Kinder- und Jugendarbeit

Gibt es eine Alternative zur „Identität Krieger?“: Experten fordern Abschied von tradierten Männlichkeitsbildern in den Medien

Erwachsene müssen sich intensiver mit den medialen Rollen(vor-)bildern für Jungen und Mädchen beschäftigen, um deren Entwicklung zu fördern und Gewaltmuster zu durchbrechen.

08.12.2009

Das war die Forderung der Experten, die sich am 1. Dezember bei der Fachtagung der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) mit dem Thema „Identität Krieger? – Junge Männer in mediatisierten Lebenswelten“ auseinander setzten.

„Beim Blick auf Fernseh- und Computerbildschirme oder auf die Werbung in Presse und Radio wird deutlich, dass geschlechtsspezifisch geprägte Bilder vorherrschen. Die moderne Multimedialandschaft, wie wir sie heute kennen, scheint größtenteils Klischeevorstellungen zu transportieren“, sagte der KJM-Vorsitzende Prof. Dr. Wolf-Dieter Ring. Die Wurzeln für einseitige Geschlechterrollenbilder würden schon sehr früh gelegt, könnten jedoch in Sackgassen der Identitätsbildung führen. Ring plädierte dafür, Männlichkeitsbilder in der Öffentlichkeit zu diskutieren und mehr geschlechtsbewusste Medienprojekte anzubieten.

Dass alte Muster von Männlichkeitsbildern einerseits aufbrechen, andererseits aber auch Zwiespältigkeiten erzeugen, erläuterte Prof. Dr. Jens Luedtke von der Universität Frankfurt. Die Auswirkungen der veränderten Rollenbilder seien zwar empirisch derzeit noch nicht festzustellen. Eine der großen Herausforderungen der Gesellschaft sei, Besonderheiten der männlichen Sozialisation nicht zu verdrängen, sondern mehr Pluralismus zu wagen. Das schließe beispielsweise auch die Frage ein, ob Wettbewerbsspiele nicht nur (also auch für Mädchen) oder nicht zwingend erforderlich für Jungen seien.

Der Historiker Prof. Dr. Martin Dinges zeigte, dass Widersprüchlichkeiten in Männlichkeitsbildern bereits früh angelegt wurden. War die politisierte, militärische Männlichkeit ab ca. 1900 durch Härte geprägt, entstand in den 50er Jahren eine Arbeits- und Familienmännlichkeit, die in den 70er Jahren vielfältiger und diffuser wurde. „Medien sind Verbündete tradierter Männerbilder. Es braucht hier Leitbilder, die Geduld für kleinteiliges Aushandeln zeigen, die Spannungen aushalten und soziale Verantwortung übernehmen“, sagte Dinges.

Prof. Dr. Burkhard Fuhs, Erziehungswissenschaftler an der Universität Erfurt, verdeutlichte die „Vor-Bilder“ medialer Kriegeridentitäten und Militärtraditionen. Einen gesellschaftlichen Konsens gebe es allerdings immer noch nicht: Das militarisierte mediale Spielzeug polarisiere nach wie vor unsere Gesellschaft. Medien zeigten zudem kaum, wie ein „Krieger“ den Übergang zum „Friedensaktivisten“ schaffen kann.

Die grundsätzliche Frage, wie unsere Gesellschaft mit dem Thema Gewalt und Krieg umgeht, musste bei der abschließenden Diskussion Oberst Siegfried Morbe offen lassen: „Die Bundeswehr wird als Anwender von Gewalt vom Staat eingesetzt, das Parlament stimmt einem Krieg zu, aber 70 Prozent der Bevölkerung stimmen nach Umfrageergebnissen gegen diesen Einsatz. Wer trägt hier die Verantwortung?“

Uli Boldt, Lehrer im Hochschuldienst an der Universität Bielefeld, appellierte an Eltern und Lehrer, sich mit den Medienwelten der Jugendlichen vertraut zu machen. Zwar gebe es eine große Vielfalt an Rollenbildern, das Problem sei jedoch, dass Werte immer beliebiger werden, und diese Wertevielfalt wirke sich negativ aus. Soziales Engagement und empathisches Verhalten könnten junge Menschen nicht in den neuen Medien, sondern vor allem in öffentlichen Bildungsangeboten und mittels Beziehungspädagogik lernen.

Der E-Sport, die Computerspielwettkämpfe im Mehrspielermodus, seien eine Jugendkultur, bei denen soziale Strukturen wie Fairness und Solidarität im Vordergrund stünden, betonte Ibrahim Mazari, der Jugendschutzbeauftragte von Turtle Entertainment. Computerspieler könnten die gesehenen Bilder von Krieg und Gewalt sehr wohl in einen Kontext stellen und Spiel und Realität unterscheiden.

Verena Weigand, Leiterin der KJM-Stabsstelle in München, sah neben dem Elternhaus auch die Medienmacher – von Filmschaffenden über TV-Programmplaner bis hin zu Computerspieldesignern – in der Pflicht, sich offener gegenüber Rollenbildern abseits der tradierten Stereotypen zu zeigen. Eltern und Schule könnten besonders gefährdete Jungen aus bildungsfernen Schichten oder mit Migrationshintergrund nicht abholen: Gewalthaltige Männlichkeitsrollenbilder in den Medien würden von ihnen oft ungefragt und alternativlos übernommen. „Medien vermitteln viel zu oft klischeehafte Botschaften, egal ob es um Gewalt, Sexualität oder Partnerschaft geht. Die Verantwortlichen in den entsprechenden Positionen sollten sich viel öfter fragen, welche Männer- und Frauentypen sie zeigen – und wie man sie auch anders darstellen könnte“, sagte Weigand.

Quelle: Kommission für Jugendmedienschutz (KJM)

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