Themendossier
BumF positioniert sich zum Bericht zum Verteilverfahren unbegleiteter Minderjähriger
Im Juli hat das Bundeskabinett den „Bericht zur Evaluation des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung unbegleiteter ausländischer Minderjähriger“ beschlossen. Die Bundesregierung bewertet das im Jahr 2015 mit diesem Gesetz eingeführte Verteilverfahren überwiegend positiv. Dies widerspricht den Erkenntnissen, die der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) seit Inkrafttreten des Verteilverfahrens aus den jährlichen Befragungen von Fachkräften, Einzelfallberatungen sowie Fortbildungen und Fachveranstaltungen gewonnen und in einem aktuellen Themendossier versammelt hat.
01.09.2021
Seit November 2015 macht der BumF immer wieder, seit neustem mit Bezug auf den „Bericht zur Evaluation des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung unbegleiteter ausländischer Minderjähriger“, aufmerksam, dass:
- das quotenbasierte Verteilverfahren sein zentrales Ziel, eine kindeswohlorientierte Betreuung, Versorgung und Unterbringung zu gewährleisten, nur sehr eingeschränkt erreichen kann;
- das Gesetz den Erhalt guter Aufnahmestrukturen nicht begünstigt und der Dynamik von Migrationsbewegungen sowie den Bedarfen der Minderjährigen nicht gerecht wird und dass
- viele der prognostizierten negativen Folgen des Umverteilungsgesetzes eingetreten sind: So führen starre Zuständigkeiten und fehlende Regelungen von Zusammenführungen mit Verwandten beispielweise zu Abgängigkeiten von Jugendlichen. Aufgrund des verkürzten und unklar geregelten Rechtschutzes, mangelnder Beteiligung der Jugendlichen sowie des Fehlens einer unabhängigen rechtlichen Vertretung können sie ihre Rechte zudem nur schwer durchsetzen.
Junge Menschen fürchten ein Ping-Pong-Spiel
„Da es für BumF faktisch keine Möglichkeit gibt, eine kindeswohlwahrende Verteilung an einen bestimmten Ort durchzusetzen und Zusammenführungen mit Angehörigen und Bezugspersonen viel zu oft scheitern, machen sich viele Jugendliche eigenständig auf den Weg an Orte, an denen sie leben möchten“, so Johanna Karpenstein vom BumF. „Im schlimmsten Fall leben junge Menschen dort unter falschem Namen, um nicht wieder zurückgeschickt zu werden. Melden sie sich dort regulär an, folgt oft ein gefährliches Ping-Pong-Spiel, bei dem Jugendliche immer wieder an den Ort des zuständigen Jugendamtes zurückgeschickt und dort erneut abgängig werden.“
Die Probleme, welche sich in der Praxis hierdurch ergeben, erläuterte Juliane Hoppe, Sozialarbeiterin beim Sozialwerk Nazareth e.V. und langjähriges BumF-Mitglied, anschaulich:
„In einem aktuellen Fall führte eine fehlerhafte Zuweisung dazu, dass ein Mädchen mit Vollendung des 18. Lebensjahres die Jugendhilfe nicht verlängern wollte, um sich auf eigene Faust zurück zu ihren Verwandten aufzumachen. Obwohl dem Jugendamt bei der vorläufigen Inobhutnahme bekannt gewesen war, dass sich Verwandte am selben Ort aufhielten, wurden sie nicht bei der Zuweisungsentscheidung berücksichtigt und das Mädchen wurde an einen anderen Ort verteilt.“
Individuelle Anliegen der Jugendlichen berücksichtigen
Dieser Fall illustriert zudem einmal mehr, dass die individuellen Anliegen der betroffenen Jugendlichen unzureichend einbezogen werden und sie nur ungenügend an den Entscheidungen, die sie betreffen, teilhaben können. Das Problem der fehlenden Beteiligung der Jugendlichen hob auch Christian Oppl vom Flüchtlingsrat München und BumF-Landeskoordinator in Bayern hervor. Er hat sich wissenschaftlich mit dem Verteilverfahren auseinandergesetzt und erklärte:
„Die Beteiligungsrechte der Jugendlichen werden unzureichend sichergestellt, ihre Bedarfe und Wünsche werden nicht berücksichtigt. Das Fehlen einer institutionell unabhängigen rechtlichen Vertretung im Verteilverfahren ist in Hinblick auf die Einhaltung der Kinderrechte und Partizipationsmöglichkeiten ebenfalls kritisch zu sehen."
Der BumF empfiehlt daher grundsätzliche, am Kindeswohl orientierte Änderungen am Verteilverfahren.
„Wir brauchen wieder ein Verfahren, bei dem ausschließlich die Bedarfe der Minderjährigen über den Unterbringungsort entscheiden, damit Hilfen gelingen und langfristige Perspektiven geschaffen werden können“, so Johanna Karpenstein vom BumF.
Themendossier
Seit 2015 hat der BumF in zahlreichen Einzelfällen zum Verteilverfahren beraten, 15 Fachveranstaltungen durchgeführt und 9 Publikationen zum Thema veröffentlicht sowie jährlich mehr als 1.200 Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe zum Verteilverfahren befragt (insg. 5.795 Teilnehmende in vier Befragungen). In einem Themendossier werden zentrale Erkenntnisse hieraus zusammengefasst und um die Erkenntnisse aus den Befragungen des Familienministeriums bei den Jugendämtern sowie der Analyse und Auswertung von öffentlich zugänglichen Quellen, Datenbanken und Dokumenten ergänzt.
Quelle: Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge vom 23.08.2021
Termine zum Thema
-
19.04.2024
Basiskurs Kindeswohlgefährdung § 8a SGB VIII – Handlungskompetenz im Krisenfall
-
24.04.2024
Dem Schutzauftrag nachkommen
-
04.06.2024
Mehr Sicherheit in Elterngesprächen
-
18.11.2024
Angebote nach § 42 SGB VIII – Kollegialer Austausch Beratung von und für Mitarbeiter*innen des Kinder- und Jugendnotdienstes sowie von Inobhutnahme Einrichtungen
Materialien zum Thema
-
Anleitung / Arbeitshilfe
Arbeitshilfe zur Erstellung von Schutzkonzepten in der OKJA - Prävention (sexualisierter) Gewalt
-
Broschüre
Vertrauensschutz im Kinderschutz
-
Broschüre
Orientierungshilfe für Jugendämter – Kindeswohl bei Aufwachsen in islamistisch oder salafistisch geprägten Familien
-
Broschüre
Gesundheitsförderung mit Geflüchteten. Lücken schließen – Angebote ergänzen
-
Zeitschrift / Periodikum
Konstruktiv kooperieren im Kinderschutz - KJug 2-2022
Projekte zum Thema
-
Zukunftswerkstatt Rückenwind e. V.
Fugee Angels
-
Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg e. V.
Fugees-Akademie
-
Diakonie Wuppertal – Soziale Teilhabe gGmbH
„Do it! - Transfer Bund“
-
Beyond A Single Story – Instagram-Kanal zur Sensibilisierung für Migrationsgesellschaft in der Kinder-und Jugendhilfe
-
IMPULS Deutschland Stiftung e.V.
HIPPY - Home Interaction for Parents of Preschool Youngsters
Institutionen zum Thema
-
Sonstige
Koordinationsstelle Kinderarmut des LVR-Landesjugendamts (Landschaftsverband Rheinland)
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
Kompetenz Jugendhilfe gGmbH
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
Liman – den Hafen gemeinsam erreichen
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
Wellenbrecher e.V.
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
Babylon Kinder- und Jugendhilfe