Ganztagsbildung

Was kostet der Rechtsanspruch auf Ganztag für Grundschulkinder?

Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) legt aktuelle Schätzungen zu den Kosten eines bedarfsgerechten Ganztagsangebots für Grundschulkinder durch Schule und Hort vor. Viele Eltern haben derzeit nicht die Möglichkeit, ihre Grundschulkinder in Ganztagsschule oder Hort unterzubringen. Deshalb soll ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder eingeführt werden. Ein deutschlandweiter Ausbau der Ganztagsbetreuung im Grundschulalter ist jedoch ein großer Kraftakt, stellen die Forscherinnen und Forscher fest.

15.05.2019

Die institutionelle Betreuung für Kinder bis zum Grundschulalter in Deutschland ist massiv ausgebaut worden. Trotzdem übersteigt die Nachfrage nach wie vor das Angebot. Ab dem vollendeten ersten Lebensjahr bis zum Schuleintritt besteht bereits heute ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Dieser Anspruch endet jedoch mit dem ersten Schultag. Längst nicht alle Eltern in Deutschland haben die Möglichkeit, ihre Grundschulkinder in Ganztagsschule oder Hort unterzubringen.

Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder

Im aktuellen Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ist deshalb ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder vorgesehen. Damit soll nicht nur die Vereinbarkeit von Familie und Beruf leichter ermöglicht werden, sondern auch die Förderung aller Kinder und damit die Chancengerechtigkeit verbessert werden. Ein deutschlandweiter Ausbau der Ganztagsbetreuung im Grundschulalter ist jedoch ein großer Kraftakt, zusätzliche Finanzmittel für Lehrkräfte und weitere pädagogische Fachkräfte über die Halbtagsschule hinaus, bauliche Investitionen sowie die Finanzierung laufender Kosten müssen dafür bereitgestellt werden.

Eine weitere Herausforderung sind die stark variierenden Rahmenbedingungen der Betreuung in den Bundesländern. In Deutschland hat sich eine große Angebotspalette von Ganztagsbetreuung etabliert. Neben Horten als Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie offenen und (teil-)gebundenen Ganztagsschulen gibt es weitere, oft ungeregelte Angebote für die Betreuung über Mittag sowie weitere Einzelinitiativen. Sie unterscheiden sich regional stark voneinander in Bezug auf Verbindlichkeit, Betreuungszeiten, Teilnahme, Ausstattung und Finanzierung.

Voraussetzungen und Annahmen der Berechnungen

Erstmals legt das Deutsche Jugendinstitut (DJI) nun eine Einschätzung der bundesweiten Gesamtkosten für einen bedarfsgerechten Ausbau der Ganztagsbetreuung in Schule und Hort bis zum Jahr 2025 vor. Die Forscherinnen und Forscher haben auf der Basis von Grundannahmen zu Bedarfen und benötigtem Personal Kostenmodelle für Deutschland erarbeitet. Die Modelle beschreiben den Bedarf der Eltern, die eine ganztägige Betreuung der Kinder benötigen, auch in den Schulferien. Die Berechnungen basieren auf der Annahme, dass 40 Stunden Betreuung in der Woche notwendig sind. Grundlegend für eine erfolgreiche Umsetzung sind ferner Qualitätsstandards, die auch für Schule und Kita gelten und die die Betreuung der Kinder durch Fachkräfte und Lehrpersonal sicherstellen sollen.

„Nur einem Teil der Eltern gelingt es bislang, ihre Betreuungswünsche zufriedenstellend zu erfüllen. Die Unterversorgung ist regional unterschiedlich. Um diese Betreuungslücke abzumildern, ist ein weiterer schrittweiser, aber konsequenter Ausbau notwendig. Deshalb berechnen wir auf der Basis der angenommenen Größenordnung der elterlichen Bedarfe, was es kosten würde, die Ganztagsbetreuung pro Kind umzusetzen. Und dabei zeigt sich, je nach Modell und Annahme, eine breite Streuung der Kosten im Milliardenbereich“, sagt Professor Dr. Thomas Rauschenbach, Direktor des DJI und seit Jahren ein kritischer Begleiter des Kita- und Ganztagsschulausbaus.

Grundlagen für die Kostenschätzung

Als Datengrundlage nutzen die Forscherinnen und Forscher bestehende Erhebungen, wie die jährliche Ganztagsschulstatistik der Kultusministerkonferenz (KMK), die amtliche Kinderbetreuungsstatistik der statistischen Ämter sowie die vom DJI seit 2016 durchgeführte Kinderbetreuungsstudie (KiBS).

