Freiwilliges Engagement

Wir messen und bewerten nicht

Anne Sorge-Farner

Die Anerkennung außerschulischer Bildung ist eines der Top-Themen europäischer Jugendpolitik und der Entwicklung einer Eigenständigen Jugendpolitik des Bundesjugendministeriums. Die "Nachweise International", die bei IJAB entwickelt wurden, leisten einen wichtigen Beitrag zur Dokumentation der Kompetenzen von Jugendlichen in internationalen Projekten. Wir haben mit Projektreferentin Anne Sorge-Farner über die pädagogischen Hintergründe der Nachweise, den problematischen Trend zur Zertifizierung aller Lebensbereiche und die Vielfalt der Zertifikate zur Anerkennung non-formalen Lernens gesprochen.

27.07.2012

Anne Sorge-Farner ist Referentin im Geschäftsbereich "Qualifizierung und Weiterentwicklung der Internationalen Jugendarbeit" von IJAB und für die Nachweise International zuständig, die sie in ihrer heutigen Form maßgeblich mitentwickelt hat. 

E-Mail: <link mail window for sending>sorge@DontReadMeijab.de 

Die Nachweise International zeigen, was Jugendliche in einem internationalen Projekt gemacht haben und welche Lernerfahrungen sie gesammelt haben. Das Instrument verdeutlicht die Lernerfahrungen, Fähigkeiten und Kompetenzen Jugendlicher und kann für Bewerbungen genutzt werden. 

<link http: www.nachweise-international.de _blank external-link-new-window external link in new>www.nachweise-international.de

Frau Sorge-Farner, die Nachweise International dokumentieren Teilnahme, Engagement und Kompetenzen von Jugendlichen bei internationalen Begegnungs- und Austauschprojekten. Jugendliche sehen das wahrscheinlich gern, weil sie die Erwartung haben, dass sich ein solcher Nachweis positiv bei Bewerbungen niederschlägt. Ist diese Erwartungshaltung berechtigt oder sind die dokumentierten Kompetenzen nicht ohnehin etwas, das in Bewerbungsgesprächen abgefragt wird?

Anne Sorge-Farner: Unberechtigt ist diese Erwartung ganz sicher nicht. Um in Bewerbungssituationen über erworbene Kompetenzen ins Gespräch zu kommen, müssen potentielle Arbeitgeber erst einmal wissen, wonach sie suchen sollen. Gerade die Partizipation und das Engagement Jugendlicher in internationalen Begegnungs- und Austauschprojekten lassen sich im Lebenslauf schwer abbilden. Die Nachweise International unterstützen dabei, die Inhalte und Formate internationaler Jugendarbeit für Außenstehende transparent und nachvollziehbar darzustellen. Damit bieten sie einen guten Gesprächsanlass. Da der Kompetenznachweis International gemeinsam mit dem Jugendlichen in einem intensiven Coachingprozess entsteht, fällt es Jugendlichen anschließend leichter, ihre Erfahrungen und Kompetenzen zu erkennen und diese selbstbewusst in Bewerbungsgesprächen zu thematisieren.

Die pure Teilnahme an einem Jugendaustausch zu bescheinigen ist sicher einfach. Bei Engagement und Kompetenzen wird es schwieriger. Wie misst man das? Und: Ist die Tendenz alles zu zertifizieren eigentlich richtig? Muss tatsächlich alles messbar und bewertbar sein? Manchen erscheint das im Kontext eines freiwilligen Engagements als unangemessen.

Anne Sorge-Farner: Ich stehe dem Trend zur Mess- und Bewertbarkeit aller Lebensbereiche kritisch gegenüber. In der Schule, Uni und Ausbildung sind wir regelmäßig mit einer Fremdbewertung unserer Leistungen konfrontiert – durch Lehrer, Ausbilder oder Hochschullehrer. Auch im Berufsleben wird schon bei der Einstellung durch Assessment-Center oder Bewerbungsgespräche unsere künftig zu erwartende Performance getestet und bewertet, mit Zielvereinbarungen und Jahresgesprächen auch im Arbeitsalltag unsere Leistungen kontrolliert. Die scheinbar objektiven Leistungsbewertungen sind in vielen Fällen hochgradig subjektiv. Das weiß jeder, der schon einmal einen Deutschaufsatz oder eine Interpretation bewertet zurückbekommen hat, genauso wie ein Teilnehmender eines Assessment-Centers. Von der Frage des Maßstabes für weiterführende Schulempfehlungen – z.B. bei Schülern aus unterschiedlichen sozialen Schichten – möchte ich gar nicht erst anfangen. Mit dem Engagement- und Kompetenznachweis International gehen wir hier ganz andere Wege. Wir vertreten einen stärkenorientierten Ansatz, wir messen und bewerten nicht. Wir arbeiten gemeinsam mit den Jugendlichen im Dialog mittels Fremdeinschätzung und Selbstbeobachtung die sichtbar gewordenen Kompetenzen heraus und beschreiben diese verhaltensnah und anhand konkreter Situationen. Nur so können wir pauschale Bewertungen vermeiden und arbeiten deshalb auch nicht mit Skalen. Daher unterscheidet sich auch die verwendete Sprache im Kompetenznachweis erheblich von üblichen Zeugnissen und Bewertungen. Die Entscheidung für einen Nachweis und die Teilnahme an einem solchen Coachingprozess überlassen wir den Jugendlichen. Welche herausgearbeiteten Stärken sie in dem Kompetenznachweis dokumentiert sehen möchte und welche nicht, bleibt ebenfalls in der Hand der Jugendlichen.

