Online-Umfrage 2020

Die Situation geflüchteter junger Menschen in Deutschland

Die Ergebnisse der bundesweiten Online-Umfrage des Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. zur Situation junger Geflüchteter im Bundesgebiet stehen nun bereit. Im Jahr 2020 beteiligten sich 1026 Fachkräfte an der jährlichen Online-Umfrage. Sie gaben sowohl Auskunft über die Situation unbegleiteter Minderjähriger und junger Erwachsener, als auch zur Situation von Kindern und Jugendlichen in Familienbegleitung.

23.04.2021

Im Jahr 2020 beteiligten sich 1026 Fachkräfte an der jährlichen Online-Umfrage. Sie gaben sowohl Auskunft über die Situation unbegleiteter Minderjähriger und junger Erwachsener, als auch zur Situation von Kindern und Jugendlichen in Familienbegleitung.

Obgleich durch die Umfrage einige punktuelle Verbesserungen in der Versorgungsstruktur dokumentiert werden, besteht in vielen Bereichen ein großer Handlungs- und Qualifizierungsbedarf. So gestalten sich Rechtsschutzmöglichkeiten im Kontext bundesweiter Verteilung, Alterseinschätzung und Hilfegewährung unzureichend. Ein großer Teil der Jugendlichen leidet unter asyl- und aufenthaltsrechtlicher Unsicherheit sowie der Unmöglichkeit von Familienzusammenführungen aus dem Ausland als auch innerhalb Deutschlands. Die Ergebnisse der Umfrage verdeutlichen in noch alarmierenderem Ausmaß als im Vorjahr, dass jugendliche Geflüchtete zunehmend von Alltags- und institutionellem Rassismus betroffen sind. Zudem dokumentieren sie einen besorgniserregenden Anstieg an (auch sexualisierten) Gewalterfahrungen und Menschenhandel – vor, während und nach der Flucht.

„Die bestehenden Missstände müssen unbedingt ernst genommen und es muss ihnen entgegengewirkt werden", fordert Johanna Karpenstein vom Bundesfachverband umF. „Die psychische Gesundheit und die Zukunftsperspektiven von unbegleiteten und begleiteten Minderjährigen und Heranwachsenden müssen gestärkt werden. Es bedarf sicherer und menschenwürdiger Schutz- und Lebensräume, um ihre Rechte zu schützen."

Rassismus, Mehrfachdiskriminierung und Perspektivunsicherheit prägen den Alltag

Die Fachkräfte berichten von drastischen Schwierigkeiten beim Übergang aus der Kinder- und Jugendhilfe in ein eigenständiges Leben – oftmals werden junge Menschen in Gemeinschaftsunterkünfte oder gar in die Obdachlosigkeit entlassen. Dies führt zu einer massiven Gefährdung erzielter Bildungserfolge, zu unsicheren Zukunftsperspektiven und damit einhergehender psychischer Instabilität.

Drohende Abschiebungen und Aufenthaltsbeendigungen sowie lang andauernde asyl- und aufenthaltsrechtliche Verfahren stellen für die jungen Menschen immense Belastungen und für die pädagogische Arbeit große Herausforderungen dar.

Nach wie vor mangelt es an einer ausdifferenzierten Versorgungsstruktur für Mädchen, junge Frauen, junge Eltern sowie für junge Geflüchtete mit körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung. So erfahren junge Menschen mit Behinderung zusätzliche Einschränkungen beim Zugang zu Ausbildung und Arbeit. Darüber hinaus fehlen bedarfsgerechte und durch professionell sensibilisierte Fachkräfte begleitete Schutz- und Lebensräume für intersexuelle, transsexuelle und diverse junge Menschen.

In der Arbeit mit begleiteten minderjährigen Kindern und Jugendlichen besteht hoher Qualifizierungsbedarf. Nicht-kindgerechte Lebensverhältnisse in Sammelunterkünften, mangelnder Zugang zu Kitas und fehlende Unterstützungsstrukturen durch die Jugendhilfe prägen die Situation begleiteter Minderjähriger und deren Familien. Ihre Bedarfe müssen sichtbarer werden und in der Auseinandersetzung mit Politik und Fachöffentlichkeit dringend Eingang finden.

Die Umfrage dokumentiert auch die drastischen Auswirkungen der Covid 19-Pandemie auf die Lebensumstände junger Geflüchteter, insbesondere beim Bildungszugang. Zu den Folgen zählen auch Unterbrechungen laufender Asylverfahren, Sammel-Quarantäne und Isolation in pandemiebedingten Infektionsherden wie Großunterkünften und damit einhergehende beträchtliche gesundheitliche Risiken. Auch der Wegfall von psychisch stabilisierenden Freizeitangeboten und zusätzliche Stigmatisierungen wirken sich beträchtlich auf die psychische Gesundheit der jungen Menschen aus.

Die Umfrageergebnisse verweisen auf ein gesellschaftliches und politisches Klima, das junge Geflüchtete kriminalisiert und auf zahlreichen Ebenen mehrfachdiskriminiert. Der Rückbau von Versorgungsstrukturen negiert die politische Verantwortung für die Zukunftsperspektiven junger Geflüchteter. Der Bundesfachverband umF fordert:

  • Familienzusammenführungen müssen ermöglicht und beschleunigt werden! Dazu ist die Anerkennung der Unteilbarkeit der Familie auch im Aufenthaltsrecht und somit durch durch den Gesetzgeber erforderlich!
  • Kindern und Jugendlichen muss uneingeschränkter Zugang zu Bildung und zur Gesundheitsversorgung gerade im Kontext der Pandemie ermöglicht werden.
  • Rechtsschutzmöglichkeiten in bundesweiten Verteil- und Alterseinschätzungsverfahren müssen sichergestellt werden! Der Bundesfachverband umF empfiehlt die Implementierung unabhängiger Beschwerde- und Beratungsstellen, die sich explizit mit der Interessensvertretung der Jugendlichen im Kontext von Verteilung und Alterseinschätzungen befassen.
  • Eine angemessene Aufklärung der Jugendlichen über ihre Rechte sowie deren Beteiligung in sie betreffenden Verfahren ist dringend erforderlich!
  • Mangelhafte Versorgungsstrukturen für geflüchtete Kinder und Jugendliche mit seelischen und körperlichen Beeinträchtigungen müssen bedarfsgerecht und menschenwürdig umgestaltet werden.
  • Es müssen wirksame Strategien gegen kontinuierlich ansteigende Mehrfachdiskriminierungen sowie gegen den zunehmenden Rassismus implementiert werden, um den jungen Menschen verlässlichen Schutz zu gewährleisten.
  • Den in der Umfrage deutlich gewordenen Missständen deutlich entgegenzutreten ist Aufgabe einer starken Jugendhilfe und eines solidarischen Unterstützungssystems! Diese Strukturen politisch zu stärken und zu sichern ist hierfür zentrale Voraussetzung!

Die Auswertung der Online-Umfrage steht als PDF-Datei zur Verfügung.

Quelle: Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. vom 22.04.2021

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