Ganztagsbildung

Kinderschutz: Wie die Kooperation von Jugendhilfe und Schule verbessert werden kann

Die Kinderschutzzentren haben zu Beginn des Jahres 2010 eine qualitative Befragung zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule in Sachen Kinderschutz durchgeführt.

05.07.2010

 

Verbesserungsmöglichkeiten der Kooperation Jugendhilfe - Schule

Kooperation Jugendhilfe und Schule - Diagramm

Aus Vor Ort einen intensiveren Austausch zu gemeinsamen Themen pflegen Darin enthalten: 4,5% Erwartungen an den Kooperationspartner klären sowie Strukturen und Arbeitsabläufe vermitteln
Darin enthalten: 4% Fachkräfte der Schule in Hilfeplangespräche einbeziehen
34%
Qu Verbesserte Qualifizierung von Lehrer(inne)n zum Thema ‚Kinderschutz’ 11,5%
Enga Mehr Engagement von Schulleitungen, von denen die Kooperation von Schule und Jugendhilfe letztlich abhängt 8,5%
Ak Gegenseitige Akzeptanz der Fachkräfte der beiden Systeme = Kooperation gleichwertiger Partner
Darin enthalten: 5,5% Schule anerkennt Jugendhilfe als gleichberechtigten Partner
8,5%
Z Mangelnden zeitlichen Ressourcen für Kooperationen 8%
Hem Mögliche Hemmschwellen und Vorurteile gegenüber dem ‚fremden’ Fachsystem abbauen 8%
Ke Mehr Kenntnisse über die beruflichen Herausforderungen des anderen Systems erwerben 5,5%
ge Für gemeinsame Fortbildungen und Tagungen von Fachkräften 5,5%
Ver Mehr sozialpädagogische Verantwortungsübernahme der Schulen 5%
Be Mehr Bereitschaft zur Kooperation von allen Lehrer(inne)n 5%

 

Die befragten Fachkräften arbeiten überwiegend in der Jugendhilfe, im Fachsystem Schule und in der Früherziehung. Weitere sind in der Behindertenhilfe tätig, im Gesundheitssystem und in der Frauenhilfe.
Es wurde den Fachkräften die folgende offene Frage gestellt: „Wie ist die Kooperation der beruflichen Bereiche Jugendhilfe und Schule zu verbessern?
Nur vier Fachkräfte haben nichts an den Kooperationen, an denen sie beteiligt sind, zu verbessern.

Auf die Frage, wie die Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule verbessert werden kann, antworteten 244 Fachkräfte, die in diesem Kooperationskontext tätig sind. Es haben sich bei der Analyse der Antworten drei Schwerpunkte herauskristallisiert, die Kriterien für eine verbesserte Kooperation von Jugendhilfe und Schule liefern:

1. Austausch, Erreichbarkeit, Absprachen,
2. Haltung, Bereitschaft, Zeitressourcen, Verantwortungsübernahme, Qualifizierung und
3. Gegenseitige Akzeptanz als gleichwertige Partner, kein Kompetenzgerangel, Abbau von Hemmschwellen und Vorurteilen.

1. Austausch, Erreichbarkeit, Absprachen

Jede dritte Fachkraft (34%) spricht sich dafür aus, dass es regional vor Ort einen intensiveren Austausch zu gemeinsamen Themen geben soll. Eine Fachkraft fasst es in den Worten zusammen: „mehr Kooperation, statt reiner Meldung“. Der Austausch soll strukturiert ablaufen und verbindlich sein. D.h. die Informationsrunden sollen regelmäßig und nicht nur fallspezifisch stattfinden – Stichwort ‚Netzwerk’.
Der Vorteil der Vernetzung liegt – zwei Fachkräften zufolge – darin, dass Informationen früher weitergegeben werden und damit früher bzw. rechtzeitig am Hilfebedarf eines Kindes angesetzt werden kann. Für die Fachkräfte ist es wichtig, die Erwartungen an den Kooperationspartner zu klären sowie Strukturen und Arbeitsabläufe zu vermitteln. Es werden in diesem Kontext auch das Informieren über Leistungsmöglichkeiten und -grenzen der Fachsysteme Jugendhilfe und Schule angesprochen. Neben den 4,5% plädieren zusätzlich 5,5% der Fachkräfte (außerhalb der genannten 34%) dafür, dass die Kooperationsbeteiligten mehr Kenntnisse über die beruflichen Herausforderungen des anderen Systems erwerben, d.h. dass deren Aufgaben und systemimmanente Zwänge transparent werden.

