Flucht und Migration

Recht auf Bildung und kulturelle Teilhabe geflüchteter Kinder und Jugendlicher umsetzen

In einer Stellungnahme fordert die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) die umfassende Umsetzung der Kinder- und Jugendrechte für geflüchtete Kinder und Jugendliche. Sie beschreibt Verantwortung und potenziellen Beitrag Kultureller Bildung und formuliert konkreten Handlungsbedarf.

14.10.2015

Kulturelle Bildung in einer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft

Die Stellungnahme der BKJ im Wortlaut:

Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung und Not in Deutschland ankommen, haben dieselben Rechte wie alle jungen Menschen. Es liegt in der gemeinsamen Verantwortung staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure, ihr Ankommen im Sinne der Kinder- und Jugendrechte zu gestalten und Ausgangsbedingungen für ein selbstbestimmtes Leben zu schaffen. Wir sind aufgefordert, zu gewährleisten, dass geflüchtete Kinder und Jugendliche umfassend in ihrem Wohlergehen geschützt werden, Zugang zu Bildung erhalten und die deutsche Sprache erlernen können. Dies ermöglicht und erfordert gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe.

Deutschland ist schon lange ein Einwanderungsland. Dies gilt es endlich umfänglich anzuerkennen und in einem gesamtgesellschaftlichen Prozess aktiv zu gestalten. Wir müssen unser Zusammenleben im Sinne einer transkulturellen, von Vielfalt geprägten Gesellschaft weiterentwickeln. Dieser Transformationsprozess hat eine starke kulturelle Dimension. Deshalb tragen Akteure Kultureller Bildung Mitverantwortung, ihn bestmöglich zu gestalten im Sinne der Menschen, die in Deutschland leben – unabhängig davon, wie lange schon.

Die BKJ fordert in ihrer Anwaltschaft für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene die Einhaltung des Menschenrechtes auf Asyl und spricht sich gegen die Abschottung Europas und Deutschlands gegen Schutzsuchende aus. Das Recht auf Zugang zu einem Asylverfahren und auf Prüfung des Schutzbegehrens muss beachtet werden. Es gilt, Menschen zu schützen – nicht Grenzen.

Die in der BKJ zusammengeschlossenen Fachorganisationen der Kulturellen Bildung wollen einen nachhaltigen Beitrag als zivilgesellschaftliche Akteure in ihrer jugend-, kultur- und bildungspolitischen Verantwortung leisten. Die Mitglieder der BKJ engagieren sich in fachlichen Netzwerken, in den Bundesländern und vor Ort in den Kommunen, in sozialräumlichen Strukturen, außerschulischen Angeboten und in Schulen dafür, die verändernde Kraft ästhetisch-kultureller Praxis zu erschließen.

Kinder- und Jugendrechte umfassend umsetzen

Die Rechte junger Menschen, die nach einer Flucht in Deutschland ankommen und hier leben, sind sowohl im deutschen Sozialgesetzbuch – etwa im Kinder- und Jugendhilfegesetz – als auch in internationalen Übereinkommen[1] festgeschrieben. Förderung und Stärkung ihrer Entwicklung gehören ebenso dazu, wie das Recht, vor Gefahren für das eigene Wohl geschützt zu werden[2]. Dies hat u. a. zur Konsequenz, dass geflüchtete Kinder und Jugendliche frühestmöglich Zugang zu einer qualifizierten Begleitung durch Fachkräfte erhalten müssen.

Auch Träger und Fachstrukturen Kultureller Bildung sind als zivilgesellschaftliche Akteure gefragt, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass neu hier lebende Kinder und Jugendliche  an sozialräumlichen Infrastrukturen partizipieren können. Diese jungen Menschen müssen Möglichkeiten der Mitbestimmung und Mitgestaltung ihres Lebensumfeldes erhalten anstatt Marginalisierung zu erfahren. Solche Teilhabechancen sind Voraussetzungen für Gesundheit und Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen[3], die unteilbar mit der Realisierung des Rechtes auf Bildung verbunden sind. Das Recht auf Bildung aller Kinder und Jugendlichen umfasst neben der formalen Bildung in Kindertagesstätten und Schulen auch außerschulische und non-formale Bildungsgelegenheiten. Diese Rechte bleiben geflüchteten Kindern und Jugendlichen jedoch gegenwärtig weitestgehend verwehrt.[4] Dies erschwert ihre Entwicklung zu starken Persönlichkeiten und integrierten Bürger/innen, die souverän in die eigene Zukunft blicken können. Das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen hat die Erfahrung von Anerkennung und die Möglichkeit, Zuversicht zu entwickeln zur Grundlage.[5] Geflüchtete Kinder und Jugendliche bringen ihre je individuellen Stärken, Fähigkeiten und Interessen mit, die auch –  aber eben nicht nur – durch ihre aktuelle Situation geprägt sind.

