Freiwilliges Engagement
Frankreich will Freiwilligendienste erheblich ausbauen
2008 wurde mit der eingerichteten Kommission um Luc Ferry eine Debatte über die Zukunft des Freiwilligendienstes in Frankreich eröffnet. Dies geschah nach nur zwei Jahren Erfahrungen mit neuen Diensten, die in Folge der Abschaffung der Wehrpflicht für Männer ab 18 Jahren in Frankreich eingeführt wurden.
15.12.2009
Die Aussetzung der Wehpflicht wurde 1996 angekündigt und nach einer Übergangsphase 2002 umgesetzt. Nach den Vorstadt-Unruhen im November 2005, bei denen insbesondere junge Menschen in sozial benachteiligten Stadtvierteln involviert waren, rief Präsident Jacques Chirac erstmals zur Einführung eines Freiwilligendienstes auf. Die Gesetze traten 2006 in Kraft und im selben Jahr begannen die ersten Freiwilligen ihren Dienst.
In der Folge wurde die Debatte über die mögliche Einführung eines Pflichtdienstes für junge Menschen kontrovers diskutiert. Luc Ferry mit seinem Team war beauftragt, Vorschläge und Empfehlungen für eine zukunftsfähige Form von Bürgerschaft und bürgerschaftlichen Engagement zu erarbeiten. In dem im September 2008 vorgelegten Bericht empfahl die Kommission die Freiwilligkeit des Dienstes beizubehalten, obwohl zahlreiche Stimmen bis heute die langfristige Perspektive eines Pflichtdienstes verteidigen - und dies überparteilich. Neben finanziellen Faktoren war das Hauptargument, dass das bürgerschaftliche Engagement keinen zwanghaften Charakter annehmen sollte.
Andere Empfehlungen der Luc Ferry Gruppe waren die Vereinfachung des administrativen Verfahrens durch die Einführung eines einzigen Status für Freiwillige und die Definition der Tätigkeitsfelder und Einsätzbereiche durch eine staatliche Einrichtung. Dies soll die Gemeinnützigkeit des Programms verstärken und die klare Trennung zwischen Freiwilligen- und Arbeitsstellen sichern. Der französischen Politik ist es sehr wichtig, die Abgrenzung zwischen dem Freiwilligenstatus und dem Beschäftigungsverhältnis zu regeln.
In der Folge der Diskussion und Abstimmung kündigte der französische Hohe Kommissar für Jugend, Martin Hirsch, im Frühling 2009 die Einführung eines neuen Systems von Freiwilligendiensten für Anfang 2010, auf der Grundlage eines neuen Gesetzes. Das Ziel der Regierung ist es, die Angebote soweit auszubauen, dass bis 2012 70.000 bis 80.000 Freiwillige pro Jahr teilnehmen können, was ca. 10% einer Alterklasse ausmacht. Schon im Herbst 2010 sollen 10.000 junge Menschen die Möglichkeit eines Freiwilligendienstes erhalten.
Das am 27. Oktober dieses Jahres im Senat verabschiedete Gesetz orientiert sich weitgehend an den Empfehlungen der Kommission Ferry. Im Kern geht es um die Festlegung eines Freiwilligenstatus und einem erheblichen Ausbau von Einsatzmöglichkeiten. Die Chancengleichheit beim Zugang zu den Freiwilligendiensten ist ebenfalls formuliertes Ziel. Auf der anderen Seite wird dem Bildungsaspekt im Sinne des non-formalen Lernens weniger Bedeutung als bisher zugestanden. Das Gesetz muss noch im Dezember bei der Nationalversammlung gelesen und eventuell abgeändert werden.
Die Hauptziele des Programms sind die Vermittlung demokratischer Werte durch bürgerschaftliches Engagement und eine Erhöhung der Chancengleichheit. Der bisherige Freiwilligendienst besteht in den meisten Fällen aus der Kombination des "Volontariat Associatif", welches den Status der Freiwilligen beschreibt, mit dem "Service Civil Volontaire", welches den Organisationen eine öffentliche Finanzierung gewährleistet. Die zwischen 16 und 25 Jahre alten Frauen und Männer sind gemeinnützig tätig in Bereichen wie Soziale Dienste, Bildung, Kultur, Gesundheit oder Umweltschutz. Darüber hinaus wurde 2007 das bi-nationale Pilotprojekt eines deutsch-französischen Freiwilligendienstes initiiert.
Die soziale Mischung und die Einbeziehung sozial benachteiligter junger Menschen sind von der Regierung erwünscht. Jedoch bestimmen die Organisationen das Profil der Freiwilligen und viele bevorzugen qualifizierte Bewerber: manche Vereine, die Freiwillige vermitteln, sind vor allem im akademischen Milieu angesiedelt. So haben 2009 78% der Teilnehmer mindestens das Abitur.
Die im Vergleich mit anderen europäischen Ländern großzügige staatliche Finanzierung wäre a priori für die Partizipation sozial Benachteiligter geeignet: 175€ pro Freiwilligen pro Monat werden für die pädagogische Begleitung zur Verfügung gestellt (100€ für die Betreuung durch einen Tutor und 75€ für eine eintägige Ausbildung), was die Berücksichtigung spezifischer Bedürfnisse dieses Publikums ermöglicht. Zudem kann die monatliche Aufwandsentschädigung von etwa 650€ pro Freiwilligen bei finanzschwachen jungen Menschen den Zugang zu materieller Autonomie fördern.
Gleichwohl wird die Beteiligung anderer sozialer Gruppen junger Menschen im Rahmen des französischen Freiwilligendienstprogramms durch verschiedene Faktoren eingeschränkt. Die Gewinnung sozial benachteiligter junger Menschen wird vom Gesetzgeber empfohlen, jeder vierte Freiwillige in den großen Organisationen soll von einem nicht akademischen Hintergrund kommen, heißt die Empfehlung. Die Förderung der Beteiligung anderer Gruppen wird aber nicht durch konkrete Maßnahmen stimuliert, wie z.B. durch eine zusätzliche Finanzierung oder besondere Rahmenbedingungen.
Die Anzahl von Freiwilligen pro Jahr ist bislang aus finanziellen Gründen begrenzt (aktuell um 3.000), außerdem wirbt die Regierung wenig für das Programm. Ohne eine gezielte Information können bestimmte Bevölkerungsgruppen nur schwer erreicht werden. Die zentrale Agentur, die die Einsatzstellen und Organisationen anerkennt sowie die Träger selbst bemühen sich jedoch mit Beratungsstellen und "Schulen der zweiten Chance" zusammenzuarbeiten, um dieser Tendenz entgegen zu wirken.
Der Freiwilligendienst fördert die berufliche Orientierung und den Erwerb von Sozialkompetenzen. Jedoch hat Frankreich noch keine lebendige Freiwilligenkultur entwickelt und bei der Stellen- und Ausbildungsplatzsuche sind außerschulische Erfahrungen wie diese bisher wenig anerkannt.
Quelle: bbj-Newsletter
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