Neben den Nachweisen International gibt es noch den Youthpass, der für die Teilnahme an internationalen Projekten im Rahmen des EU-Förderprogramms Jugend in Aktion vergeben wird. Die Nationalagentur Bildung für Europa beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) zertifiziert mit dem Europass Mobilität ebenfalls Auslandserfahrungen, wenn auch ausschließlich im beruflichen Kontext. Sind das nicht zu viele Zertifikate? Versteht ein Laie noch die Unterschiede?

Anne Sorge-Farner: Da stimme ich zu. Und das sind beileibe nicht alle. Gerade im internationalen Kontext wollen wir das Europäische Portfolio für Jugendleiter/-innen und Jugendbetreuer/-innen des Europarats nicht vergessen. Es gibt unzählige Zertifikate und Verfahren zur Anerkennung non-formalen und informellen Lernens. Sie unterscheiden sich in ihrer Anwendung und natürlich auch in ihrer Zielsetzung. In diesem Zusammenhang wird häufig der Wunsch nach dem einen, alles umfassenden, einfach anzuwendenden und bundesweit bekannten Verfahren und Zertifikat geäußert. Aber nicht jedes Verfahren passt eins zu eins zum jeweiligen Projekt, dem Betreuungsschlüssel, der Zielgruppe oder den Lernzielen des Projekts. Die Vielfältigkeit der Zertifikate verdeutlicht, dass sie nah an der Arbeitsrealität der jeweiligen pädagogischen Nutzer/-innen entwickelt wurden, um die Verfahren so einfach und handhabbar wie möglich zu machen. Um das für die eigene Praxis passende Verfahren zu finden, bietet z.B. mein Artikel im aktuellen Forum Jugendarbeit International einen guten Überblick oder auch die Seite des Projektes IBAK (<link http: www.competences.info ibak cms _blank external-link-new-window external link in new>www.competences.info/ibak/cms/website.php) eine gute Orientierung im Zertifikatsdschungel.

Das Europaparlament engagiert sich für einen "Europäischen Qualifikationspass", der Engagement im Ausland dokumentieren soll. Ersetzt das die Nachweise International oder ist darüber noch zu wenig bekannt?

Anne Sorge-Farner: Über den Europäischen Qualifikationspass ist bisher viel zu wenig bekannt. Klar geäußert wurde bisher nur, dass es sich um ein Darstellungsinstrument handeln soll, das berufliche Qualifikationen, Praktika und Freiwilligendiensttätigkeiten transparent und europaweit vergleichbar dokumentiert. Die eierlegende Wollmilchsau wird auch der Qualifikationspass nicht werden. Er wird als Weiterentwicklung des Europass Lebenslaufes beschrieben. Zu erwarten ist wie bei (fast) allen anderen Europass-Instrumenten (bis auf den Europass Mobilität) ein niedrigschwelliges Self-Assessment-Tool, ähnlich dem Schweizer „Sozialzeitausweis“, in dem der Inhaber seine beruflichen und ehrenamtlichen Mobilitäten dokumentieren kann. Ob der Qualifikationspass in geeigneter Form auch internationale Jugendbegegnungs- und Austauschprojekte dokumentieren kann und soll, bleibt abzuwarten. Einen Ersatz für pädagogisch begleitete Reflexionsprozesse von Jugendlichen wie im Kompetenznachweisverfahren sehe ich darin nicht. Grundsätzlich begrüßenswert finde ich aber jede Initiative, die bei der Darstellung beruflich relevanter Erfahrungen und Kompetenzen mehr in den Blick nimmt, als die klassische formale Aus- und Weiterbildung junger Menschen.

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