Ukraine

„Ich wünsche uns einen friedlichen Himmel“

Ilona Kotovshchyk

Eine junge Frau hofft auf eine Flugverbotszone. Ilona Kotovshchyk studiert in Kyjiw Religionswissenschaften. Jetzt stellt sie in ihrem Heimatdorf Camouflage-Netze und Molotowcocktails für die Territorialverteidigung her. Sie sagt: „Wenn wir aufgeben, wird es keine Ukraine und keine Freiheit mehr geben.“ IJAB hat mit ihr darüber gesprochen, wie der Krieg eine Generation verändert.

11.03.2022

ijab.de: Ilona, du lebst in Sukholisy, einem kleinen Dorf in der Nähe der Stadt Bila Tserkva. Die Stadt ist vor ein paar Tagen bombardiert worden. Wie sicher ist es in deinem Dorf noch?

Ilona Kotovshchyk: Ich stamme aus Bila Tserkva, das ist meine Heimatstadt. Sie liegt etwa 25 km von dem Dorf, in dem ich jetzt lebe, entfernt und etwa 100 km südlich von Kyjiw. Es ist Krieg, also ist es nirgendwo wirklich sicher. Aber gewöhnlicherweise bombardiert die russische Luftwaffe die Städte, weil dort die Fabriken und Militärbasen sind. Irgendwie ist das auch nichts neues für mich und viele andere in meinem Alter. Wir haben seit 2014 Krieg, den Krieg im Donbass. Seit meiner Kindheit kenne ich den Krieg. Neu ist nur, dass der Krieg nicht mehr auf eine Region begrenzt ist und man überall mit Bombenangriffen rechnen muss. Sicher ist es also nirgendwo mehr.

Du hast dich freiwillig zur Territorialverteidigung gemeldet, hat man mir gesagt.

Ja, das stimmt, allerdings bisher nicht zum militärischen Teil der Territorialverteidigung. Gemeinsam mit anderen stelle ich Camouflage-Netze her und Molotowcocktails. Es sind ziemlich viele Menschen aus den Städten im Norden hier und alle versuchen sich nützlich zu machen. Wenn wir hier angegriffen werden, dann werde ich zur Territorialverteidigung einberufen.

Kinder und Jugendliche haben Schreckliches erlebt

Du hast mal an einem Seminar von Service Civil International zur gewaltfreien Konfliktbewältigung teilgenommen. Nützt dir das unter diesen Bedingungen noch etwas?

Ja, ich erinnere mich an dieses Online-Seminar. Ich hab zu der Zeit in Mariupol studiert. Ich habe das nicht so sehr als ein Seminar Verstanden, in dem es um den Abbau von Konflikten zwischen Staaten geht, sondern eher auf der persönlichen Ebene. Es hilft mir tatsächlich in der Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen. Viele von ihnen haben Schreckliches erlebt. Luftangriffe, die sogenannten Volksrepubliken. Jetzt gerade warten wir auf eine Familie, die versucht von Chernihiv hierher durchzukommen, aber die Straßen sind vermint. Solche Erlebnisse traumatisieren Kinder und Jugendliche und ich kann mein Seminarwissen anwenden, um besser mit ihnen reden zu können.

Was bedeutet dieser Krieg für deine Generation?

Wir wissen, warum dieser Krieg stattfindet und warum er begonnen wurde. Wir wissen, warum Russland angegriffen hat. Wir kennen unsere Geschichte: den Holodomor [von Stalin 1932 willentlich herbeigeführte Hungersnot, in der mehrere Millionen Ukrainer*innen verhungerten. Anm. d. Red.], die Versuche der ersten ukrainischen Staatsgründung am Ende des 1. Weltkriegs. Wir wissen, was im 2. Weltkrieg geschah. Wir wissen, was zu tun ist und wir verteidigen unsere Gegenwart und Zukunft. Wenn wir aufgeben, wird es keine Ukraine und keine Freiheit mehr geben. Wenn der Krieg vorbei ist, werden wir das Land wieder aufbauen – und vielleicht besser als vorher. Viele von uns haben ein Überlebendensyndrom – selbst die, die im Ausland studieren. Wir denken die ganze Zeit darüber nach, was wir mehr und besser machen können. Das wirkt sich auf die geistige Gesundheit aus.

„Ich will kein Flüchtling werden“

Hast du darüber nachgedacht, das Land zu verlassen?

Ja, natürlich. Ich habe die Wahl. Aber ich möchte kein Flüchtling sein. Meine Mutter und mein Vater dienen in der Armee. Meine Großeltern sind hier, die können nicht mal allein in den Luftschutzkeller. Sie brauchen mich. Meine ganze Familie ist hier.

Welche Hilfe wird jetzt gebraucht?

Die NATO muss den Himmel über der Ukraine schließen und eine Flugverbotszone einrichten. Es ist Krieg und ich bin ein Kind des Krieges. In den Jugendzentren, die es in jeder größeren Stadt gibt, werden jetzt Flüchtlinge aufgenommen. Es gibt Erste-Hilfe-Kurse. Es werden Camouflage-Netze und Molotowcocktails hergestellt. Nur in Chernihiv nicht. Das Jugendzentrum gibt es nicht mehr. Es wurde weggebombt. Jetzt ist dort nichts mehr. Wenn die Welt verhindern will, dass das so weitergeht, dann brauchen wir jetzt die Flugverbotszone.

Es hört sich irgendwie blöd an, dir jetzt zum Abschied viel Glück zu wünschen.

Wenn sich die Menschen hier verabschieden, wünschen sie sich gegenseitig einen friedlichen Himmel. Das wünsche ich uns allen.

Quelle: IJAB - Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V., Christian Herrmann

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