Europa
Neue Jugendstudie des Instituts für Jugendkulturforschung: Religion im persönlichen Alltag kaum verankert
Eine neue Jugendstudie des Wiener Instituts für Jugendkulturforschung zeigt: Religion ist im persönlichen Alltag der jungen Österreicherinnen und Österreicher kaum verankert, das Miteinander der Religionen wird allerdings als gesellschaftliche Herausforderung gesehen. Das Jugendforschungsinsitut hat bei 300 repräsentativ ausgewählten Jugendlichen nachgefragt, was sie mit Religion verindet und voran sie denken, wenn sie Kirche hören.
18.04.2019
Österreich hat eine lange katholische Tradition, doch im 21. Jahrhundert werden die Karten neu gemischt. Im religiös-weltanschaulichen Bereich gerät viel in Bewegung: Die Zahl der Katholiken schwindet. Das Verhältnis junger Menschen zu Religion verändert sich. Das Spektrum weltanschaulich-religiöser Heimaten wird breiter. Die Gruppe der religionsdistanzierten Jugendlichen wächst. Ist Religion im Alltag der nachrückenden Generation überhaupt noch ein relevanter Faktor?
Das Institut für Jugendkulturforschung hat das bevorstehende Osterfest zum Anlass genommen, bei 300 repräsentativ ausgewählten Jugendlichen nachzufragen: Was verbindet die heutige Jugend mit Religion? Woran denken Jugendliche, wenn sie Kirche hören? Und wie sehen sie Ordensfrauen als Repräsentantinnen der katholischen Kirche?
„Nichts für mich“: Religionsdistanz erreicht die 10- bis 19-jährigen
45% der 10- bis 19-jährigen gehen beim Thema „Religion“ emotional auf Distanz: 38% Prozent reagieren auf die Frage, woran sie denken, wenn sie „Religion“ hören, mit „Dazu fällt mir gerade nichts ein“, 7% sagen unumwunden: „Religion ist nichts für mich.“
Ein Drittel der Jugendlichen (34%) hat dem eigenen Empfinden nach keine religiösweltanschauliche
Heimat: In diese Gruppe fallen Jugendliche ohne Bekenntnis, eine wachsende Gruppe vor allem in den urbanen Zentren, aber auch „Taufschein-Christen“, die sich von ihrer Religionsgemeinschaft distanzieren – frei nach dem Motto: „Ich bin zwar katholisch, aber glaube nicht an Gott. Welcher Religionsgemeinschaft ich angehöre? Keiner.“
Leben in interreligiösen Gesellschaften bestimmt das Bild junger Menschen von Religion
Was konkrete Vorstellungsbilder betrifft, zeigt sich, dass, ungestützt abgefragt, lediglich 22% „Glaube an Gott oder ein höheres Wesen“ zuallererst mit Religion verbinden. Bei 35% steht in den persönlichen Assoziationen zu Religion die Vielfalt der Religionen als gesellschaftliche Herausforderung im Vordergrund: Die Jugendlichen nennen hier Aspekte wie
das Nebeneinander religiöser Überzeugungen in unserer Gesellschaft, kulturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedern unterschiedlicher Religionsgemeinschaften, aber auch Intoleranz gegenüber Andersdenkenden sowie Religionsfreiheit als Menschenrecht.
„Das Spektrum weltanschaulich-religiöser Heimaten wird breiter und zugleich wird die Gruppe der Religionsdistanzierten größer. Die Vielfalt der möglichen weltanschaulichen Überzeugungen, auf die Jugendliche in ihrem Alltag treffen, haben für ihr Leben aber nicht notwenderweise Bedeutung“, so Studienleiterin Dr. Beate Großegger. „Einander zu begegnen
oder aufeinander zuzugehen, ist aus Sicht der Jugendlichen kein Muss.“
Traditionen, aber auch Kritik prägen das Bild von der Kirche
Mit Kirche verbinden die Jugendlichen allem voran religiöse Symbole und Rituale wie die Taufe oder die kirchliche Eheschließung (20%), Glaube (15%), Christentum (12%) oder auch Gemeinschaft der Gläubigen (9%).
Rund jeder Vierte (23%) nimmt, ungestützt abgefragt, eine explizit kritische Haltung ein: 12% sagen „Kirche, das ist nichts für mich“, 7% kritisieren die Kirchensteuer als „Abzocke“, weitere 3% kritisieren Doppelmoral, 1% fordert Reformen.
Die Amtskirche gilt nicht mehr als gesellschaftliche Einflussgröße
Der Bedeutungsverlust der Amtskirche ist in den Lebenswelten der Jugendlichen angekommen, ungestützt abgefragt sieht lediglich 1% der 10- bis 19-jährigen in der Kirche eine gesellschaftliche Einflussgröße. Als Orientierungspunkt für das persönliche Leben hat die Religionsgemeinschaft, in die man hineingeboren wurde, nicht notwendigerweise Relevanz, vieles in der Kirche ist inkompatibel mit der Lebensweise und den Werten junger Menschen.
Scharfer Kontrast zur eigenen Lebensrealität bestimmt auch das Bild, das 10- bis 19-jährige von Ordensfrauen haben: Strenger Glaube, Zurückstellen eigener Bedürfnisse, ein hohes Maß an Disziplin und damit verbunden der Verzicht auf ein eigenes Leben – auf Jugendliche wirkt all das „creepy“.
„My Religion“ im Trend: „Religion ist Privatsache“ und „Jedem das Seine“
„Geht es nach den heute 10- bis 19-jährigen, ist Österreich kein klassisch katholisches Land mehr, das Leben in Österreich ist vielmehr durch eine Vielfalt an Religionen und, parallel dazu, einen Bedeutungszuwachs der Religionsdistanzierten geprägt“, kommentiert Dr. Beate Großegger die Studienergebnisse. „Die nachrückende Generation plädiert für individualisierte Religiosität und sie fordert Religionsfreiheit nach dem Prinzip ‚Jedem das Seine‘, wobei dies auch die Forderung nach einem ‚frei von Religion Sein‘ miteinbezieht“, so Beate Großegger.
Für die Jugendarbeit religiöser Weltanschauungsgemeinschaften schafft diese Grundhaltung neue Herausforderungen. „Wer den Dialog mit der Jugend suchen will, muss zweierlei wissen: Erstens, was Jugendliche nervt: Weltanschauungsdruck. Und zweitens, was bei Jugendlichen punktet: nämlich das eigene Anliegen frei nach dem Motto: ‚Ich bin mein eigenes Geschöpf‘“, so Großegger.
Studiensteckbrief
- Titel der Studie: Jugend & Religion 2019: Was verbinden 10- bis 19-jährige mit Religion, Kirche und Ordensgemeinschaften?
- Stichprobe: n=300, rep. für 10- bis 19-jährige Jugendliche in Österreich, quotiert nach Alter, Geschlecht und Bildung
- Durchführung: Institut für Jugendkulturforschung – Eigenstudie
- Studienleitung: Dr. Beate Großegger
- Statistik: Matthias Rohrer
- Themen: Spontanassoziation zu Religion (offene Frage vercodet), Spontanassoziation zu Kirche (offene Frage vercodet), Spontanassoziation zu Ordensfrau bzw. Nonne (offene Frage vercodet), Religionszugehörigkeit
Weitere Informationen finden sich unter www.jugendkultur.at. Für Rückfragen steht das Institut unter studien@jugendkultur.at per Mail zur Verfügung.
Quelle: Institut für Jugendkulturforschung vom 15.04.2019
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