Flucht und Migration

Masterplan Migration: Deutliche Kritik der Wohlfahrtsverbände

Mehrere Wohlfahrtsverbände kritisieren den von Bundesinnenminister Seehofer am 10. Juli 2018 vorgestellten Masterplan Migration. Der Plan sei „veraltet, inhuman und nicht praktikabel“, sagt Caritas-Präsident Neher in einem Pressestatement. Der Paritätische kritisiert auch die Sprache und fordert dazu auf, die Menschenrechte nicht weiter in Frage zu stellen. Die Diakonie fordert eine Politik der christlichen Grundsätze und einheitliche Regelungen in Europa. Die AWO hatte bereits in der letzten Woche Schutz und Rechtssicherheit für Menschen auf der Flucht gefordert und an die gescheiterte Evian-Konferenz vor 80 Jahren erinnert.   

11.07.2018

Caritas: Veraltet, inhuman und nicht praktikabel 

Der Masterplan Migration des Bundesinnenministers sei im Wesentlichen eine Aneinanderreihung vager Absichtsbekundungen, Wiederholung altbekannter Forderungen und einzelner Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag. Die aktuellen Vereinbarungen des Koalitionsausschusses seien nicht aufgenommen worden, so dass der Plan bereits mit seiner Veröffentlichung veraltet ist. Statt für Klarheit zu sorgen, würden neue Fragen entstehen, sagte Caritas-Präsident Prälat Dr. Peter Neher in einem ersten Statement zu den am 10. Juli 2018 vorgestellten Plänen des Bundesinnenministers. 

„Fluchtmigration darf nicht unterbunden werden“

„Das zentrale Problem ist, dass der Eindruck vermittelt wird, Migration steuern und kontrollieren zu können. Was mit Blick auf Arbeitsmigration möglich und zulässig ist, kann für den Bereich der Fluchtmigration nicht funktionieren: Fluchtmigration darf nicht unterbunden werden und auch die Forderung nach Fluchtursachenbekämpfung bleibt eine hilflose Floskel. Die Flucht vor einem Krieg wie beispielsweise in Syrien kann nicht mit Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit kurzfristig verhindert werden.“

Leitmotive des Masterplans nicht erkennbar

Die Caritas verweist auf das erklärte Ziel des Bundesinnenministers mit dem Masterplan für Ordnung und Humanität zu sorgen. Die Humanität suche man bei den zahlreichen neu geschaffenen Sanktionen und Restriktionen allerdings vergeblich. Und auch das Bemühen, einen Bereich umfassend zu ordnen, der sich nationalstaatlicher Kontrolle weitgehend entziehe, sei zum Scheitern verurteilt oder wäre nur durch Verstöße gegen humanitäre Werte und völkerrechtliche Bestimmungen zu bewerkstelligen.

Paritätischer: Scharfe Kritik am „Masterplan Migration“ 

Der Paritätische kritisiert den von Bundesinnenminister Seehofer vorgestellten „Masterplan Migration“ aufs Schärfste. So werde ausschließlich von „Migration“ und „Migranten“ gesprochen, die in der Asylgesetzgebung verbrieften Rechte von Schutzsuchenden hingegen völlig außer Acht gelassen. Darüber hinaus kritisiert der Verband, dass unter den zentralen Begriffen der „Steuerung“ und „Ordnung“ de facto zahlreiche neue, restriktive Regelungen eingeführt würden, die teilweise sogar über die im Koalitionsvertrag vereinbarten Absichten hinausgingen, so zum Beispiel die längere Bezugszeit von abgesenkten Leistungen nach dem AsylbLG und dem Vorrang der Sachleistungsgewährung. Gleichzeitig fehle die ebenfalls im Koalitionsvertrag vereinbarte Einrichtung einer unabhängigen, also nichtstaatlichen Asylverfahrensberatung ganz. Auch die Einrichtung von sogenannten ANKerZentren, lehnt der Paritätische klar ab.

„ANKerzentren sind nichts anderes als Lager“ 

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands: „Begriffe wie ‚ANKerzentren‘ sollen uns in die Irre führen. Es handelt sich um nichts anderes als Lager.“ Großeinrichtungen zur Unterbringung von Geflüchteten müssten, laut dem Paritätischen, dringend vermieden und die Verteilung aus den Erstaufnahmeeinrichtungen in dezentrale Unterkünfte so früh wie möglich, spätestens nach drei Monaten erfolgen. Nur damit seien die Gewährleistung von Integrations- und Teilhabemöglichkeiten, unabhängig von der Bleibeperspektive, sichergestellt. Zudem kritisiert der Paritätische die Unterbringung von Schutzsuchenden in geschlossenen Lagern, weil damit die Anerkennung und Durchsetzung spezieller Unterbringungs-, Versorgungs- und Schutzbedarfe für besonders gefährdete und schutzbedürftige Flüchtlinge verunmöglicht sei.

