Flucht und Migration
BAGFW: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge schützen, fördern und beteiligen
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) e.V. hat eine Positionierung vorgelegt mit dem Titel: "Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge schützen, fördern und beteiligen! – Ein Vorschlag für eine geänderte Zuständigkeitsregelung".
12.03.2015
Derzeit gibt es dringende Bemühungen von Bund und Ländern, die hohen Anforderungen, die sich für einige Kommunen bei der Inobhutnahme und Gestaltung von Anschlussleistungen der Kinder- und Jugendhilfe aus den gestiegenen Zahlen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge ergeben, durch ein System der bundesweiten und landesinternen Umverteilung dieser jungen Menschen zu beantworten. Vor dem Hintergrund dieser Diskussionen und in Erweiterung ihrer Stellungnahme vom 18.11.2014 schlägt die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege ein anderes System der Zuständigkeit und Kostenerstattung vor, um durch den Auf- und Ausbau von Kompetenzzentren für Schutz, Förderung und Beteiligung der jungen Flüchtlinge die Wahrung ihrer Rechte sicherzustellen.
Die gegenwärtige Situation
Die Zahlen in Obhut genommener unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge steigen derzeit ebenso wie die Zahl ihrer Anträge auf Asyl.
Diese steigende Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge ballt sich in einigen Regionen und (Groß-)Städten[2], darunter die drei Stadtstaaten.
Die meisten Kommunen in Deutschland sind allerdings von den aufgeworfenen Problemen der Akutversorgung und längerfristigen Hilfegewährung bisher überhaupt nicht berührt.
Für die betroffenen Kommunen haben die Anforderungen, die sich aus hohen Zahlen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge ergeben, verschiedene Dimensionen:
- Die Vorhaltung geeigneter Inobhutnahmestellen
- Die Sicherstellung angemessener Anschlusshilfen
- Die Gewährleistung kompetenter Vormundschaften und Ergänzungs-pflegschaften
- Die Erschließung geeigneter Immobilien
- Die Gewinnung von geeigneten Fachkräften
- Die Gewinnung geeigneter Dolmetscher
- Die Schaffung nötiger Ressourcen in den ASD
- Die Bereitstellung geeigneter Schul- und Ausbildungsangebote und auch:
- Die Aufbringung der für all dies notwendigen Mittel.
Es ist nachvollziehbar, dass diese Anforderungen und Herausforderungen die wenigen Städte, die diese Lasten bisher überwiegend zu tragen haben, teilweise an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringen können.Aus der Perspektive der jungen Flüchtlinge kommt es darauf an, dass sie nach oft langen und strapaziösen Fluchtwegen und sehr belastenden Erfahrungen vor und während der Flucht, zunächst einmal ein Willkommen, unmittelbar wirkenden Schutz und die vielfältigen Unterstützungen erhalten, die sie brauchen, um sich in der völlig neuen Lebenssituation sozial, sprachlich, rechtlich und in Bezug auf ihre Herkunft und Zukunft zurecht finden.
Deshalb brauchen diese jungen Menschen Zuverlässigkeit von Schutz, Förderung und Beteiligung und die Chance neue Netzwerkressourcen aufzubauen.
Diese Ziele können aus unserer Sicht nicht erreicht werden, wenn unbegleitete junge Flüchtlinge nach Ankunft möglichst schnell wieder verlegt und auf alle Landkreise nach schematisch-mathematischen Maßstäben verteilt werden.
Ziel: neue Zuständigkeiten für Inobhutnahmen und Anschlusshilfen
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege ist deshalb der Auffassung, dass die Handlungsfähigkeit der Städte, in denen die jungen Flüchtlinge vor allem ankommen, erhalten bzw. wiedergewonnen werden muss. Sie wendet sich aber gegen ein mechanisches Umverteilungssystem der jungen Flüchtlinge zwischen den Ländern und in den Ländern. Aus diesem Grund schlägt sie eine neue sachliche Zuständigkeit für Inobhutnahmen und Anschlusshilfen junger unbegleiteter Flüchtlinge vor. Das System der grundlegenden Zuständigkeit der örtlichen Träger der Jugendhilfe für die Leistungen und anderen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe, das mit dem SGB VIII 1989 eingeführt wurde, hat nach wie vor seine Berechtigung. Es beendete die Situation, dass junge Menschen stigmatisiert wurden, um die Zuständigkeit eines anderen Kostenträgers (der Landesjugendämter) zu erreichen.
Aufgrund der geänderten Situation im Hinblick auf die jungen Flüchtlinge, die in großer Zahl in wenigen Städten ankommen, erscheint eine grundsätzliche Verlagerung der sachlichen Zuständigkeit auf den überörtlichen Träger sinnvoll. Das kann durch eine Erweiterung von § 85 Abs. 2 SGB VIII um einen Punkt "11. Die Wahrnehmung anderer Aufgaben und die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch für ausländische Kinder und Jugendliche, die unbegleitet nach Deutschland kommen, und deren Personensorge- oder Erziehungsberechtigte sich nicht in Deutschland aufhalten." erfolgen.
