EU-Jugendstrategie

Europa: Wertvolle Lernerfahrung für Jugendliche und Solidarität mit anderen gleichermaßen

Dr. Herbert Wiedermann spricht mit JUGEND für Europa über die Verbindung von nationaler und europäischer Jugendstrategie und die Europäisierung der Kinder- und Jugendhilfe.

07.08.2015

Dr. Herbert Wiedermann

Dr. Wiedermann ist Abteilungsleiter in der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration und verantwortet das Landesjugendamt der Freien und Hansestadt Hamburg. Er ist Ko-Vorsitzender der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Europäischen Jugendstrategie. Für die Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesjugend- und Familienbehörden wirkt er außerdem an der Begleitung und Steuerung des Fachkräfteportals der Kinder- und Jugendhilfe mit.

JfE: Welche Verbindungen sehen Sie zwischen der nationalen Jugendstrategie und der europäischen Jugendstrategie?

Dr. Wiedermann: Ich würde mir wünschen, dass wir in den drei Handlungsthemen bzw. -korridoren handlungsorientiert vorankommen. Das tun wir aber nicht in allen Fällen wirklich. Wir haben in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Beispiel ein anspruchsvolles Papier zur Zertifizierung informellen Lernens erarbeitet. Dem stimmt der Bund aber nicht zu. Bei der Frage der Übergänge von Schule in Ausbildung und Beruf gibt es fantastische Fortschritte auf der Ebene der Länder und Kommunen, wie z.B. in der Einrichtung der Jugendberufsagentur in Hamburg. Die bedeutendsten Übereinkünfte und das größte Entwicklungspotential sehe ich im Bereich der Partizipation junger Menschen. Das erschöpft sich aber bisher immer noch in Modellprojekten und ist weit entfernt von einer flächendeckenden Umsetzung.

Gehen die Erkenntnisse aus der Bund-Länder-AG zur Umsetzung der Europäischen Jugendstrategie in die nationale Strategie ein?

Bei der Frage der Anerkennung informellen Lernens gehen sie wahrscheinlich nicht ein, weil es auf Bundesebene keine Übereinstimmung mit der Entwicklung des nationalen Qualifikationsrahmens gibt. Bei der Frage der Übergänge liegt der Schwerpunkt bei Aktivitäten, welche die Länder und die Kommunen ohnehin machen, zum Beispiel durch die Einrichtung von Jugendberufsagenturen. In der Hamburger Jugendberufsagentur arbeiten der Bund, das Land und kommunale Einrichtungen vorbildlich zusammen, um keinen Jugendlichen zurückzulassen. Bei den Partizipationsprojekten, insbesondere dem Strukturierten Dialog zwischen Jugendlichen und der Politik gibt es große Herausforderungen und Chancen, die wir gemeinsam anpacken müssen.

Kann die Bund-Länder Arbeitsgruppe zur Europäischen Jugendstrategie ein vorbildliches Instrument für die Umsetzung der nationalen Jugendstrategie sein?

Ich glaube, dass man sich im Dialog zwischen Bund und Ländern und zum Teil auch den Kommunen auf gleicher Augenhöhe gegenseitig befruchtet hat. Bei der heute (09.07.2015) vorgestellten Jugendstrategie des Bundesministeriums habe ich aber den Eindruck, dass man wieder in alte Kommunikationsmuster zurückfällt: Der Bund lädt die Länder und Kommunen ein, ihre Jugendpolitik neu zu machen. Ich glaube, dieser Einladung bedarf es nicht, die Länder haben sich lange auf den Weg gemacht und auch in vielen Kommunen gibt es schon eine gut ausgeprägte Jugendpolitik.

Entscheidend wäre es gewesen, wenn die strategischen Vorstellungen - die ich attraktiv und anspruchsvoll finde -, dann auch mit attraktiven finanziellen Ressourcen versehen worden wären, damit man sie auch auf kommunaler Ebene infrastrukturell bereichernd umsetzen kann. Aber genau das passiert nicht, sondern die Kommunen kriegen einen guten Rat. Außerdem sehe ich die kommunikativen Zugänge zu den Jugendämtern nicht. Man muss doch ernsthaft darüber nachdenken, wie man die eigentlich erreicht.

Nochmal zurück zur europäischen Jugendstrategie und deren Umsetzung. Wäre die Bund-Länder-Arbeitsgruppe grundsätzlich ein gutes Modell?

Der AG liegt ja ein Konzept des Multi-Level-Governments zugrunde, eine der genialsten Ideen, die in der letzten Zeit entwickelt wurden. Die AG erlaubt es, sowohl auf Bundes- und Länderebene gemeinsam Themen zu identifizieren und Umsetzungsstrategien zu erarbeiten, ohne dass der eine dem anderen etwas vorschreibt.

Viele Länder gehen mit diesen Impulsen in den Dialog mit den Kommunen. In einem weiteren Schritt haben wir auch versucht, die Finanzinstrumente auf den unterschiedlichen föderalen Ebenen aufeinander abzustimmen. Ein wundervolles Modell für die vielfältige Interaktion zwischen Bund, Ländern und Kommunen!

Welche Chancen geben Sie einer „Europäisierung der Kinder- und Jugendhilfe“?

Ich möchte, dass Europa nicht nur wertvolle Lernerfahrungen für unsere Jugendlichen ermöglicht, sondern sich auch die Frage nach der Solidarität mit anderen stellt. Was können wir in Deutschland tun, um Kindern und Jugendlichen, die in Europa in Not geraten sind, aufzunehmen und ihnen zumindest eine Ausbildung oder temporär Arbeit zu geben. Da, finde ich, gäbe es rasant viel zu tun.

Quelle: jugendpolitikineuropa.de vom 28.07.2015

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