Europa
Deutsch-französische Städtepartnerschaften bringen Europa zu den Bürgern
Ein internationales Basketballturnier in Reutlingen oder ein Schüleraustausch in Nantes – Städtepartnerschaften sollen Europa abseits der politischen Bühne zum Leben erwecken. Doch eines der zentralen Gründungsmotive, die Aussöhnung nach dem 2. Weltkrieg, spielt für junge Generationen kaum noch eine Rolle. Wie zeitgemäß und wirkungsvoll sind diese Partnerschaften heute noch? Eine internationale Umfrage und Analyse der deutsch-französischen Städtepartnerschaften gibt Antworten.
19.01.2018
1950 entstand zwischen Ludwigsburg und Montbéliard die erste deutsch-französische Städtepartnerschaft. Dieses Modell hat über die Stadtgrenzen hinaus Schule gemacht: Rund 20.000 Städtepartnerschaften gibt es heute in Europa, etwa 2.200 Partnerschaften existieren allein zwischen Deutschland und Frankreich. Dass dieses Modell der europäischen Zusammenarbeit auch in Zeiten von Wirtschaftskrisen und Europaskepsis ein lebendiges Instrument ist, zeigt eine gemeinsame Studie der Bertelsmann Stiftung und des Deutsch-Französischen Instituts (dfi). Für die Studie haben 1.322 Städte und Kommunen in Deutschland und Frankreich an einer Umfrage zu ihrer Städtepartnerschaft teilgenommen. Knapp zwei Drittel der Teilnehmer (63 Prozent) geben an, dass ihre Städtepartnerschaften stabil sind oder an Intensität gewonnen haben.
Jugendliche werden durch Freitzeitangebote und Kulturprogramme erreicht
Auffallend ist: Die Partnerschaften erreichen durch Freizeitangebote wie Sport oder Kulturprogramme viele Jugendliche und breite Bevölkerungsgruppen, die im Alltag kaum Berührungspunkte mit Europapolitik haben. Dennoch sorgen sich viele um den ausbleibenden Nachwuchs für ihre Programme.
Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung, sieht in den Partnerschaften ein wichtiges Fundament der europäischen Einigung, das weiterhin gefördert werden sollte: "Die Städtepartnerschaften bringen Europa aus den Podiumsrunden der Hauptstädte direkt zu den Menschen. Sie schaffen damit, woran Politiker zwischen Paris und Berlin oft verzweifeln: die EU zum Leben zu erwecken." Frank Baasner, Direktor des Deutsch-Französischen Instituts, betont: "Wir müssen uns klar machen, dass die Städtepartnerschaften das einzige Instrument sind, mit dem wir im Prinzip die ganze Bevölkerung erreichen können. Die Städtepartnerschaften sind die Keimzellen europäischer Begegnungen."
Städtepartnerschaften erreichen breite Bevölkerungsgruppen
Einen Beleg für die Dynamik und Relevanz der Städtepartnerschaften sieht die Autorin der Studie, Eileen Keller vom dfi, in den positiven Bewertungen der Zusammenarbeit und der Bedeutung für die Verwaltungen. Fast drei Viertel der Befragten (72 Prozent) geben an, dass die Partnerschaften in ihren Verwaltungen einen hohen Stellenwert besitzen und 76 Prozent bewerten die Beziehungen zur Partnerstadt als sehr gut. Die wichtigsten Aktionsformen für den Austausch sind regelmäßige Reisen anlässlich von Festen und Veranstaltungen, die in 77 Prozent aller Partnerschaften stattfinden, sowie Schüleraustausche (62 Prozent) und Musik- und Sportveranstaltungen (41 und 44 Prozent).
Bandbreite an Themen- und Betätigungsfeldern
Ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg und der Lebendigkeit der Städtepartnerschaften liegt laut Studienverantwortlichen vor allem in der Bandbreite an Themen- und Betätigungsfeldern. "Viele Teilnehmer finden den Zugang zu einer Städtepartnerschaft eher über ihr Hobby oder Neugier auf andere Menschen, als durch ihr übergeordnetes Interesse an Europa", erklärt Céline Diebold, Europaexpertin und Studienleiterin bei der Bertelsmann Stiftung. Nur jeder zehnte Befragte gibt an, dass vorrangig Menschen mit höherem Bildungsabschluss an städtepartnerschaftlichen Programmen teilnehmen. Über 70 Prozent hingegen sagen, dass die Partnerschaften breite Bevölkerungsgruppen ansprechen.
Die Bedeutung von Hobbies und persönlichen Begegnungen spielt auch bei der Motivation eine entscheidende Rolle: Während über 60 Prozent der Befragten angeben, dass die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland bis 1975 mit zu den wichtigsten Gründungsmotiven für eine Partnerschaft gehörte, sind es seit 1990 eher Beweggründe wie eine "allgemeine Horizonterweiterung" oder "neue Möglichkeiten für junge Generationen". Gerade für jüngere Teilnehmer gehören persönliche Begegnungen und der Wunsch, über den Tellerrand zu schauen, zu den wichtigsten Motiven für die Teilnahme an den Partnerschaften.
Trotz junger Teilnehmer plagen viele Partnerschaften Nachwuchssorgen
Obwohl die Städtepartnerschaften breite Bevölkerungsgruppen ansprechen, stellt die Generation der über 60-Jährigen mit 40 Prozent die größte Teilnehmergruppe. Gut jeder dritte Teilnehmer (37 Prozent) kommt aus der Altersgruppe der 30- bis 60-Jährigen. Knapp ein Viertel (23 Prozent) ist jünger als 30. Entsprechend sorgen sich viele Engagierte auch um den Nachwuchs: Mehr als 80 Prozent der Befragten wünschen sich mehr aktive Bürger für die Städtepartnerschaften. "Die Umfragewerte zeichnen insgesamt ein ermutigendes Bild, aber wir müssen auf allen Ebenen dafür sorgen, dass dieses Engagement nicht einschläft, sondern weiter wächst", so Céline Diebold. Sprachbarrieren sollten zumindest keine Ausrede für fehlendes Engagement sein: Über 60 Prozent der Befragten geben an, dass die Kommunikation auch bei nicht perfekten Sprachkenntnissen, "irgendwie schon klappt".
Hintergrundinformationen
Die Studie „Städtepartnerschaften – den europäischen Bürgersinn stärken“ beruht auf einer Umfrage unter 4.100 Städten und Kommunen, die eine deutsch-französische Städtepartnerschaft haben. 1.332 haben sich beteiligt. Damit deckt die Studie rund die Hälfte aller rund 2.200 deutsch-französischen Städtepartnerschaften ab. Daneben wurden 17 Austauschbeispiele im Rahmen von Gruppen- und Einzelinterviews mit insgesamt knapp 250 Teilnehmern untersucht. Die Erhebung fand von April bis September 2017 statt.
Quelle: Bertelsmann Stiftung vom 18.01.2018
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