rechte, Pflichten und Möglichkeiten sie haben. Eine Untersuchung zeigt jedoch, dass das komplexe Asyl- und Aufnahmesystem in Deutschland für Schutzsuchende wenig transparent ist. Informations- und Beratungsstrukturen können Asyl- und Aufnahmeprozesse sowie die Integration beschleunigen.

02.07.2018

Im Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien vereinbart, dass „Asylverfahren schnell, umfassend und rechtssicher bearbeitet werden“ sollen. Außerdem soll zukünftig eine „unabhängige und flächendeckende Asylverfahrensberatung“ stattfinden. In dem Policy Brief „Viele Fragen, zu viele Antworten? Die Transparenz des Asyl- und Aufnahmesystems für Flüchtlinge“ (PDF 465 KB) hat der Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration gemeinsam mit der Robert Bosch Stiftung GmbH untersucht, wie gut Flüchtlinge die Regelungen, Prozesse und Strukturen des Asyl- und Aufnahmesystems sowie die Rolle der beteiligten Einrichtungen verstehen und wie gut sie über Teilhabemöglichkeiten informiert sind. Analysiert wurde auch, wie Systemtransparenz und Orientierungswissen verbessert werden können. Wenn Flüchtlinge diese Prozesse verstehen, können sie selbstbestimmter handeln und besser mitwirken. Das entlastet das Unterstützungssystem und beschleunigt das Verfahren, aber auch die Integration.

Wie gelingt Integration?

Im Rahmen der gemeinsamen Studie des SVR-Forschungsbereichs und der Robert Bosch Stiftung „Wie gelingt Integration? Asylsuchende über ihre Lebenslagen und Teilhabeperspektiven in Deutschland“ wurden im vergangenen Jahr 62 Asylsuchende aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Pakistan, Albanien, dem Kosovo und Mazedonien in qualitativen Interviews zu ihren Lebenslagen in Deutschland befragt. Die Teilnehmenden lebten zu diesem Zeitpunkt in Bayern, Niedersachsen und Sachsen, waren erst kurze Zeit in Deutschland und hatten noch keinen sicheren Aufenthaltsstatus. Das Datenmaterial dieser Studie wurde für den aktuellen Policy Brief hinsichtlich der Frage ausgewertet, wie gut Flüchtlinge das Aufnahme- und Asylsystem verstehen. Ergänzend flossen Erkenntnisse aus Hintergrundgesprächen ein, die der SVR-Forschungsbereich von Januar bis März 2018 mit Expertinnen und Experten aus Behörden und Verwaltungen, der Flüchtlingssozialarbeit und -beratung, der zivilgesellschaftlichen Flüchtlingshilfe sowie der Wissenschaft geführt hat. Gleichzeitig wurde erhoben, auf welche Art und Weise die verschiedenen am Aufnahmeprozess beteiligten Stellen wie BAMF, Bundesagentur für Arbeit und zivilgesellschaftliche Unterstützergruppen Flüchtlingen entsprechende Informationen vermitteln und welche kommunikativen Kanäle sie dafür nutzen.

Transparenz steigert die Akzeptanz des Verfahrens

„Alle wünschen sich schnellere und rechtssichere Asylverfahren und eine rasche Integration der anerkannten Flüchtlinge: die Flüchtlinge, um die Unsicherheit zu beenden und in Deutschland möglichst schnell auf eigenen Beinen stehen zu können, ebenso wie die Behörden“, so Dr. Jan Schneider, Leiter des SVR-Forschungsbereichs. „Der Policy Brief zeigt, dass das komplexe Asyl- und Aufnahmesystem diesem Ziel zum Teil selbst im Wege steht, denn es ist für Flüchtlinge schwer zu durchschauen. Länder und Kommunen sollten deshalb bei der Auslegung von Bundesgesetzen ihren Spielraum im Sinne der Flüchtlinge nutzen und die Regelungen möglichst kohärent gestalten“, rät Dr. Schneider. „Dadurch könnten Flüchtlinge die Regelungen besser nachvollziehen und am Verfahren mitwirken. Das steigert die Akzeptanz des Verfahrens durch die Flüchtlinge und auch gesellschaftliche Teilhabe kann beschleunigt werden, wenn Flüchtlinge wissen, wie und unter welchen Voraussetzungen sie Zugang zu Bildungsangeboten oder Arbeitsmarkt haben. Die geplante flächendeckende Asylverfahrensberatung ist daher ein wichtiger Schritt.“

Persönliche Beratung als wichtigster Zugang

Der wichtigste Zugang zu Wissen über das Asyl- und Aufnahmesystem ist die persönliche Beratung. „Dabei braucht es nicht unbedingt mehr Angebote für Informationsvermittlung, sondern Angebote, die besser auf die Bedarfe der Zielgruppe zugeschnitten sind und diese auch erreichen“, hebt Dr. David Schiefer hervor, der Autor des Policy Briefs. „Zentrale Anlaufstellen können z.B. die Orientierung erleichtern und Vertrauen schaffen, mündliche Beratung in der Herkunftssprache verbessert die Informationsvermittlung. Zudem sollten die beteiligten Einrichtungen und Personen vernetzt sein, um parallele Bearbeitungsprozesse zu vermeiden.“ Berater und Beraterinnen müssen nicht nur über das nötige fachlich-inhaltliche Wissen verfügen, sondern auch über kommunikative und interkulturelle Fähigkeiten – hier fehlt es mancherorts noch an entsprechenden Schulungsangeboten.

Ottilie Bälz, Leiterin des Themenbereichs Gesellschaft der Robert Bosch Stiftung, warnt vor kurzfristigen Reaktionen auf die gesunkenen Flüchtlingszahlen: „Die Einrichtungen des Asyl- und Aufnahmesystems müssen personell, fachlich und kommunikativ so ausgestattet sein, dass sie Flüchtlinge angemessen informieren und beraten können. Beratungs- und Unterstützungsstrukturen dürfen daher nicht zu stark rückgebaut werden, nur weil die Zahl neu ankommender Flüchtlinge sinkt. Flüchtlinge, die sich im Asyl- und Aufnahmesystem befinden, brauchen angemessene Informationsvermittlung und Beratung, um aktiv am Prozess mitwirken zu können und gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten zu nutzen.“

Über den Forschungsbereich beim Sachverständigenrat

Der Forschungsbereich beim Sachverständigenrat führt eigenständige, anwendungsorientierte Forschungsprojekte zu den Themenbereichen Integration und Migration durch. Die projektbasierten Studien widmen sich neu aufkommenden Entwicklungen und Fragestellungen. Schwerpunkte der Forschungsvorhaben sind die Themenfelder Bildung und Flucht/Asyl. Der SVR-Forschungsbereich ergänzt die Arbeit des Sachverständigenrats. Die Grundfinanzierung wird von der Stiftung Mercator getragen.

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration geht auf eine Initiative der Stiftung Mercator und der VolkswagenStiftung zurück. Ihr gehören weitere fünf Stiftungen an: Bertelsmann Stiftung, Freudenberg Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stifterverband und Vodafone Stiftung Deutschland. Der Sachverständigenrat ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Expertengremium, das zu integrations- und migrationspolitischen Themen Stellung bezieht und handlungsorientierte Politikberatung anbietet.

Quelle: Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) GmbH vom 28.06.2018

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