Gender

Paritätischer Gesamtverband und pro familia: Reproduktive Rechte? Es gibt nichts zu feiern

Sexuelle Selbstbestimmung und reproduktive Gesundheit sind Menschenrechte, die es zu schützen gilt. Darauf weisen der Paritätische Gesamtverband und pro familie zum Internationalen Frauentag hin und fordern den Gesetzgeber zum Handeln auf. Notwendig seien klare Regelungen im Hinblick auf eine Kostenübernahme für Verhütungsmittel, wertneutrale Beratungsstrukturen und zugängliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche.

11.03.2020

Der Paritätische Gesamtverband und pro familia fordern in einer gemeinsamer Pressemitteilung international verbriefte Frauenrechte endlich umzusetzen. In Bezug auf die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen gäbe es in Deutschland viele Defizite. So hätten die lange vorliegenden Belege für den hohen Bedarf einer Kostenübernahme für Verhütungsmittel bis heute nicht zu einer gesetzlichen Lösung geführt. Frauen, die eine vertrauliche Beratung aufsuchen wollen, seien vor Beratungsstellen immer noch religiösen Eiferern ausgesetzt, weil rechtliche Regelungen fehlen, die dies verbieten. Und auch die Informationslage im Netz über Ärzt/-innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sei desolat geblieben, da die neu eingerichtete zentrale Liste für ganze Regionen in Deutschland keine Eintragung aufweist. In Bezug auf sexuelle und reproduktive Rechte gibt es nichts zu feiern, erklären der Paritätische Gesamtverband und der pro familia Bundesverband deshalb im Hinblick auf den Internationalen Frauentag.

Verbriefte Menschenrechte werden in der Praxis oft verletzt

In vielen internationalen und nationalen Dokumenten sind Menschenrechte festgeschrieben, die sich auf die Entscheidungsfreiheit in Bezug auf Fortpflanzung, auf das Recht auf Information und auf den Zugang zu sicheren, effektiven, bezahlbaren und akzeptablen Methoden der Familienplanung beziehen. In der Praxis werden diese Rechte oft verletzt oder eingeschränkt.

So hat die Auswertung des pro familia Modellprojekts „biko – Beratung, Information und Kostenübernahme bei Verhütung“ im letzten Jahr bestätigt, dass Frauen, die wenig Geld haben, für eine sichere Verhütung eine Kostenübernahme brauchen. Im Rahmen der Studie gab mehr als die Hälfte der befragten Frauen an, dass sie ohne eine Kostenübernahme nicht oder weniger sicher verhüten. Ist das Geld knapp, werden akut nötige Anschaffungen getätigt und die Verhütung aufgeschoben. Die Ergebnisse des Modellprojekts decken sich mit den Erkenntnissen aus zahlreichen wissenschaftlichen Studien, die in den letzten zehn Jahren durchgeführt worden sind. Klarer Handlungsbedarf also. Worauf wartet der Gesetzgeber, fragen die beiden Organisationen.

Verhütung darf keine Frage des Geldbeutels sein

„Verhütung darf keine Frage des Geldbeutels sein“, erklärt Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbands. „Der Paritätische fordert daher grundsätzlich kostenfreie Verhütungsmittel für Menschen ohne oder mit geringem Einkommen. Ansonsten ist es weiterhin Realität, dass Menschen auf günstige, weniger sichere oder weniger gut verträgliche Verhütungsmittel zurückgreifen oder ganz auf Verhütung oder Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten verzichten. Sexuelle Selbstbestimmung und reproduktive Gesundheit sind Menschenrechte, die es zu schützen gilt.“

Auch die vertrauliche Beratung gehört zu den sexuellen und reproduktiven Rechten. Es ist nicht hinnehmbar, dass Ratsuchende – etwa ungewollt schwangere Frauen oder Frauen, die sich für eine vertrauliche Geburt entschieden haben und denen per Gesetz absoluter Schutz ihrer Anonymität zugesichert ist – vor Beratungsstellen auf mit Plakaten und Holzkreuzen bewaffnete religiöse Eiferer treffen. „Der Gesetzgeber muss mit Schutzzonen vor Schwangerschaftsberatungsstellen sicherstellen, dass Beratung geschützt, anonym und unbeeinträchtigt stattfinden kann“, macht die pro familia Bundesvorsitzende Dörte Frank-Boegner deutlich.

Informationen zum Schwangerschaftsabbruch

Es war absehbar, dass die zentrale Liste im Internet mit Ärztinnen und Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, nie vollständig sein würde. Denn viele Ärztinnen und Ärzte wollen in dem gesellschaftlichen Klima der Stigmatisierung nicht öffentlich mit dem Schwangerschaftsabbruch in Verbindung gebracht werden. Auf Seiten von fundamentalistischen Selbstbestimmungsgegner(inne)n werden Ärztinnen und Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, als Mörder/-innen angeprangert. Die Politik hat sich gegen die Streichung des §219a StGB und damit gegen eine Normalisierung von Informationswegen und Informationsinhalten zum Schwangerschaftsabbruch ausgesprochen. Für Frauen bedeutet das, dass sie nur über komplizierte Umwege an Informationen gelangen, die sie für einen sicheren Schwangerschaftsabbruch benötigen. Mit dieser Gängelung von Frauen verletzt Deutschland einmal mehr seine Menschenrechtsverpflichtungen.

Quelle: Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e.V. und pro familia e.V. Bundesverband vom 06.03.2020

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