Europa

ePartizipation junger Menschen im europäischen Vergleich

Wie können sich junge Europäer/-innen online beteiligen? Welche Ansätze der digitalen Jugendbeteiligung verfolgen unterschiedliche EU-Mitgliedsstaaten? Wie steht Deutschland im europäischen Vergleich da? Youth Wiki Deutschland geht dieser Frage mit einem Gastbeitrag nach und beschreibt Praxisbeispiele aus der Welt der ePartizipation Jugendlicher in Europa.

02.06.2020

Als „aktive Mitmachpolitik im Internet“ wird ePartizipation Jugendlicher im Rahmen des „youthpart“ (PDF, 573 KB) bezeichnet - eines der ersten Projekte zu diesem Thema in Europa. Ist ein „Gefällt mir unter einem politischen Eintrag auf Facebook schon ePartizipation? Die Grenzen der Jugendbeteiligung sind im Digitalen wie auch im Analogen, schwierig zu ziehen. Da die Daten digital viel einfacher bearbeitet werden können, ist es noch herausfordernder. Eine unabsichtlich veröffentlichte Meinung auf Twitter kann durch Data Mining mit anderen ähnlichen Tweets verarbeitet, interpretiert und als Stimmungslage für Entscheidungsfindungen genutzt werden – das nennt sich „Social listening“. Solche Ansätze werden schon lange im Marketing privater Unternehmer angewandt. Ein europaweiter Verbund im Rahmen des Projektes DEEP-linking Youth (PDF, 1,48 MB) hat versucht, genau mit einem solchen Ansatz Jugendliche zu erreichen, die sonst an Beteiligungsformaten nicht viel Interesse hätten.

Es scheint also wichtig zu sein, bevor man überhaupt etwas vergleichen kann, den Rahmen noch enger zu bestimmen. Um weiter bei den „youthpart“-Kriterien zu bleiben, geht es in diesem Artikel um die sogenannte direkte ePartizipation Jugendlicher. Das bedeutet, dass von Anfang an klar ist, dass die Beiträge der Teilnehmenden an die Entscheidungsträger/-innen weitergereicht werden und diese dann als Grundlage für die anstehende Entscheidung genutzt werden. Indirekte digitale Beteiligung wäre das Unterstützen der politischen Positionen, ohne dass ein direkter Einfluss gewährleistet werden kann, z.B. „Likes“ oder „Retweets“ bei Aufforderungen bestimmter NGOs.

Inzwischen sind einige Plattformen entstanden, die allgemeine Bürgerbeteiligung (oft nur ab 16 Jahren) ermöglichen. Unser Blick ist aber auf die Projekte ausgerichtet, die nur junge Menschen im Fokus haben. Darüber hinaus wird hier nur ein Ausschnitt von existierenden Formaten angeboten, die mitunter sehr stark von mangelnden Daten gezeichnet sind. Ein Grund dafür ist sicherlich die Tatsache, dass das Thema ePartizipation Jugendlicher auf europäischer Ebene keine langfristige Koordination und Entwicklung findet und eher von Projekt zu Projekt weitergetragen wird. Einige private Unternehmen betreiben die Entwicklung von Software für Beteiligungsverfahren. Diese Prozesse sind mehr von privatem als von öffentlichem Interessen gesteuert und lassen wenig Raum für den Fortschritt des grundsätzlich öffentlich finanzierten Feldes der Jugendarbeit. Dennoch gibt es spannende Erfahrungen.

