Kinder- und Jugendarbeit
Sexualisierte Gewalt in digitalen Kommunikationsangeboten
Neben dem hohen Kontaktpotential bieten „Knuddels, ICQ, SchülerVZ & Co.“ die Möglichkeit zur Identitätsentwicklung durch Selbstdarstellung und –präsentation sowie zur Teilhabe an Jugendkultur und gesellschaftlicher Entwicklung. Die Konfrontation mit sexuellen Übergriffen unterschiedlichster Art gehört dabei zu den negativen Aspekten virtueller Kontakte.
27.08.2010
Bianca Post ist Dipl.-Pädagogin und Referentin für Medienbildung bei EigenSinn e.V.
Sie beschäftigt sich mit Prävention von sexualisierter Gewalt in digitalen Kommunikationsangeboten und führt dazu Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte, Informationsveranstaltungen für Eltern und Workshops für Mädchen und Jungen durch.
>> www.eigensinn.org
Eine erweiterte Version dieses Artikels inkl. Beschreibung einzelner Kommunikationsangebote, Strategien zur Prävention von sexualisierten Übergriffen im Internet sowie zum Umgang mit sexuellen Grenzüberschreitungen steht als PDF-Datei zum Download zur Verfügung.
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Die Nutzung digitaler Kommunikationsangebote ist für die überwiegende Zahl der Mädchen und Jungen im Alter von 12 bis 17 Jahren ein alltäglicher Bestandteil des Aufbaus und der Pflege sozialer Kontakte und auch Kinder im Alter ab 6 Jahren sind bereits „on“ und in Chats oder Sozialen Netzwerken registriert. [1]
Formen von sexualisierter Gewalt in den digitalen Medien sind:
- Sexistische Ansprache sowie obszöne Beleidigungen (z.B. Kommentar unter Fotos in Sozialem Netzwerk: „Geile Titten, da will ich auch mal hinlangen“)
- Sexuell motivierte Fragen zu dem körperlichem Entwicklungstand von Kindern und Jugendlichen und ihren sexuellen Erfahrungen und Wünschen (z.B. „Hast Du schon Haare? Rasiert?“, „Würdest Du gerne mal ficken?“)
- Berichte von Pädokriminellen über ihre eigenen sexuellen Erfahrungen und Phantasien um sexuelles Interesse von Mädchen und Jungen zu testen oder sie zu erschrecken
- Konkrete Anfrage nach Cybersex, „CS“, im Chat oder via Instant Messenger - von Kindern und Jugendlichen auch „Computersex“ oder „Chatsex“ genannt
- Anfrage nach Telefonsex, „TS“, Konfrontation der Mädchen und Jungen mit pornografischen Handlungen seitens des Täters vor der Webcam
- Erstellung von Kinder- und Jugendpornografie:
- Aufforderung an Mädchen und Jungen, erotische Fotos oder Nacktfotos von sich zu erstellen und per Email, Handy oder via Instant Messenger an den Täter zu senden.
- Aufforderung zu Webcam-Kontakten, „Cam2Cam“, „camen“, um Kinder und Jugendliche zu überreden, sich vor der Kamera auszuziehen sowie autoerotische Handlungen an sich vorzunehmen. Die Handlungen der Minderjährigen können dabei ohne ihr Wissen aufgezeichnet werden.
- Verbreitung von Kinderpornografie:
Streuung oder Verkauf der Fotos und aufgezeichneten Filme im Internet - Zusendung von pornografischem Foto- oder Filmmaterial an Mädchen und Jungen, auch „harter“, d.h. illegaler Pornografie wie Kinder-, Jugend-, Gewalt- oder Tierpornografie
- Aufforderung an minderjährige Chatpartnerinnen und –partner, Fetische wie getragene Unterwäsche oder Schuhe zu verschicken
- Anbahnung realer Treffen mit dem Ziel des sexuellen Missbrauchs
- Kombination von sexualisierter Gewalt und Cyberbullying, z.B. durch die Veröffentlichung von fotografisch oder filmisch aufgezeichneten intimen Situationen, um Mitschülerinnen oder Mitschüler, Bekannte, Ex-Freundinnen oder -Freunde bloßzustellen. Die Aufnahmen können heimlich oder mit Einwilligung erstellt worden sein, sie können freiwillige oder gewalttätige sexuelle Handlungen zeigen. Die Veröffentlichung kann über digitale Kommunikationsangebote im Internet oder über Handy erfolgen.
