EU-Jugendstrategie

InterREGIO - "In der Bretagne ist Jugend ein Querschnittsthema"

Ein Interview mit Loranne Bailly, Direktorin der Abteilung für Raumordnung und Solidarität des Regionalrats der Bretagne.

15.10.2012

JUGEND für Europa:
Frau Bailly, der bretonische Regionalrat hat im vergangenen Jahr eine Charta des Engagements für junge Menschen in der Bretagne verabschiedet. Worum handelt es sich dabei genau?

Loranne Bailly:
Der Regionalrat der Bretagne ist aufgrund seiner Zuständigkeit für Gymnasien und Sekundarschulen, den öffentlichen Verkehr in der Region und die Entwicklung sowie Umsetzung der Berufsausbildung ein zentraler Akteur bei der Förderung des Wohlergehens und des Erfolgs junger Menschen. Die Region hat aus eigenem Streben gezielt Maßnahmen in zahlreichen Bereichen auf den Weg gebracht (Kultur, Sport, Förderung des Vereinslebens, Wohnungswesen, Gesundheit), in denen Jugendliche von 15 bis 29 Jahren auf ihrem Weg zur Selbstständigkeit eine vorrangige Zielgruppe darstellen. Die Charta des Engagements ermöglicht es, diese Maßnahmen in einen gemeinsamen Kontext und eine ganzheitliche Perspektive zu stellen, Synergien, gemeinsame Baustellen und neue Projekte auszumachen, auf der Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses für die Bedürfnisse und Erwartungen junger Menschen.

Die „Diagnose“ zu Beginn war ein wesentlicher Schritt bei der Formalisierung der Jugendpolitik, zu dem die regionalen Partner, insbesondere die beratenden regionalen Instanzen (der Rat für Wirtschaft, Soziales und Umwelt), einen entscheidenden Beitrag geleistet haben. Es ging darum, die die Lebensmodelle und Gewohnheiten von Jugendlichen in ihrer Gesamtheit zu erfassen, um unsere Strategien und Maßnahmen daran anpassen zu können. Als übergreifende Priorität für die Jugendpolitik hat sich die Notwendigkeit herauskristallisiert, Jugendlichen bei der Festlegung und Auswahl der Maßnahmen zu beteiligen (und an erster Stelle an jenen, die sie direkt betreffen), eine aktive Bürgerschaft und einen „aktivierenden und einladenden“ öffentlichen Raum zu fördern, Das ist gleichzeitig der richtungsweisendste aber auch am schwierigsten umzusetzende Punkt.

JUGEND für Europa:
Die Charta erklärt die Entwicklung der europäischen und internationalen Mobilität junger Menschen zu einer der wichtigen Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Jugendlichen. Warum ist das entscheidend für ein gutes Leben in Ihrer Region?

Loranne Bailly:
In einer Wissensgesellschaft sind die Erfahrungen und Kompetenzen der Einzelnen mindestens genauso wichtige Trümpfe wie physische und geografische Faktoren, die ein Gebiet charakterisieren. Die Bretagne befindet sich mit Blick auf die Mitte Europas und den großen Entscheidungs- und Verkehrszentren in einer Randsituation. Mehr noch als andere Regionen wahrscheinlich, muss sie deswegen auf die Talente und Fähigkeiten ihrer Bevölkerung setzen. In dieser Hinsicht ist jede Mobilitätserfahrung im Ausland eine auf Zukunft gerichtete Ressource für junge Menschen auf dem Weg in die Selbstständigkeit, für die gesellschaftliche und berufliche Integration sowie für ihre persönliche Entfaltung.

Der bretonische Regionalrat unterstützt jedes Jahr die Mobilität von 13.000 Lernenden (Schüler, Auszubildende, Studenten, Praktikanten …), er fördert gemeinnützige internationale Projekte, die von Jugendlichen oder im Rahmen des Internationalen Freiwilligendienst durchgeführt werden,  fördert den Austausch mit seinen Partnerregionen (Sachsen, Wales, Wielkopolska in Polen) sowie den Internationalen Freiwilligendienst in Unternehmen. Insgesamt machen diese Maßnahmen ein Budget von 3,8 Millionen Euro im Jahr aus.

JUGEND für Europa:
Sie versuchen, Mobilitätserfahrungen für alle Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen. Mit welchen Mitteln wollen Sie dieses Ziel erreichen?

Loranne Bailly:
Der Regionalrat tauscht sich gemeinsam mit allen Bildungseinrichtungen über die Angebote von  Mobilitätsmaßnahmen aus. Vor dem Hintergrund der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage von Jugendlichen und ihren Familien möchte die Region ihre Maßnahmen verstärkt auf benachteiligte Zielgruppen ausrichten mit dem Ziel der Schaffung gerechterer Chancen. Dafür soll die Höchstsumme der öffentlichen Förderung bei Maßnahmen von längerer Dauer gesteigert werden. Auszubildende, Schüler und Studenten in Berufsausbildung, die häufiger aus einem benachteiligten Umfeld stammen, werden bevorzugt gefördert werden. Diese Reform wird eine bedeutende Wirkung haben, da sie beinahe 85% des von der Region der Mobilität zugeteilten Gesamtbudgets ausmacht und jährlich 13.000 Jugendliche erreicht.