Finnland – Kommunen hören den Jugendlichen zu

In Finnland wird das Einreichen von Initiativen an Kommunen per Gesetz geregelt. Diese sollen so bearbeitet werden, dass man sie nachverfolgen kann. Daher hat die nationale Jugendinfostelle in Zusammenarbeit mit Kommunen das Portal „nuortenideat.fi“ für die Ideen Jugendlicher eingerichtet. Jugendliche können selbst oder mit Unterstützung der Jugendverbände oder Jugend(info)zentren unkompliziert ihre Vorschläge an Kommunen richten, kommentieren und abstimmen. Diese werden von den Portalverwaltern an die zuständige Kommune oder gar an das zuständige Ministerium weitergereicht. Im Portal wird angezeigt, in welchem Bearbeitungsschritt sich die Einreichung befindet und es wird eine Rückmeldung gegeben, ob sie umsetzbar ist. In solchem Umfang ist die Jugendbeteiligung auf kommunaler Ebene einzigartig. Viele Kommunen in Deutschland, Belgien, Frankreich und anderen Ländern führen einzelne digitale Beteiligungsverfahren für Jugendliche durch. Dabei können junge Menschen ihre Ideen, zum Beispiel bezüglich städtebaulicher Fragen für jugendgerechte Räume und ähnliche Anliegen, eintragen und zu einem späteren Zeitpunkt für Entscheidungsvorlagen ihre Stimme abgeben.

Der Süden hat vieles zu bieten – Bürgerhaushalte

Neben den Beteiligungsverfahren, bei denen es um räumliche Planung oder Gestaltung geht, sind die Bürgerhaushalte eines der am meisten genutzten Verfahren im Bereich der ePartizipation. Beide werden oft von Kommunen genutzt, die bestimmte Budgets zur Verfügung haben. Im Verfahren werden dann Vorschläge gesammelt, was mit dem Geld gemacht werden soll, über die die Teilnehmenden dann abstimmen können. Ähnlich hat es auch an einer Schule in Mailand im Projekt „OPA“ stattgefunden, wo über 1500 Schüler/-innen für 10.000 Euro Verbesserungen für die Schule ausgewählt haben. Solche Verfahren findet man in vielen Ländern, auch in Deutschland, Italien und Spanien sind diese sehr weit verbreitet. In Portugal wird so auch ein Teil des nationalen Budgets von Bürger(inne)n bestimmt. Nicht immer haben sie nur Jugendliche im Blick, sondern streben eine breite Beteiligung an, um die Entscheidung dann auch zu legitimieren.

Geht digitale Jugendbeteiligung auch national?

Für ePartizipation ist es essenziell, deren Wirkung sichtbar zu machen. Die Natur des politischen Prozesses verlangt oft mehr Geduld und Zeit bis zu einem Ergebnis, als die meisten jungen Leute haben. Daher ist es nur natürlich, dass die meisten erfolgreichen Beispiele auf kommunaler Ebene zu finden sind, wo die Prozesse überschaubarer sind. Einen Park oder ein Jugendzentrum zu gestalten ist auch greifbarer, als zu einer abstrakten politischen Strategie etwas beizutragen. Geht also auf nationaler Ebene gar nichts?

Weiter südlich – auf Malta – findet man eins der wirkungsvollsten nationalen ePartizipationsprojekte „IParticipate“, das von Jugendarbeiter(inne)n begleitet wurde. Durch eine Online-Ideensammlung wurden zwei wichtige Themen für Jugendliche herausgearbeitet: Legalisierung von Marihuana und die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre. In einer Diskussion mit Entscheidungsträger(inne)n wurden die Punkte verdeutlicht und im darauffolgenden Jahr senkte das Parlament einstimmig das Wahlalter. Obwohl wegen der Größe des Landes Malta die meisten lokalen Prozesse automatisch auch als nationale Prozesse zu betrachten sind, zeigt uns dieses Beispiel, dass auch komplexere Verfahren in Kombination mit digitalen Werkzeugen möglich sind.

Europa kann mehr als Konsultationen – Jugendverbände zeigen, wie es geht

Eins der größten Jugendbeteiligungsverfahren ist das Projekt „Strukturierter Dialog“ der EU, welches seit 2019 „EU-Jugenddialog“ genannt wird. In jedem EU-Mitgliedsstaat hat eine Nationale Arbeitsgruppe die Aufgabe, regelmäßig die Meinung der jungen Leute zu einem bestimmten Thema einzuholen. Diese wird dann durch EU-Jugendkonferenzen in Form von Empfehlungen an den EU-Ministerrat weitergetragen. Um diese Prozesse zu vereinfachen, greifen viele Länder (z.B. Österreich, Litauen und Zypern) auf digitale Tools zurück, die das Sammeln und Analysieren der zahlreichen Beiträge effizienter machen. Konsultationen sind laut der Roger Hart’s Partizipationsleiter eine der unteren Stufen und die Bürger/-innen haben immer noch sehr wenig direkten Einfluss.

