Flucht und Migration

Gewalt gegen Flüchtlinge 2017: Bundesweit kein Grund zur Entwarnung

Die Amadeu Antonio Stiftung und Pro Asyl dokumentieren für das Jahr 2017 in ihrer gemeinsamen Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle bundesweit 1713 Straftaten. Trotz deutlich rückläufiger Zahlen von Asylsuchenden bleibe rassistisch motivierte Gewalt gegen Geflüchtete ein deutschlandweites Problem. Im Schnitt mehr als vier Straftaten täglich richten sich gegen Flüchtlinge oder ihre Unterkünfte.

09.01.2018

Besonders erschreckend ist die Willkür und Brutalität mit der dabei vorgegangen wird. Unvermittelte Hammerschläge ins Gesicht eines Geflüchteten am helllichten Tag im mecklenburg-vorpommerschen Neubrandenburg oder Angreifer, die im niedersächsischen Burgdorf einen Flüchtling niederschlagen und anschließend ihre Hunde auf ihn hetzen, sind nur zwei Beispiele aus den letzten Wochen des Jahres 2017.

Unter den insgesamt 1713 Fällen befinden sich 23 Brandanschläge und 1364 sonstige Übergriffe wie Sprengstoffanschläge, Steinwürfe, Schüsse, aber auch Hakenkreuz-Schmierereien, andere Formen von Volksverhetzung und weitere Hass-Propaganda. Nach wie vor versuchen rassistisch motivierte Täter mit Anschlägen auf in Bau befindliche Unterkünfte den Zuzug von Geflüchteten zu verhindern. Daneben dokumentiert die Chronik 326 tätliche Übergriffe wie Angriffe mit Messern, Schlag- oder Schusswaffen und Faustschläge. Daneben werden weitere 62 Verdachtsfälle dokumentiert, die jedoch nicht in die Zählung einfließen.

Für das Vorjahr 2016 dokumentierte die Chronik insgesamt 3768 flüchtlingsfeindliche Vorfälle, davon 116 Brandanschläge und 595 tätliche Übergriffe.

Von Entwarnung kann keine Rede sein

Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, bilanziert: „Selbst wenn die Zahl der Übergriffe im Vergleich zum besonders gewalttätigen Vorjahr wieder leicht zurückgeht: Von Entwarnung kann bei über 1700 Übergriffen gegen Asylsuchende keine Rede sein. Rassistische Gewalt gegen Asylsuchende bleibt ein deutschlandweites Problem. Rassistisch motivierte Täter verüben Anschläge auf bewohnte Unterkünfte und nehmen dabei den Tod von Menschen in Kauf. Dass Brandanschläge und gewaltsame Angriffe auf Geflüchtete heute kaum noch eine Randnotiz wert sind, ist Teil des Problems.“

Mehr Transparenz und entschlossenere Strafverfolgung

PRO ASYL und die Amadeu Antonio Stiftung fordern mehr Transparenz seitens der Sicherheitsbehörden und ein entschlosseneres Vorgehen gegen die Täter. Wenn polizeiliche Pressestellen nicht mehr regelmäßig über flüchtlingsfeindliche Straftaten informieren und die Taten erst mit großer Verzögerung in offizielle Statistiken eingehen, muss davon ausgegangen werden, dass Straftaten gegen Flüchtlinge nicht mit der gebotenen Priorität verfolgt werden.

„Es ist ein Versagen des Rechtsstaates, wenn Menschen, die aus ihrer Heimat vor Krieg und Verfolgung fliehen, auch in Deutschland Angst haben, vor die Tür zu gehen und unter psychischen Belastungen leiden. Nach wie vor fehlt es an einer flächendeckenden organisierten Auseinandersetzung mit der Bedrohung von Asylsuchenden durch Schutzkonzepte und entschlossene behördliche Ermittlungen“, ergänzt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl.

Die beiden Organisationen fordern ein Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt, damit sie ihre Rechte in Ermittlungsverfahren wahrnehmen können und die Täter rechtskräftig verurteilt werden können.

Neue Bundesländer sind traurige Spitzenreiter der Gewalt

In Relation zur Einwohnerzahl sind die Neuen Bundesländer allesamt traurige Spitzenreiter der Straftaten gegen Flüchtlinge. Dabei führt Brandenburg mit 85 Fällen je Million Einwohner die Liste an, gefolgt von Sachsen (61 Fälle je Million Einwohner) und Sachsen-Anhalt (55 Fälle je Million Einwohner). Die im Vergleich zur Einwohnerzahl wenigsten Fälle von Gewalt gegen Flüchtlinge sind für Bremen dokumentiert (3 Fälle je Million Einwohner) sowie für Nordrhein-Westfalen (5 Fälle je Million Einwohner) und Hamburg (7 Fälle je Million Einwohner).

Zusammenhang zwischen Gewalt und flüchtlingsfeindlicher Hetze der AfD auf Facebook

Die University of Warwick hat auf Basis der Chronik die Verbindung von Hasskommentaren auf der Facebook Seite der Alternative für Deutschland (AfD) und Übergriffen auf Flüchtlinge in Deutschland untersucht. Die Studie unter dem Titel „Fanning the Flames of Hate: Social Media and Hate Crime“ sieht eine starke Verbindung zwischen Kommentaren zu Flüchtlingen auf der Facebook Seite der AfD und zu rassistischen Übergriffen. Demnach finden Übergriffe auf Flüchtlinge gehäuft in den Wochen statt, in denen es auch mehr Hasskommentare über Flüchtlinge auf der AfD-Facebook-Seite gibt. Die Forscher sehen insgesamt einen spezifischen Effekt rechtsgerichteter Aktivität in sozialen Netzwerken.

Gewalt gegen Geflüchtete ist zur Randnotiz geworden

Die Datengrundlage der Chronik sind öffentlich zugängliche Berichte in Zeitungsartikeln, Pressemitteilungen der Polizei sowie Meldungen lokaler und regionaler Register- und Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Dabei zeigt sich, dass die Gewalt gegen Geflüchtete allenfalls zur Randnotiz geworden ist. Die Berliner Polizei hat im Jahr beispielswiese nur zu 24 von insgesamt 344 Vorfällen eine Pressemitteilung veröffentlicht.

Ein deutlicher Anstieg der Vorfälle ist zu erwarten, wenn das Bundeskriminalamt im Frühjahr 2018 seine finale Statistik für das gesamte Jahr einschließlich des bislang fehlenden vierten Quartals und erfahrungsgemäß zahlreicher Nachmeldungen veröffentlicht.

Quelle: Amadeu Antonio Stiftung vom 28.12.2017

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