Zum Ausdruck bringen, wofür Worte fehlen – sichtbar und hörbar werden

Einrichtungen und Vereine aus dem Bereich der Kulturellen Bildung und der Soziokultur haben eine langjährige Praxis in der Arbeit sowohl mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten als auch mit Kindern und Jugendlichen, die mit ihren Familien nach Deutschland kommen. Diese Erfahrungen zeigen: sowohl die aktive als auch die rezeptive Beschäftigung mit künstlerischen Prozessen kann für Kinder und Jugendliche in dieser herausfordernden Lebenssituation wertvoll sein. In einer noch fremden Umgebung, in der sprachliche Verständigung schwerfällt, können künstlerische Ausdrucksformen Wege der Auseinandersetzung mit dem Unbekannten sein, aber auch mit dem Erlebten, eigenen Gedanken und Gefühlen. Auf künstlerischem Wege können junge Menschen sich auf einer anderen Ebene damit auseinandersetzen und zum Ausdruck bringen, wofür ihnen Worte fehlen. Sie werden als Individuen sicht- und hörbar, mit einer Geschichte, einer Gegenwart und einer Zukunft. Beheimatete und Geflüchtete können individuelle und kulturelle Prägungen, persönliche Fähigkeiten, Talente und Stärken beitragen und gemeinsam hybride Kulturformen erschaffen. Dieser Prozess ermöglicht Orientierung, unterstützt Identitätsbildung und soziales Bewusstsein, unabhängig davon, ob man in Deutschland geboren, zugewandert oder hierhin geflohen ist.
Die spezifischen Potentiale künstlerischer Prozesse und kultureller Ausdrucksformen sind wertvoll – "im Konzert" mit anderen Disziplinen und Praxisfeldern. Kulturelle Bildung hat einen eigenen Auftrag in ihrer Verantwortung für kulturelle Teilhabe geflüchteter Kinder und Jugendlicher und für eine vielfältige Einwanderungsgesellschaft.

Ehrenamt kann Hauptamt nicht ersetzen. Ehrenamtlich Engagierte leisten unverzichtbare Arbeit in der Unterstützung, Begleitung und Förderung Geflüchteter. Und dies oft trotz widriger Umstände. Auch das Praxisfeld der Kulturellen Bildung wird von einem starken ehrenamtlichen Engagement mitgetragen. Dieses Engagement braucht verlässliche Strukturen als Gegenüber, die es koordinieren, absichern und qualifizieren. Für bestimmte Aufgabenbereiche sind hauptamtliche Fachkräfte unverzichtbar. So kann die Unterstützung traumatisierter Menschen beispielsweise nicht von ehrenamtlich Engagierten allein geleistet werden. Insbesondere freie Träger brauchen hauptamtlich Tätige, um Verantwortung langfristig übernehmen zu können.

Jetzt nachhaltig handeln!

Die Rahmenbedingungen für ein menschenwürdiges Leben und einen hoffnungsvollen Neuanfang in Deutschland müssen auf politischer Ebene geschaffen und durch notwendige Umstrukturierungen und Finanzressourcen begleitet werden. Wir müssen Kinder und Jugendliche, die auf der Flucht nach Deutschland kommen in ihren Fähigkeiten stärken, aktiv an der Gesellschaft teilzuhaben und dafür sorgen, dass sie faire Chancen erhalten, ihr Leben und ihre Zukunft selbst zu gestalten. Die Verantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen sind gefordert, gemeinsam mit öffentlichen und freien Trägern bestehende Konzepte und Strukturen dahingehend weiterzuentwickeln, dass sie in der Lage sind, auch die besonderen Lebenslagen von geflüchteten Kindern und Jugendlichen zu erfassen und Interessen sowie Erfahrungen geflüchteter Kinder und Jugendlicher zu berücksichtigen.

