EU-Jugendstrategie

Paradigmenwechsel: Auch die Niederlande setzen auf "positive" Jugendpolitik"

Die Jugendpolitik in den Niederlanden befindet sich in einem wichtigen Transformationsprozess, der nicht nur eine Strukturveränderung darstellt, sondern auch mit dem Versuch eines Wandels im öffentlichen und fachlichen Bewusstsein einhergeht.

16.04.2012

Ausgangspunkt der Reform war, wie so oft, das Geld. Wie in vielen anderen europäischen Staaten, so verzeichnen auch die Niederlande einen Anstieg der Zahl von Kindern und Jugendlichen, die sich in speziellen Maßnahmen der Jugendhilfe befinden. 

Ein erster Meilenstein der Reform ist die Aufhebung der Zersplitterung von Zuständigkeiten in der Kinder- und Jugendhilfe, was als zentraler Motor für Einsparungen gesehen wird. So wird die Verantwortung für den Bereich der „Jugendfürsorge“ von der nationalen auf die lokale Ebene übertragen, womit alle Felder der Jugendhilfe dann in kommunaler Verantwortung vereint sind. Der Staat verspricht sich dabei Einsparungen in Höhe von 80. Mio. € in 2017 bis zu 300. Mio. € in 2015. 
Bis Ende 2012 soll der gesamte Bereich der präventiven Maßnahmen, allgemeinen Angebote und speziellen Erziehungs- und Unterstützungsleistungen in der Zuständigkeit der Kommunen liegen. Dabei ist dieser Aspekt der strukturpolitischen und finanziellen Neuregelung aber nur ein Element. Viel spannender für die Fachkräfte in Deutschland ist die fachpolitische Innovation, die mit der Reform einhergehen soll. Die Niederlande wollen weg von ihrem jugendpolitischen Konzept, das in erster Linie Angebote für Kinder, junge Menschen und Familien in risikobelastenden Lebenssituationen bietet. Sie will hin zu einem modernen Verständnis von Jugendpolitik, die in erster Linie die Entwicklung, Erziehung und Bildung von Kindern und jungen Menschen fördert und alle Potentiale von Kindern, Jugendlichen,  Erziehungsberechtigen und kommunalen Akteuren dahingehend aktiviert. Die Reformer haben – ähnlich wie ihre englischen Kollegen – diesen Ansatz mit „Positive Jugendpolitik“ überschrieben. 
Die zentralen Entscheidungsträger glauben, dass die Veränderung weg von einer hauptsächlich risikoorientierten, von Behörden gestalteten Politik  hin zu einer mehr nachfrageorientierten Politik, flexibel und offen für individuelle Lebenslagen eine effizientere und effektivere Form des Handelns ist. Als Gegenbild sehen sie die Jugendhilfe der „Vergangenheit“, die Feuerwehrfunktion einnimmt, auf Prävention und Kontrolle setzt und deshalb diejenigen Menschen nicht erreicht, die Unterstützung am meisten benötigen.

Mit der „Positiven Jugendpolitik” soll ein Bewusstsein gefördert werden, dass einen Teil der Verantwortung für die Entwicklung und Erziehung von Kindern und jungen Menschen der Gesellschaft zuschreibt. Frei nach dem Ausspruch „es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen“ wird hier eine geteilte Verantwortung gesehen. Die Gesellschaft investiert in eine leicht zugängliche, grundlegende sozialpädagogische Infrastruktur, die die Familien und Menschen im täglichen Leben unterstützt. „Positive Jugendpolitik“ in der aktuellen Vorstellung der niederländischen Politik nimmt Kinder und Jugendliche zentral in den Blick, ihre Entwicklungsphasen mit den Chancen und Schwierigkeiten, ihre Bedürfnisse und Potentiale und bietet all denjenigen fachliche und professionale Hilfe, die an der Erziehung beteiligt sind. Kurz gesagt, der angekündigte Paradigmenwechsel sieht den Ausgangspunkt des öffentlichen Handelns in der Unterstützung der „eigenen Kräfte“ der Familie oder des einzelnen Jugendlichen und nicht mehr das von der Norm abweichende Verhalten. 
Empowerment von Kindern und Jugendlichen, Förderung von Stärken und Talenten, aktive Bürgerschaft, Partizipation sowie positive Kindererziehung sind nur einige der Schlüsselelemente der modernen Jugendpolitik vor Ort.

Vor diesem Hintergrund ist es besonders das Niederländische Jugendinstitut gemeinsam mit dem Verband der niederländischen Kommunen, die die Umsetzung dieses Konzeptes vor Ort fachlich begleiten. Ein zentrales Angebot der leicht zugänglichen, grundlegenden sozialpädagogischen Infrastruktur sind die sogenannten Jugend- und Familienzentren, die bis Ende letzten Jahres in allen Städten und Kommunen eingerichtet wurden. Die Zentren sollen Anlaufpunkt für alle an der Erziehung und  Bildung von Kindern und jungen Menschen beteiligten Personen, Einrichtungen, Ehrenamtlichen und Vereine sein. Formale, aber auch informelle „pädagogische“ Netzwerke sollen aktiviert, zusammengebracht und unterstützt werden, und so das „Dorf“ bei seiner präventiven Erziehung- und Bildungssaufgabe stärken.

Junge Menschen sollen dabei eine eigene aktive Mitgestaltungsrolle bekommen. Alle niederländischen Kommunen sollen die Jugendbeteiligung bis Ende 2012 als elementarer Bestandteil bei der Planung, Koordinierung und Umsetzung der lokalen Jugendpolitik eingerichtet haben. Die meisten Städte und Gemeinden haben lokale Jugendräte geschaffen.

Die Praxis der kommenden Jahre wird zeigen, ob und wie der „Positive Jugendpolitik“-Ansatz die positiven Kräfte des Gemeinwesens und der jungen Menschen selbst so stärkt, dass Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten verbessert und gleichzeitig öffentliche Gelder eingespart werden.
Das niederländische Jugendinstitut und der Verband der niederländischen Kommunen haben den neuen Politikansatz durch ausländische Experten in einem internationalen Review bewerten lassen, am Beispiel zweier Kommunen. Ein lesenswerter Bericht, der Fragen aufgreift, die auch aus deutscher Jugendhilfesicht spannend sind.

Weitere Infos: <link www.nji.nl/eCache/DEF/1/30/816.html _blank external-link-new-window "Opens external link in new window">http://www.nji.nl/eCache/DEF/1/30/816.html</link>

(Quelle: NJi, JUGEND für Europa)

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