Sozialforschung

Armut in Deutschland: Bei Kindern deutlicher Anstieg durch Zuwanderung

Die Kinderarmut in Deutschland hat 2016 erneut spürbar zugenommen. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die unter der Armutsgefährdungsgrenze leben, stieg um 0,6 Prozentpunkte auf 20,3 Prozent. Das entspricht rund 2,7 Millionen Personen unter 18 Jahren. Grund für den Anstieg ist, dass sich die große Zahl der in letzter Zeit nach Deutschland geflüchteten Kinder und Jugendlichen jetzt in der Sozialstatistik niederschlägt.

04.08.2017

Dagegen sind die Armutsquoten unter Kindern und Jugendlichen, die keinen Migrationshintergrund haben oder als Kinder von Migranten in Deutschland geboren wurden, leicht rückläufig. Die allgemeine Armutsquote in Deutschland stagniert, während sich der langfristige kontinuierliche Anstieg der Armutsgefährdung unter Senioren auch 2016 fortgesetzt hat. Das sind zentrale Ergebnisse einer neuen Auswertung aus dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Neben einer möglichst effektiven Integration von Zugewanderten in Bildung und Arbeitsmarkt sei auch eine Verbesserung der Alterssicherung notwendig, so die Wissenschaftler.

Für ihre Analyse haben die WSI-Forscher Dr. Eric Seils und Jutta Höhne die gerade erschienenen Armutsdaten des Mikrozensus 2016 ausgewertet. Als arm gelten nach gängiger wissenschaftlicher Definition Haushalte, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren Einkommens beträgt. Für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren lag die Armutsschwelle 2015 bei einem verfügbaren Nettoeinkommen von weniger als 1978 Euro im Monat.

Hier geborene Kinder von steigender Armut nicht betroffen

Das WSI hatte den Anstieg der Kinderarmut im Mai bereits zutreffend prognostiziert. Die Zunahme spiegelt die starke Zuwanderung von Minderjährigen wider, die als Flüchtlinge zumeist unter der Armutsgrenze leben müssen. Dabei geht der rechnerische Zuwachs zum Teil auf datentechnische Probleme zurück: Viele der 2016 als armutsgefährdet ausgewiesenen Kinder dürften bereits 2015 zugewandert sein. Die amtliche Armutsstatistik hat sie jedoch nur mit zeitlicher Verzögerung berücksichtigen können: Die Armutsquote bezieht sich stets nur auf Personen in Privathaushalten. Viele Flüchtlingsfamilien lebten aber Ende 2015 in Sammelunterkünften und wurden daher zunächst ausgeklammert.

Dagegen ist die Armutsquote von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren wurden, zwischen 2015 und 2016 von 28,9 auf 28,2 Prozent gesunken. Bei Personen unter 18 Jahren ohne Migrationshintergrund ist die Quote ebenfalls leicht zurückgegangen – von 13,5 auf 13,3 Prozent.

Gesamtbevölkerung: gegenläufige Entwicklung nach Migrationsstatus

Schaut man auf alle Altersgruppen, stagniert die Armut in Deutschland weitgehend, allerdings auf hohem Niveau: 2016 lag die Armutsquote für die Gesamtbevölkerung bei 15,8 Prozent und damit um 0,1 Prozentpunkte höher als 2015. Der Anteil der armutsgefährdeten Menschen ohne Migrationshintergrund sank leicht um 0,4 Prozentpunkte auf 12,1 Prozent. Dagegen wuchs die Quote unter Menschen mit Migrationshintergrund von 27,7 auf 28,1 Prozent 2016. Den Anstieg erklären die WSI-Experten in allererster Linie damit, dass die jüngst Eingewanderten einen wachsenden Anteil an der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ausmachen und als Flüchtlinge ein sehr großes Armutsrisiko tragen. So lebten knapp 82 Prozent der eingewanderten Syrer und 70 Prozent der Iraker unter der Armutsgrenze.

Altersarmut: Leichter Anstieg auf 14,8 Prozent

Unter der Bevölkerung im Rentenalter zeigen sich hingegen keine vergleichbaren Unterschiede nach Migrationsstatus, so die WSI-Untersuchung. Seit 2009 steigt auch die Armutsquote bei Menschen über 65 Jahren, die keinen Migrationshintergrund haben. Eine geringfügige Zunahme in dieser Gruppe (12,6 auf 12,7 Prozent) ist der Grund dafür, dass die Altersarmut insgesamt 2016 um 0,2 Prozentpunkte auf 14,8 Prozent gestiegen ist. Senioren ohne Migrationshintergrund sind mittlerweile häufiger armutsgefährdet als der Durchschnitt der Bevölkerung ohne Zuwanderungsgeschichte, schreiben die Forscher. Das zeigt „ein Problem an, das unabhängig von der Herkunft immer mehr Menschen betrifft und systematisch gelöst werden muss.“

Das Beispiel der Altersarmut mache deutlich, dass die Politik zur Armutsbekämpfung mehrgleisig fahren müsse, betonen die Forscher. Die Integration von Zuwanderern sei eine zentrale, doch nicht die einzige Herausforderung. Eingewanderten Eltern und insbesondere Müttern müsse es möglich werden, Arbeit zu Konditionen und Löhnen zu finden, mit denen sie ihre Familien selbst über die Runden bringen können. Zugleich bräuchten auch in Deutschland geborene Kinder einen besseren Schutz gegen Armut. „Schließlich hat sich trotz Rekordbeschäftigung das Armutsrisiko der einheimischen Kinder nur wenig verringert“, sagt Sozialforscher Seils. Maßnahmen gegen die weit verbreitete Niedriglohnbeschäftigung kämen auch den Kindern prekär Beschäftigter zu Gute.

Weitere Informationen

Eric Seils, Jutta Höhne: <link https: www.boeckler.de pdf p_wsi_pb_12_2017.pdf external-link-new-window brief ausgabe>Armut und Einwanderung. Armutsrisiken nach Migrationsstatus und Alter (PDF, 402 KB) – Eine Kurzauswertung aktueller Daten auf Basis des Mikrozensus 2016.

<link https: www.boeckler.de wsi_110240.htm external-link-new-window und grafiken zum>Daten und Grafiken im WSI Verteilungsmonitor

Quelle: Hans-Böckler-Stiftung vom 03.08.2017

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