JUGEND für Europa:
Innerhalb Ihrer interregionalen europäischen und internationalen Zusammenarbeit entwickelt die Region gemeinsame Maßnahmen auch im Jugendbereich. Wie sehen Ihre Ziele und Prioritäten für diese Maßnahmen aus?

Loranne Bailly:
Die mit Sachsen, Wales und Wielkopolska in Europa und Shandong in China sowie Anosy und Analanjirofo in Madagaskar unterzeichneten Kooperationsabkommen sind nicht nur aus einem rein institutionellen Rahmen heraus entstanden. Im Gegenteil, sie rühren immer öfter von Kontakten und Austauschen her, die in den letzten Jahren von Organisationen der Zivilgesellschaft angeregt wurden. Die regionalen Regierungen nutzen diese Dynamik für ihre Kooperationsabkommen, die sie wiederum mithilfe von Austauschprogrammen und der Zusammenarbeit zwischen den Regierungen stärken.

Die geförderten Austausche erlauben es Jugendlichen andere Bereiche für ihre Engagement sowie Formen der Ausbildung aufzuzeigen und den Austausch zwischen Fachkräften der Jugendarbeit anzuregen.

JUGEND für Europa:
Beeinflusst die interregionale Zusammenarbeit auch die strategische Entwicklung der Jugendpolitik der Bretagne?

Loranne Bailly:
Die Region Bretagne ist seit einigen Jahren Mitglied der Europäischen Vereinigung der Regionen für Lebenslangen Lernens (European Association of Regional and Local Authorities for Lifelong Learning – EARLALL). Dieses Netzwerk arbeitet neben Fragen der Berufsbildung auch zu Fragen der beruflichen Orientierung und Jugend und verwendet einen großen Teil seiner Arbeit auf die Sensibilisierung seiner Mitglieder.

Auf anderer Ebene hat uns der Austausch seit 2010 mit der Region Saguenay – Lac Saint Jean in Qébec ermöglicht, unsere Expertise im Bereich des Kampfes gegen Schul- und Ausbildungsabbruch, der sich als vorrangiges Ziel aufdrängt, zu erweitern. Der dem Forschungsgebiet der Jugend gewidmete Lehrstuhl, der von der Ecole des hautes études en santé publique (Schule der Höheren Studien der Gesundheitswissenschaften) in Rennes mit der Unterstützung der Region Bretagne getragen wird, wird in Zukunft an diesen Fragen arbeiten können, indem er Vergleiche und Austausche in Europa und im internationalen Ausland durchführen wird. Dieser Lehrstuhl, dessen Inauguration für den 16. November vorgesehen ist, ist damit beauftragt, wissenschaftliche Ergebnisse zu liefern und einen Transfer der von Fachkräften und öffentlichen Institutionen gewonnenen Kenntnisse zu leisten. Mit diesem Tool schafft sich die Bretagne einen Zugang zu einem in Europa einzigartigen Recherche- und Experimentiertool und dem ersten Lehrstuhl dieser Art in Frankreich.

Im Anschluss an die Verabschiedung unserer Jugendpolitik möchten wir auch dem Netzwerk europäischer Regionen für die Jugend (European Regions for Youth – ERY) beitreten, um die Gesamtheit der Fragen, die die Jugend betreffen, durch unseren Austausch zu erweitern und uns von den besten in anderen Regionen Europas angewandten Modellen inspirieren zu lassen.

JUGEND für Europa:
Was kann die Europäische Union Ihrer Meinung nach tun, um die interregionale Zusammenarbeit noch mehr voranzutreiben? Was erwarten Sie?

Loranne Bailly:
Mit der Zusammenlegung der verschiedenen Mobilitätsprogramme im Programm „Erasmus für alle“ wurden Befürchtungen geäußert, dass die den von Strukturen der nicht formalen Bildung – zu denen das Programm JUGEND IN AKTION gehört– durchgeführten Mobilitätsmaßnahmen  zugeteilten Mittel angegriffen werden. Nun ist aber die zum Bildungssystem ergänzende Arbeit, die von diesen Strukturen umgesetzt wird, absolut wertvoll für die Jugendlichen, vor allem jene, die einem erhöhten Abbruchrisiko ausgesetzt sind. In Zukunft sollten die lokalen Entscheidungsträger und die Einrichtungen der Jugendarbeit ihre Praktiken hinterfragen und sicherstellen, dass sie in ihren Austausch- und Kooperationsprojekten dieser verletzlichsten Gruppe Priorität geben.

Quelle: www.jugendpolitikineuropa.de

Back to Top