Weitere Fachkräfte plädieren im Rahmen des Austauschs dafür, dass die Fachkräfte der Schule in Hilfeplangespräche einbezogen werden (4% als Teil von den 34%). Die Intensität dieser Beteiligung reicht von der Schaffung von Gelegenheiten der Mitarbeit bis hin zur Forderung, die Schule zum selbstverständlichen Teil des Helfernetzes zu machen. Es sei wichtig, dass sich die Fachkräfte der Schule stärker als bisher mit den Problemen sozial auffälliger Kinder befassen.

Es wird von den Fachkräften überlegt, dass es sinnvoll ist, dass Schulen und Schulbehörden Einrichtungen der Jugendhilfe die Möglichkeit zur Vorstellung ihrer Angebote und zur dauerhaften Präsenz geben. In diesem Zusammenhang wird vorgeschlagen, dass die Jugendhilfe mehr niedrigschwellige Beratungstermine und unterstützende Angebote an den Schulen bereitstellt. Auch wird dafür geworben, dass Fachkräfte des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) in Sitzungen des Lehrer(innen)-Kollegiums eingeladen werden und Elternabende zu bestimmten Themen veranstalten.
Andere Fachkräfte bringen die Ideen ein, dass Lehrer(innen) Hospitationen oder Praktika in der Jugendhilfe machen sollten und ein Austausch im Rahmen von Supervisionen stattfinden sollte.

2. Haltung, Bereitschaft, Zeitressourcen, Verantwortungsübernahme, Qualifizierung

Es wird von Fachkräften gefordert, dass sich die Haltung der Lehrer(innen) zur Kooperation von Schule und Jugendhilfe in der Weise ändert, dass die Kooperation mit der Jugendhilfe als Win-win-Situation erkannt wird, und nicht als Zeitraub oder lästige Einmischung von fremden Fachkräften wahrgenommen wird. 5% der Fachkräfte sprechen sich dafür aus, dass alle Lehrer(innen) mehr Bereitschaft zur Kooperation zeigen sollten. Die Kooperation von Schule und Jugendhilfe sei bei den Lehrer(inne)n sehr personenabhängig.
Zusätzlich zu den 34% werden von zwei Fachkräften Sprechstunden bzw. unterstützende Angebote für Eltern gefordert.
Die Offene Ganztagsschule (OGS) wird von zwei Fachkräften positiv hervorgehoben und als gut geeignete Struktur für den Austausch von Jugendhilfe und Schule eingeschätzt.

Von 8% der Fachkräfte werden die mangelnden zeitlichen Ressourcen für Kooperationen angesprochen. Es würde bei den Lehrer(inne)n weniger Zeitdruck geben und mehr Zeit für die Arbeit mit Kindern.
Bei den dann weniger belasteten Lehrer(inne)n würde die Motivation zur Verantwortungsübernahme und zur Kooperation steigen. Bei den Fachkräften des Jugendamtes könnte die zum Teil hohe Fallzahl abgesenkt werden, sodass Zeit für einen nicht fallbezogenen Austausch bleibt.

Ein Teil der Fachkräfte bemängeln, dass in manchen Schulen die Sensibilität für den Kinderschutz fehlt. Es sei wichtig, die Einsicht in die Notwendigkeit des Kinderschutzes zu vermitteln.
Zudem wird gefordert, dass sich das Fachsystem Schule weniger nach innen ausrichten und mehr zur Jugendhilfe hin öffnen sollte. 8,5% der Fachkräfte sprechen an, dass das Engagement für die Kooperation von Schule und Jugendhilfe von der Schulleitung abhängt und sich diese mehr für diese Kooperationen einsetzen sollten. Diese kommunizieren jeweils den Nutzen einer solchen Kooperation und motivieren bzw. demotivieren die Lehrer(innen).
Die Kooperation von Jugendhilfe und Schule darf auf Seiten der Schule nicht vom freiwilligen Engagement einzelner Lehrer(innen) abhängig sein, d.h. von sogenannten ‚Einzelkämpfern’. Die Kooperation muss von der Schulleitung gewollt sein und institutionell unterstützt werden – auch durch ein entsprechendes Zeitbudget. Bisher fehle die Zeit für gründliche Gespräche bzw. die notwendige Fallarbeit. Es wird in diesem Zusammenhang zu Vereinbarungen auf Leitungsebene geraten.