„Für unsere grundsätzlichen Überlegungen gehen wir von einer Vielzahl von Annahmen aus und schreiben die vorliegenden Werte aus dem Jahr 2017 für Gesamtdeutschland aus den Befunden der DJI-Kinderbetreuungsstudie bis 2025 fort. Der von den Eltern genannte Bedarf an einem Ganztagsbetreuungsangebot im Grundschulalter lag im Jahr 2017 bei 71 Prozent. Derzeit gibt es aber nur für 48 Prozent ein entsprechendes Ganztagsangebot. Bis zum Jahr 2025 soll diese Lücke geschlossen werden“, erklärt Dr. Christian Alt, Leiter der Fachgruppe „Lebenslagen und Lebenswelten von Kindern“ am DJI, der für die Berechnungen verantwortlich ist. „Wir gehen bei der Kostenkalkulation von einer Zunahme der Lehrergehälter und der Gehälter der pädagogischen Fachkräfte um 2 Prozent pro Jahr aus“, ergänzt der Forscher. Zugrunde gelegt wird dabei die Anzahl der Kinder im Alter von 6,5 bis 10,5 Jahren; dies waren 2017 ca. 2,8 Millionen.

Beim Umfang der Betreuung in Schule und Hort nehmen die Expertinnen und Experten einen Bedarf der Eltern an fünf Tagen von je acht Stunden an. Somit umfasst die Betreuungszeit 40 Zeitstunden pro Woche. Durch Unterricht sind derzeit 21,2 Zeitstunden abgedeckt, also müssen die Kinder 18,8 Stunden pro Woche, das heißt 3,7 Stunden täglich zusätzlich betreut werden (vgl. Klemm, Klaus/Zorn, Dirk 2017: Gute Ganztagsschulen für alle. Kosten für den Ausbau eines qualitätsvollen Ganztagsschulsystems in Deutschland bis 2030. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung).

Die DJI-Forscherinnen und Forscher kalkulierten zunächst die laufenden Kosten pro Platz und Jahr (Personalkosten) und zusätzlich die angenommenen Investitionskosten pro Platz in einem Hort beziehungsweise im schulischen Ganztag. Einkommensunterschiede des Lehrpersonals je nach Anstellungsverhältnis oder nach Bundesländern sind in den Modellrechnungen nicht berücksichtigt. Auch Verbesserungen bestehender Plätze oder Kostenbeiträge der Eltern sind nicht Teil der Kalkulation. Eine ausführliche Beschreibung der Vorgehensweise sowie der für die Modelle relevanten Annahmen siehe Hintergrundinformation.

Kosten des Ausbaus bei Umsetzung des Rechtsanspruchs

Das Deutsche Jugendinstitut hat differenzierte Analysen des Bedarfs an Ganztagsplätzen in zwei Szenarien ermittelt. In den Berechnungen wird dabei eine Fortschreibung von Bedarf und Kosten, ausgehend vom Status Quo und einer linearen jährlichen Steigerung des Angebots an Ganztagsplätzen angenommen. Wenn alle aktuellen Elternwünsche in Deutschland durch ein entsprechendes Angebot abgedeckt werden sollen, wären das 665.000 zusätzliche Plätze. Für die Schaffung dieser Betreuungsplätze bis zum Jahr 2025 würden insgesamt Investitionskosten in Höhe von etwa 3,9 Milliarden Euro anfallen. Das entspricht einer Größenordnung von ca. 656 Millionen Euro pro Jahr (siehe Tabelle Szenario 1).

Da ein Teil der Eltern nur eine verlässliche Betreuung für die Zeit bis maximal 14:30 Uhr, also nur eine kurze Übermittagsbetreuung wünscht, müssten bis 2025 bei einem Fortschreibungsmodell nur etwa 322.000 zusätzliche Ganztagsplätze geschaffen werden. Die Investitionskosten belaufen sich bei diesem Modell auf ca. 1,9 Milliarden Euro, verteilt auf sechs Jahre, also ca. 319 Millionen Euro pro Jahr (siehe Tabelle Szenario 2)

Neben den reinen Investitionskosten bis zum Jahr 2025 werden nach Abschluss des Ausbaus der Ganztagsbetreuung jährliche Betriebskosten anfallen, die im Szenario 1 bei 2,6 Milliarden Euro und im Szenario 2 bei 1,3 Milliarden Euro liegen werden.

Weiterführende Informationen

Weitere Informationen finden sich außerdem auf den DJI-Themenseiten Ganztagsschule sowie Im Fokus Ganztagsbildung hier auf dem Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe.

Quelle: Deutsches Jugendinstitut e.V. vom 15.05.2019

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