Die Landesjugendämter haben dann nach § 69 Abs. 4 SGB VIII auch die Möglichkeit, zur Durchführung dieser Aufgabe gemeinsame Einrichtungen und Dienste zu errichten – etwa die Stadtstaaten mit dem Umland eines Flächenstaates. Zur Schaffung der Kompetenzzentren müssen die überörtlichen Träger dann mit einigen örtlichen Trägern Leistungs- und Entgeltvereinbarungen treffen, die neben den Kosten für die unmittelbaren Maßnahmen auch die Kosten für die oben beschriebenen notwendigen Dimensionen eines Kompetenzzentrums umfassen.
Ausgleich der finanziellen Belastungen
Zugleich muss ein bundesweites System eines fairen – d.h. insbesondere eben auch die Overhead- und Infrastrukturkosten berücksichtigenden – Ausgleichs der finanziellen Belastungen der überörtlichen Träger zwischen Bund und Länderngeschaffen werden, das an die Stelle der bisherigen komplizierten und im Ergebnis völlig unbefriedigenden Kostenerstattungsregelungen des § 89 d SGB VIII treten muss.
Die Landesjugendämter können dann regionale Kompetenzzentren schaffen, die die notwendige Infrastruktur für die Gewährleistung der Schutz-, Förderungs- und Beteiligungsrechte der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge gemäß den Anforderungen der UN-Kinderrechtskonvention und den Standards des SGB VIII gewährleisten. Durch eine solche Regelung kann vermieden werden, dass die jungen Menschen auf einen der über 600 Jugendamtsbezirke verteilt werden, von denen die weit überwiegende Mehrheit bisher keinerlei Erfahrungen im Umgang mit jungen unbegleiteten Flüchtlingen und ihren Bedürfnissen und Bedarfen haben.
Die vollständige <link http: www.bagfw.de uploads media external-link-new-window pressemitteilung als>Pressemitteilung (PDF-Datei, 80 KB) ist downloadbar auf der Internetseite der BAGFW.
Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) e.V. vom 10.03.2015
Termine zum Thema
-
06.05.2024
Stabilisierung in der Inobhutnahme – In der Krise die Ruhe bewahren und Stabilisierung fördern
-
11.06.2024
„Eine gemeinsame Sprache finden.“ Die Zusammenarbeit mit jungen Menschen und ihren Eltern im Rahmen von Inobhutnahmen. Impulsveranstaltung zur Inobhutnahme (4/4)
-
18.11.2024
Angebote nach § 42 SGB VIII – Kollegialer Austausch Beratung von und für Mitarbeiter*innen des Kinder- und Jugendnotdienstes sowie von Inobhutnahme Einrichtungen
Materialien zum Thema
-
Broschüre
Kinder- und Jugendhilfe in der Krise Zur Frage der Rechtmäßigkeit pauschaler Standardabsenkung bei (vorläufiger) Inobhutnahme und Hilfegewährung für geflüchtete unbegleitete Minderjährige
-
Artikel / Aufsatz
„Du sitzt im Wartesaal und niemand ruft dich auf!“ – Krisenintervention in der Krise?! erste Erkenntnisse aus einem laufenden Praxisforschungsprojekt zur Inobhutnahme
-
Zeitschrift / Periodikum
AFET-Fachzeitschrift Dialog Erziehungshilfe 3-2023
-
Broschüre
Diagnostisches Fallverstehen – Psychosoziale Arbeit mit jungen geflüchteten Menschen
-
Stellungnahme / Diskussionspapier
Mangel an Fachkräften in der Kinder- und Jugendhilfe wirkt sich dramatisch aus!
Projekte zum Thema
-
Perspektive gGmbH Institut für sozialpädagogische Praxisforschung und -entwicklung
Inobhutnahme – Perspektiven: Impulse!
-
Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg e. V.
Fugees-Akademie
-
Diakonie Wuppertal – Soziale Teilhabe gGmbH
„Do it! - Transfer Bund“
-
Beyond A Single Story – Instagram-Kanal zur Sensibilisierung für Migrationsgesellschaft in der Kinder-und Jugendhilfe
-
Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen e.V. (IGfH)
Zukunftsforum Heimerziehung
Institutionen zum Thema
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
Jugendmigrationsdienst Nürnberger Land Internationaler Bund e.V.
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
solaris Förderzentrum für Jugend und Umwelt gGmbH Sachsen
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
Wellenbrecher e.V.
-
Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe
Jugendhilfezentrum Don Bosco Helenenberg
-
Internationale Einrichtung
TEVBB Soziale Dienste gGmbH