Flucht und Migration

Gesetzentwurf zum Familiennachzug verstößt gegen Kindeswohl

Das internationale Kinderhilfswerk terre des hommes lehnt den Gesetzentwurf zur Neuregelung des Familiennachzugs von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus ab. Dieser sieht vor, dass ab August bis zu 1.000 Personen pro Monat zu ihrem Familienmitglied nachziehen können. In einem Fallbeispiel erläutert die Organisation, was es bedeutet, als Jugendlicher auf der Flucht ohne die eigene Familie leben zu müssen.

11.05.2018

„Der Gesetzentwurf verstößt gegen das Kindeswohl“, erklärte Albert Recknagel, Vorstandssprecher von terre des hommes. „Minderjährige Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus, die ohne ihre Eltern in Deutschland sind, können den Nachzug für ihre Eltern beantragen, nicht jedoch für ihre Geschwister. Das bedeutet: Eltern müssten sich demnach entscheiden, bei welchem Kind sie leben und welches Kind sie alleine lassen. Die Trennung von Familien wird auf diesem Wege zementiert. Familienleben ist aber nicht kontingentierbar – auch subsidiär Schutzberechtigte müssen mit ihren Familien zusammenleben können.“

Familienleben ist nicht kontingetierbar

Zudem ist bisher unklar, welche Anträge bewilligt werden, wenn mehr Anträge als Kontingentplätze zur Verfügung stehen. terre des hommes empfiehlt daher, die vorgesehene Kontingentierung zeitlich flexibel zu gestalten und keine monatlichen Obergrenzen festzulegen, um unnötige Wartezeiten zu vermeiden.

Die vollständige Stellungnahme zum Entwurf des Familiennachzugsneuregelungsgesetz (PDF, 132 KB) steht als Download zur Verfügung. 

Kein Recht auf Familiennachzug: Omar aus Damaskus

Omar ist 17 Jahre alt und kommt aus Damaskus. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat ihn nicht als Flüchtling anerkannt, ihm wurde nur der subsidiäre Schutz zuerkannt. Das heißt: Seine Mutter und seine beiden Schwestern dürfen nicht nachkommen.

Die Familie von Omar lebte bis Anfang 2013 in Damaskus. Aufgrund der immer schlechter werdenden Sicherheitslage floh sie zunächst nach Qaboun, später weiter nach Yabrud und schließlich nach Mneen. Omars Vater kam im September 2013 ums Leben. An einer Straßensperre wurde er im eigenen Auto von einem Scharfschützen erschossen, als er Omars Großmutter aus einem Krankenhaus abholte. Offizieller Grund: Er hatte die Ausgangssperre nicht beachtet.

Fallbeispiel: Ein Leben auf der Flucht

Der Tod seines Vaters belastet Omar und seine Familie sehr. Omar musste nach dem Tod seines Vaters Verantwortung übernehmen, die ihn unter enormen Druck setzt. Er leidet unter starken Schlafstörungen. Sein Vater hatte für den Lebensunterhalt der Familie gesorgt, nun mussten die älteren Kinder und die Mutter Gelegenheitsjobs übernehmen. Dies stärkte die Beziehung zu seiner Mutter und seinen Geschwistern. Die Familie war oft gezwungen, den Wohnort zu wechseln, da die Sicherheitslage kritisch war. Hinzu kam, dass die Familie als Zugezogene von der alteingesessenen Dorfgemeinschaft nicht akzeptiert wurde.

Omar leidet unter der räumlichen Distanz zu seiner Familie und hat große Angst, sie dauerhaft zu verlieren. Die Entscheidung zur Flucht nach Europa war für ihn sehr schwierig. Er wollte seine Familie nicht allein lassen, ihm drohte jedoch, als Soldat für die syrische Armee oder die Al Nusra-Rebellen rekrutiert zu werden. Al-Nusra- Anhänger sprachen ihn bereits an; befreundete gleichaltrige Jungen wurden von ihnen rekrutiert.

Unterbringung in der stationären Jugendhilfe

Nachdem Omar einige Stunden an einer Straßensperre von Regimegegnern ohne Begründung festgehalten, bestohlen und bedroht wurde, entschied er sich, aus Syrien zu fliehen. Er reiste als unbegleiteter Minderjähriger im Februar 2016 in Deutschland ein. Zunächst war er in Begleitung der Familie seiner Tante, die sich jedoch langfristig ein gemeinsames Zusammenleben mit dem Jugendlichen nicht vorstellen konnte. Omar wurde im Juli 2016 stationär in die Jugendhilfe aufgenommen. Zu seinen Verwandten in Deutschland besteht nur noch sporadischer Kontakt, allerdings kann Omar immerhin mit seiner Mutter telefonieren.

In der Wohngruppe zeigt sich Omar anpassungsfähig, und auch in der Schule und unter den anderen Jugendlichen ist er beliebt. Ihm wurde eine Psychotherapie empfohlen, um seine Erlebnisse aufzuarbeiten, sobald sich seine Lebenssituation geklärt habe.

Die Trennung von seiner Mutter und seinen Geschwistern und die Sorge um ihr Auskommen und Überleben belasten ihn nach wie vor sehr. Er fühlt sich für seine Mutter und seine teilweise noch sehr jungen Geschwister (7 und 10 Jahre alt) verantwortlich und möchte ihnen den Nachzug nach Deutschland ermöglichen, damit sie in Sicherheit leben können. Omar kann mittlerweile gut Deutsch und würde gern eine Ausbildung beginnen, doch fällt es ihm auch nach zwei Jahren in Deutschland sehr schwer, seine Zukunft ohne seine Familie zu planen. Sein Traum ist, das sie so schnell wie möglich nachziehen darf.

Omar wird von der terre des hommes-Partnerorganisation Exil - Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge betreut. Das  Fallbespiel mit weiteren Informationen zur Situation von Flüchtlingskindern ist auf der Webseite von terre des hommes veröffentlicht.

Quelle: terre des hommes vom 09.05.2018

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