Kinder- und Jugendstärkungsgesetz

Mehr Selbstbestimmung und Teilhabe – und eine erweiterte Geschlechterperspektive

Das neue Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (KJSG) ist seit dem 10. Juni 2021 in Kraft. Es bewirkt umfangreiche Änderungen im Achten Buch Sozialgesetzgebung (SGB VIII) und betont Teilhabegerechtigkeit und Barriereabbau. QUEERFORMAT – Fachstelle Queere Bildung gibt einen Überblick.

14.10.2021

Grundgedanken aus der UN-Kinderrechtskonvention wie Selbstbestimmung und Teilhabegerechtigkeit sind jetzt auch im SGB VIII fest verankert: Kinder und junge Menschen bis 27 haben das verbriefte Recht „auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“. Die Jugendhilfe selbst hat den gesetzlichen Auftrag ihnen zu „ermöglichen oder erleichtern, entsprechend ihrem Alter und ihrer individuellen Fähigkeiten in allen sie betreffenden Lebensbereichen selbstbestimmt zu interagieren und damit gleichberechtigt am Leben in der Gesellschaft teilhaben zu können“ (Paragraf 1).

Eine Neuregelung in Paragraf 4 legt fest, dass die öffentliche Jugendhilfe bei der Förderung der freien Jugendhilfe „die Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Eltern stärken“ soll. Der neu geschaffene Paragraf 4a stärkt die Rolle von selbstorganisierten Zusammenschlüssen und Selbstvertretungen, z. B. Selbsthilfekontaktstellen oder Organisationen von Ehrenamtlichen bzw. Kindern und Jugendlichen selbst. Gemäß dem sozialen Modell von Behinderungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention definiert Paragraf 7 Behinderungen im Kontext von individuellen Beeinträchtigungen „in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren“.

Erweiterte Geschlechterperspektive und Barriereabbau: „transident“, „nichtbinär“ und „intergeschlechtlich“ als neue Rechtsbegriffe

Bahnbrechend ist laut QUEERFORMAT die Änderung des Paragrafen 9 zur Gleichberechtigung von jungen Menschen (bisher: von Jungen und Mädchen), weil hier der Gesetzestext die bisherige binäre Sprechweise hinter sich lässt und die Geschlechterperspektive explizit erweitert: bei der Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrages haben öffentliche und freie Jugendhilfe nunmehr „die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen, Jungen sowie transidenten, nichtbinären und intergeschlechtlichen jungen Menschen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung der Geschlechter zu fördern“.

Dies ist bislang der einzige bundesdeutsche Gesetzestext, der von nichtbinären Personen spricht, womit nichtbinär gemeinsam mit transident und intergeschlechtlich zu einem gesetzlich verankerten Rechtsbegriff geworden ist. Derselbe Paragraf legt fest, dass die Jugendhilfe ganz im Sinne der Kinderrechts- und der Behindertenrechtskonvention „die gleichberechtigte Teilhabe von jungen Menschen mit und ohne Behinderungen umzusetzen und vorhandene Barrieren abzubauen“ hat. Teilhabegerechtigkeit und Barriereabbau sind damit explizite Gesetzesaufträge der Jugendhilfe im Sinne eines erweiterten Inklusionsverständnisses.

Unabhängige Ombudsstellen, Aufwertung von Schulsozialarbeit und Stärkung von Teilhabe bei der Erziehungsförderung

Mit dem neu geschaffenen Paragrafen 9a werden unabhängige und fachlich nicht weisungsgebundene Ombudsstellen zur Vermittlung und Konfliktklärung für junge Menschen und ihre Familien eingeführt. Der ebenfalls neue Paragraf 10a formuliert einen Rechtsanspruch auf Beratung, welche in einer „verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Form“ angeboten werden muss. Mit dem gleichfalls neuen Paragraf 13a wird die Schulsozialarbeit im SGB VIII verankert und der bereits dort aufgeführten Jugendsozialarbeit gleichgestellt.

Auch bei der Förderung der Erziehung in der Familie (Paragraf 16) wird der Grundsatz der Teilhabe gestärkt: die Leistungen für Erziehungsberechtigte und junge Menschen sollen dazu beitragen, „dass Familien sich die für ihre jeweilige Erziehungs- und Familiensituation erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten insbesondere in Fragen von Erziehung, Beziehung und Konfliktbewältigung, von Gesundheit, Bildung, Medienkompetenz, Hauswirtschaft sowie der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit aneignen können und in ihren Fähigkeiten zur aktiven Teilhabe und Partizipation gestärkt werden“.

Für Kinder und Jugendliche bedeutet die neue Gesetzeslage laut QUEERFORMAT eine deutliche Stärkung ihrer Rechte, vor allem was Selbstbestimmung, Teilhabegerechtigkeit und den staatlichen Auftrag zum Barriereabbau betrifft.

Zum Hintergrund

Der Bundesrat hat am 7. Mai 2021 dem vom Bundestag am 22. April 2021 verabschiedeten Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) zugestimmt, dieser hatte im Vorfeld umfassende Änderungen am Achten Buch Sozialgesetzbuch - SGB VIII - beschlossen. Das Gesetz ist nun seit dem 10. Juni 2021 in Kraft. Damit ist die Reform nach rund acht Jahren und zwei Anläufen in zwei Legislaturperioden vorerst abgeschlossen. Die Reform der Kinder- und Jugendhilfe soll Kinder, Jugendliche und junge Menschen bis 27 besser schützen und ihnen mehr Chancen auf Teilhabe geben.

Quelle: QUEERFORMAT – Fachstelle Queere Bildung

Redaktion: Alena Franken

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