Mit 11,5% spricht sich etwa jede zehnte Fachkraft für eine verbesserte Qualifizierung von Lehrer(inne)n aus. Lehrer(innen) benötigen Wissen zum Kinderschutz – etwa zur Entwicklungspsychologie – und zur Arbeit der Jugendhilfe (Aufgabenbereich im Sinne des gesetzlichen Auftrags; Möglichkeiten und Grenzen von Jugendamt, ambulanten Hilfen, etc.). Zwei Fachkräfte von diesen merken an, dass Lehrer(innen) mehr Kenntnisse zu verhaltensauffälligen Kindern benötigen.
Zwei andere Fachkräfte sprechen konkret an, dass Lehrer(innen) wissen sollten, wie mit Verdachtsmomenten umzugehen ist – die jeweiligen Schulen sind insbesondere gefordert, Handlungsleitlinien vorzugeben.

Fachkräfte bemerken, dass die Schulsozialarbeit eine wichtige Vermittlerrolle hat und plädieren für eine Aufwertung der Schnittstelle ‚Schulsozialarbeit’. Andere Fachkräfte argumentieren in ähnlicher Weise und würden mehr Schulsozialarbeit an den Schulen begrüßen.

3. Gegenseitige Akzeptanz als gleichwertige Partner, kein Kompetenzgerangel, Abbau von Hemmschwellen und Vorteilen

8,5% der Fachkräfte halten eine gegenseitige Akzeptanz der Fachkräfte der beiden Systeme für wichtig und sprechen sich für eine Kooperation gleichwertiger Partner aus. Ein Kontakt auf gleicher Augenhöhe führe zu einer verbesserten Kooperation. Diese Art des Kontakts zeige sich beispielsweise daran, dass keine Seite der anderen Aufträge erteilt.
Mit 5,5% sprechen sich über die Hälfte der 8,5% explizit dafür aus, dass die Schule die Jugendhilfe als gleichberechtigten Partner verstehen bzw. anerkennen soll. Die Fachkräfte der Jugendhilfe sollen als Unterstützer(innen) und nicht als Dienstleister begriffen werden. Eine Fachkraft fordert von Seiten des Kultusministeriums ernsthafte Anstrengungen, die Jugendhilfe als adäquaten Kooperationspartner zu akzeptieren. Die Kooperation von Schule und Jugendhilfe sollte beispielsweise durch politische Aussagen und Fortbildungen bzw. Veranstaltungen unterstützt werden.

Andere Fachkräfte möchten ein Kompetenzgerangel zwischen den Fachkräften der beiden Systeme Jugendhilfe und Schule verhindern, um auf diese Weise eine bessere Kooperation zu erreichen.
Es ist sinnvoll, die Verantwortlichkeiten zu klären und die originären Zuständigkeiten der zwei Systeme zu kennen. An dieser Stelle ist an das Plädoyer von Fachkräften für „mehr sozialpädagogische Verantwortungsübernahme der Schulen“ zu erinnern und zu klären, wo sozialpädagogisches Engagement von Lehrer(inne)n endet und es sich um Kernkompetenzen der Jugendhilfe handelt. Gleiches gilt auch in umgekehrter Richtung: Wo beginnt die Kernkompetenz und damit auch die Entscheidungsbefugnis der Schulen? In diesem Kontext ist beispielsweise der Vorschlag einer Fachkraft zu prüfen, dass ein Kind nur bei einem Einbezug des Jugendamtes von einer Schule verwiesen werden darf.
Fachkräfte heben hervor, dass die unterschiedlichen Professionen in der systemübergreifenden Kooperation als Chance, einen erfolgreichen Kinderschutz zu gestalten, begriffen werden sollten und nicht als Konkurrenz.

8% der Fachkräfte zufolge wird die Zusammenarbeit dann verbessert, wenn mögliche Hemmschwellen und Vorurteile gegenüber dem ‚fremden’ Fachsystem abgebaut werden. 3,5% der Fachkräfte werben für mehr Verständnis füreinander.

Die vollständigen Ergebnisse der qualitativen Befragung können Sie hier im PDF-Format herunterladen: http://www.kinderschutz-zentren.org/pdf/2010VerbesserungderKooperationvonJugendhilfeundSchuleUntersuchungsergebnisse.pdf

Quelle: Dr. Timo Müller, Die Kinderschutz-Zentren

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