Vor Ort und in der konkreten Praxis sollten:

  • sozialräumliche Verantwortungsgemeinschaften von Akteuren aus den Bereichen Jugend, Bildung und Kultur ausgeweitet werden
  • freie Träger und öffentliche Einrichtungen aus verschiedenen Politikfeldern Abgrenzungen und Vorbehalte überwinden und stattdessen wirkungsvoll zusammenarbeiten
  • die verschiedenen Bereiche der Jugendhilfe und Jugendarbeit untereinander sowie mit Akteuren der Flüchtlingshilfe und aus dem kulturellen Bereich kooperieren

Träger und Fachstrukturen der Kulturellen Bildung sollten:

  • langfristig tragfähige Angebote und Konzepte entwickeln sowie Netzwerke aufbauen, die geflüchteten Kindern, Jugendlichen und ihren Familien Zugang zu Angeboten der Kulturellen Bildung ermöglichen sowie Begegnung und Austausch von Beheimateten und Geflüchteten ermöglichen
  • insbesondere Angebote an und in Kooperation mit Schulen ausbauen, um größtmögliche Zugangschancen zu schaffen
  • für Akteure und Fachkräfte Plattformen des Austauschs und Möglichkeiten der Qualifizierung schaffen

Politik und Verwaltung auf den Ebenen Bund, Länder und Kommunen sollten:

  • mit der unbürokratischen Förderung von Sofort-Maßnahmen Trägern und Fachorganisationen die Möglichkeit geben, ihre Angebote zu öffnen und zu erweitern
  • Förderprogramme, wie etwa den Fonds Soziokultur, mit zusätzlichen Mitteln ausstatten um dem steigenden Bedarf an Projekten und Angeboten Rechnung zu tragen
  • Foren des Austauschs und Qualifizierungsangebote durch zusätzliche
  • Förderung ermöglichenbestehende Infrastrukturen für Koordination und ressortübergreifende Planung stärken

Die BKJ hält es für wichtig, trotz der zum Teil dramatischen aktuellen Situation, nicht in Aktionismus zu verfallen, sondern neben kurzfristig realisierbaren Angeboten und Kooperationen vor allem nachhaltige Strukturen der Vernetzung, Qualifizierung, Beratung und Förderung aufzubauen. Nur so können wir langfristig die nötigen Zugänge schaffen und diskriminierungssensible kulturelle Bildungsarbeit ermöglichen.

[1] z.B. in der UN-Kinderrechtskonvention oder der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
[2] vgl. SGB VIII
[3] vgl. 13. Kinder- und Jugendbericht
[4] vgl. DJI Impulse 1/2014 <link http: www.dji.de fileadmin user_upload bulletin d_bull_d bull105_d dji_1_14_web.pdf external-link-new-window publikation dji impulse als>"(Über)Leben. Die Probleme junger Flüchtlinge in Deutschland"
[5] Vgl. <link https: www.jugendgerecht.de eigenstaendige-jugendpolitik grundsaetze-und-ziele external-link-new-window informationen zu den grundsätzen und zielen einer eigenständigen>Grundsätze und Ziele sowie <link https: www.jugendgerecht.de eigenstaendige-jugendpolitik leitlinien external-link-new-window informatione zu den einer eigenständigen>Leitlinien einer Eigenständigen Jugendpolitik

<link http: www.bkj.de fileadmin user_upload documents downloads external-link-new-window stellungnahme als>>> Zum Download der BKJ-Stellungnahme zur kulturellen Teilhabe Geflüchteter (PDF, 290 KB)

Hintergrundinformation

Die <link https: www.jugendhilfeportal.de institution bundesvereinigung-kulturelle-kinder-und-jugendbildung-ev external-link-new-window informationen zur>Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e.V. ist der Dachverband der Kulturellen Kinder- und Jugendbildung in Deutschland. Sie ist ein Zusammenschluss von 57 bundesweit agierenden schulischen und außerschulischen Institutionen, Fachverbänden und Landesdachorganisationen der Kulturellen Bildung. Die Mitgliedsorganisationen repräsentieren die unterschiedlichen Künste, Kultursparten und kulturpädagogischen Handlungsfelder. Ihr Ziel ist die Weiterentwicklung und Förderung der Kulturellen Bildung: gesellschaftlich sensibel, nachhaltig, möglichst für jeden Menschen zugänglich, von Anfang an und ein Leben lang.

Quelle: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V. (BKJ) vom 06.10.2015

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