Digitalisierung und Medien
Pilotstudie: Schamkonflikte im Zeitalter der digitalen Selbstdarstellung
Digitale Medien haben neue Kulturen des Sich-Zeigens hervorgebracht. Als Kehrseite treten insbesondere Schamkonflikte hervor. Darauf verweist die Soziologin Vera King in der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins „Forschung Frankfurt“.
10.07.2019
Erfolg, Leistung und gut dastehen lässt sich in sozialen Medien ganz konkret und für viele andere sichtbar messen. „Die Ausrichtung an Likes und der Vergleich mit Konkurrenten kann paradoxe Folgen haben“, betont Vera King, Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts und Professorin für Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie an der Goethe-Universität. In einer Pilotstudie interviewte sie Jugendliche zu ihrer Selbstdarstellung in Social Media. Im noch laufenden transdisziplinären Forschungsprojekt „Das vermessene Leben“ befragte sie im quantitativen Teil der Studie, zusammen mit ihren Kooperationspartnern Hartmut Rosa und Benigna Gerisch aus Jena und in Berlin, über tausend Frauen und Männer. „Subjektiv mögen sie versuchen, sich kritisch von dieser Art der Selbstdarstellung und Vermessung zu distanzieren, aber sie können sich dem doch nicht ohne Weiteres entziehen“, sagt die Professorin.
Wenn Du Dein wahres Gesicht zeigen würdest
Scham erweist sich im mehrfachen Sinne als eine Kehrseite des Sich-Zeigens. Sie kann sich einstellen, wenn man, für andere sichtbar, schlecht dasteht, wenig Likes und Follower hat, oder schlechte Bewertungen. Andererseits kann Scham aus dem Wissen oder Gefühl resultieren, dass man in Wirklichkeit gar nicht so ist, wie man sich digital zeigt – dass man womöglich, so ein Zitat, 10.000 Follower verlöre, wenn man sein wahres Gesicht zeigen würde. Nicht zuletzt kann sich Scham einstellen, wenn eben diese Abhängigkeit von der entsprechenden Anerkennung und von der Reaktion der digitalen Öffentlichkeit intensiv erlebt wird. „Schamkonflikte, im sozialen wie psychischen Sinn, gewinnen somit an Bedeutung“, folgert Vera King.
Denn der „Blick des Anderen“ auf das medial erzeugte Bild des Selbst ist von großer Relevanz und folgenreich. Die digital öffentlich sichtbaren Statusniveaus und Vergleiche mit anderen werden dabei teils als lustvolle Rivalität, als sportlicher Wettbewerb, aber teils auch als leidvoll bedrängend empfunden und gehen mit der Angst vor beschämendem Statusverlust einher. Vielfach geht es auch um die Spannung zwischen Konformität und Anderssein. Der anonyme Blick der digitalen Anderen und der damit verbundene Konformitätsdruck verleiten dazu, etwas nur zu tun, um anderen zu gefallen, wofür sich die Akteure wiederum schämen.
Neue Gestalten von Scham entstehen
Zu verstärken scheint sich die Angst vor Beschämung durch sozialen Ausschluss, während gleichzeitig die Scham abzunehmen scheint, sich im Beisein von Anderen dem Smartphone zuzuwenden. Neue Gestalten von Scham entstehen wegen der Abhängigkeit von digitalen Praktiken, wegen der mitunter als suchtartig empfundenen Bezogenheit auf das Netz-Echo. Solche Abhängigkeit kann umso bedrängender wirken, wenn der digitale Blick des Anderen jene Sehnsüchte erfüllen soll (etwa nach Anerkennung, Zuwendung, Bindung), die mit den leiblich anwesenden Anderen nicht ausreichend erfüllt werden.
Der Artikel ist in der aktuellen Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ (1/2019) erschienen und steht als PDF (1.2 MB) zum Download zur Verfügung.
Quelle: Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt vom 01.07.2019
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