- Sexualisierte Gewalt via Handy, z.B. durch sexuelle Belästigung per SMS oder Anruf, Zusendung von Pornografie als Foto- oder Filmmaterial per MMS oder Bluetooth
Täterstrategien
Neben der schnellen, direkten sexuellen Ansprache im Internet ist das „(Cyber)Grooming“ eine weit verbreitete Form der Annäherung von Pädokriminellen an Mädchen und Jungen. Dabei erschleichen sich die Täter (in der überwiegenden Zahl der Fälle handelt es sich um Männer) zunächst über einen längeren Zeitraum das Vertrauen der Kinder und Jugendlichen. Sie zeigen Interesse an der Lebenswelt der Minderjährigen und bieten sich als Ansprechpartner bei Problemen an. Nachdem auf diesem Weg eine vertrauensvolle Beziehung geschaffen wurde, werden die Unterhaltungen im Netz gezielt auf das Thema Sexualität gelenkt und das Interesse und die Bereitschaft der jungen Internetnutzerinnen und –nutzer für sexuelle Gespräche und Aktivitäten getestet – nicht selten mit dem Ziel der Anbahnung eines sexuellen Missbrauchs in der realen Welt.
Es gibt Täter, die bei der digitalen Kontaktaufnahme zu Mädchen und Jungen –über „Grooming“ oder auf dem direkten Weg - eine falsche Identität annehmen. Sie tarnen sich als Gleichaltrige oder junge Erwachsene und enthüllen ihr tatsächliches Alter erst bei einem Treffen in der Realität. Andere Pädokriminelle geben bewusst ihre wahre Identität preis, um das Vertrauen der Kinder und Jugendlichen zu gewinnen: viele Mädchen und Jungen gehen davon aus, dass ein Erwachsener, der sein wahres Alter nennt, keine negativen Intentionen verfolgt.
Strategisches Vorgehen seitens Pädokrimineller zeigt sich auch in Punkto Dateitransfer: Die Zusendung pornografischen Materials erfolgt häufig nicht mit der ersten Dateiübertragung sondern Schritt für Schritt. Zunächst werden harmlose Inhalte verschickt um das Vertrauen der jungen User zu wecken, anschließend folgen erotische Darstellungen und erst wenn diese von den Mädchen und Jungen akzeptiert wurden erfolgt die Versendung pornografischer Dateien.
Vielfach werden den jungen Chatterinnen und Chattern Geldgeschenke oder andere Geschenke angeboten, damit sie sich im Gegenzug bereit erklären, auf die Forderungen der Täter einzugehen. Haben sich die Minderjährigen z.B. zu Nacktfotos oder sexuellen Handlungen vor der Webcam überreden lassen, laufen sie Gefahr, von den Tätern bedroht oder erpresst zu werden. Die Fotos oder Filme können in diesem Fall als Mittel eingesetzt werden, mit dem die Geheimhaltung des Missbrauchs erzwungen wird. [2]
[1] Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: JIM-Studie 2009; Jugend, Information, (Multi)Media sowie KIM-Studie 2008; Kinder + Medien, Computer + Internet, http://www.mpfs.de
[2] zu Täterstrategien siehe auch: Haardt-Becker, Anette & v. Weiler, Julia: Täterstrategien bei sexualisierter Gewalt im Netz. In: Blattmann, Sonja, Mebes, Marion: „Nur die Liebe fehlt…? Jugend zwischen Blümchensex und Hardcore. Sexuelle Bildung als Prävention. Mebes & Noack, 2010, S. 238-240
Bianca Post
ch
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