Dass man auch auf europäischer Ebene über digitale Tools Entscheidungen fällen kann, zeigt das Studentenforum AEGEE, das seine Vollversammlung, sogenannte Agora, so organisiert. Auch das europäische Jugendforum hat das digitale Abstimmen eingeführt. Selbstverständlich sind solche Ansätze einfacher in Verbänden umzusetzen als in einem Millionenstaat oder gar der ganzen EU. Undenkbar sind sie aber nicht.

Deutschland macht es vor – schaut Europa zu?

Die Jugendstrategie der Bundesregierung erachtet sowohl analoge als auch digitale Verfahren als wichtig, um junge Leute in die politischen Prozesse einzubeziehen. Umso wichtiger ist die Erkenntnis, dass es positive Beteiligungserfahrungen, sprich klare Wirkungsbeispiele braucht, um der Politikverdrossenheit keine Chance zu bieten. ePartizipation wird auf Bundesebene gestärkt, wie sonst in keinem anderen Land in Europa. Hierbei sprechen wir nicht nur von den JugendPolitikTagen, bei denen Jugendliche direkt in einen Dialog mit der Bundesjugendministerin treten konnten, sondern vor allem über eine langfristige Entwicklung des ganzen Bereiches der digitalen Jugendbeteiligung.

Es ist immer noch ein junger Bereich. Vielen Jugendarbeiter(inne)n fehlt es an einfachen digitalen Kompetenzen. Doch gerade SIE könnten neue Ansätze multiplizieren. Jugend.beteiligen.jetzt steht mit Monitoring, Qualifizierungsangeboten und Beratung Fachkräften von Ländern und Kommunen zur Seite. So etwas findet man auch in Bundesländern, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern. Viele Kommunen mit dem breiten Netzwerk der Beteiligungsmoderator(inn)en haben professionelle Fachkräfte, die bei der Durchführung auch digitaler Beteiligungsformate helfen, die Stimme der Jugendlichen zu hören. Plattformen wie „OPIN.me“ machen das noch einfacher und günstiger.

Das deutsche Angebot an Unterstützung für mehr ePartizipation ist einzigartig in Europa. Dies liegt unter anderem daran, dass noch wenig in anderen Ländern passiert und Vergleiche kaum möglich sind. Vor allem eine langfristig angelegte Unterstützung zur Entwicklung dieses Feldes auf EU-Ebene könnte vieles bewirken. Noch immer kann viel mehr getan werden, um die Beteiligungsmöglichkeiten an die digitale Realität der jungen Menschen anzupassen und diese jugendgerechter zu gestalten. Besonders, wenn ganz eindeutig wird, dass kein Weg an der Digitalisierung vorbeiführt.

Informationen zum Youth Wiki

Dieser Text wurde von Evaldas Rupkus für youthwiki.de geschrieben. Die europäische Plattform Youth Wiki ist ein Projekt der Europäischen Kommission, das in Deutschland von IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V. umgesetzt wird.

Das Youth Wiki versteht sich als Online-Enzyklopädie zur Jugendpolitik in den Staaten Europas. Abgebildet werden umfassende Informationen zur Politik sowie zu Strukturen und Maßnahmen zur Unterstützung junger Menschen. Ziel des Youth Wiki ist es, die europäische Zusammenarbeit im Bereich der Jugend zu fördern und politische Entscheidungen durch die Bereitstellung von zusammenhängenden und vergleichbaren Daten und Hintergrundinformationen zu unterstützen.

Die Informationen werden von einem Netzwerk nationaler Korrespondent(inn)en zusammengestellt und regelmäßig aktualisiert. IJAB ist seit 2015 Teil dieses europäischen Netzwerks.

Autor: Evaldas Rupkus 

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