Universalität der Menschenrechte in Frage gestellt

Völlig fehle dem Paritätischen im „Masterplan Migration“, die für das Gelingen einer „Steuerung“ und „Ordnung“ notwendige Bereitschaft, Schutzbedürftige im Rahmen von humanitären Aufnahme- oder Resettlementprogrammen im notwendigen Maße aufzunehmen und weitere legale Wege der Zuwanderung zu schaffen.
Für den Paritätischen ist überdies eine nationale oder europäische Flüchtlingspolitik, die im Kern vorrangig auf die Auslagerung des Flüchtlingsschutzes abzielt und sogar in Kauf nimmt, dass notwendige Seenotrettung unterbleibt, völlig inakzeptabel. „Wir erleben gerade, wie hier bei uns in Deutschland und Europa Menschenrechte mit Füßen getreten und ihre Universalität in Frage gestellt wird“, fügt Schneider hinzu. „Dies wird besonders deutlich im Umgang mit der zivilen Seenotrettung. Die Verrohung nimmt zu.“

Diakonie: Verschärfung des Migrationsrechts geht an der Wirklichkeit vorbei

Angesichts sinkender Flüchtlingszahlen in Deutschland geht die von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) geplante Verschärfung des Migrationsrechts an der Wirklichkeit vorbei,“ erklärt Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland. Die Herausforderung für die Gesellschaft liege in der Integration der Menschen, die nach Deutschland kämen. Dafür engagierten sich jeden Tag weiterhin Tausende von Haupt- und Ehrenamtlichen, die nun die vorbehaltlose Rückendeckung der Politik verlören. Statt die Engagierten zu stärken, würde der Masterplan Migration denjenigen hinterher laufen, die die humanitären Grundsätze der Gesellschaft aufkündigen wollten.

Politik der christlichen Grundsätze 

Täglich ertrinken Menschen im Mittelmeer. Deutschland darf sich nicht gemein machen mit europäischen Regierungen, die aus populistischen Gründen die Rettung aus Seenot verhindern. Eine solche Politik widerspricht allen christlichen Grundsätzen,“ stellt Lilie fest. 

Deutschland könne nicht alle Menschen aufnehmen, die sich hier ein besseres Leben erhofften. Das sei unbestritten. Aber gerade deshalb bräuchte es neben einem humanitären Asylrecht ein modernes Einwanderungsrecht. Genauso brauche es eine wirksame Bekämpfung der Fluchtursachen in den Ländern des Südens. 

Gleiche Standards und Kriterien in Europa 

Die Binnenmigration von Geflüchteten innerhalb der Staaten der Europäischen Union schließlich könne nur verhindert werden, wenn die EU-Mitgliedsstaaten sich bei der Gewährung von Schutz wie bei der Garantie von sozialen Rechten auf gleiche Standards und Kriterien verständigten. Dazu brauche es eine verstärkte europäische Zusammenarbeit. Hier sei die Politik aktuell gefordert. Abschottung der Grenzen und nationale Alleingänge seien hingegen kurzsichtige Irrwege.

AWO: Schutz und Rechtssicherheit für Menschen auf der Flucht

Eine Verteidigung des individuellen Rechts auf Asyl und die Gewährung von Schutz und Rechtssicherheit für Menschen auf der Flucht hatte bereits in der letzten Woche auch die Arbeiterwohlfahrt gefordert. Sie erinnert an die historische Evian-Konferenz im Jahr 1938, die zum Symbol für das Scheitern demokratischer Staaten geworden sei, Menschen in Gefahr koordiniert Hilfe zu leisten. Auch der AWO Bundesverband weist auf die Wirkung von Sprache hin, die der geschichtlichen wie auch gegenwärtigen Wirklichkeit gerecht werden müsse. Mit Blick auf die aktuelle politische Debatte betont der Wohlfahrtsverband: „Verantwortungsvolles politisches Handeln spiegelt sich dabei auch in einer Sprache, die Menschen auf der Flucht nicht als „Touristen“ verhöhnt und diejenigen, die ihnen beistehen, nicht als „Industrie“ denunziert.“

Hintergrund

Der „Masterplan zur Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“ wurde von Bundesinnenminister Horst Seehofer am 10.07.2018 der Öffentlichkeit vorgestellt. Er soll aus dem Blickwinkel des Bundesinnenministeriums die wichtigsten Themen im Bereich der Migrations- und Flüchtlingspolitik identifizieren. Ausführliche Informationen und der Masterplan zum Download stehen beim Bundesinnenministerium zur Verfügung.

Quelle: Deutscher Caritasverband und Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband vom 10.07.2018, AWO Bundesverband e.V. vom 06.07.2018

Back to Top