Digitalisierung und Medien

Frühkindliche Medienbildung – Eltern brauchen Unterstützung von Fachkräften

Kinder wachsen in eine Medienwelt hinein, Medien auszuklammern ist nicht mehr möglich. Allerdings wird von pädagogischer Seite teils weiterhin versucht, sie zu ignorieren – mit der Konsequenz, dass Kinder mit ihren Medienerfahrungen weitgehend auf sich allein gestellt bleiben. Neben der Begleitung der Kinder durch Fachkräfte bedarf es einer qualifizierten Beratung auch der Eltern, um Unsicherheiten zu reduzieren und Medienbildung zu fördern. Im Rahmen einer Kooperation mit der TH Köln haben Studierende die Rolle pädagogischer Fachkräfte für die frühkindliche Mediensozialisation untersucht und fassen ihre Ergebnisse im Rahmen des folgenden Beitrags zusammen.

30.05.2018

Digitale Medien von Anfang an dabei

„Wischen ist heutzutage wohl angeboren“, so die Mutter eines 6-Jährigen, die an der DIVSI U9-Studie "Kinder in der digitalen Welt" (PDF 4,1 MB) des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) von 2015 teilgenommen hat. Dies stimmt so nicht, denn auch wenn Kinder von Anfang an im Kontakt zu Medien stehen, zum Beispiel weil die Eltern in Ihrer Gegenwart Nachrichten und Fotos per WhatsApp an die Großeltern verschicken oder mit der Tante in Amerika skypen, ist der Umgang mit digitalen Medien nicht angeboren. Genauso wenig wie ein Native Speaker auf die Welt kommt und seine Muttersprache beherrscht, können Digital Natives ohne Unterstützung Medien reflektiert und kreativ nutzen. Ein Kind benötigt genauso Unterstützung, um souverän mit Medien umzugehen, wie ein Kind, das seine Muttersprache erlernt. Der Begriff Muttersprache impliziert den Stellenwert von Eltern bei dem Erlernen von Sprache. Den gleichen Einfluss haben Eltern bei dem Erlernen von Medien. Fachkräfte haben hier eine wichtige Beratungs- und Unterstützungsfunktion und können zudem bestehende Ungleichheiten in der Mediensozialisation der Kinder ausgleichen.

Die Familie legt den Grundstein für eine Medienbildung

Das System Familie ist ein komplexes emotionales Gefüge und Beziehungssystem, welches sich nachhaltig auf Lebenslauf sowie Bildungs- und Lernprozesse auswirkt (vgl. Liegle 2005, S. 413). Da Medien aus Familien nicht mehr wegzudenken sind und als weitere wichtige Sozialisationsinstanz gelten, müssen Familien auch als Bildungsorte für die Medienaneignung begriffen werden. Ob Kinder Medien als reine Unterhaltungsmedien betrachten oder diese nutzen, um ihr Wissen zu erweitern, wird ganz wesentlich durch den Medienumgang der Eltern beeinflusst (vgl. Neuß 2012, S. 130f.; DIVSI 2015, S. 7). Eltern sollten daher in Bezug auf Medien und deren Nutzung grundlegend unterstützt und informiert werden, um die Potenziale von Medien nutzen und Gefahren richtig einschätzen zu können. So fühlen sich viele Eltern selbst nicht sicher in der Medienwelt und Medienerziehung, wie auch die Studie MoFam - Mobile Medien in der Familie des JFF zeigt.

Die Aufgabe der Fachkräfte bei der Medienerziehung

Ein wichtiger Auftrag der frühkindlichen Medienpädagogik liegt in der Arbeit mit den Erziehungsberechtigten. Die pädagogischen Fachkräfte haben die Möglichkeit, Eltern über die Konsequenzen ihrer persönlichen Mediennutzung aufzuklären und ihnen im Umgang mit Medien begleitend und beratend zur Seite stehen. Um Eltern fachlich qualifiziert in Fragen der Medienerziehung beraten zu können, ist es notwendig über aktuelles medienpädagogisches Fachwissen und entsprechende Kompetenzen in der Elternbildung und -beratung zu verfügen. Sie sollten beispielsweise auf folgende Fragen von Eltern Antwort geben können: „Ab wann sollte mein Kind fern sehen oder ein Smartphone nutzen?“, „Wie schütze ich mein Kind vor beeinträchtigenden Inhalten?“ Neben der fachlichen Qualifikation mangelt es jedoch oft an der technischen Ausstattung in pädagogischen Einrichtungen, um allen Kindern einen gerechten Zugang zu Medien zu ermöglichen. Hier besteht Handlungsbedarf – wie auch in den Forderungen des Dachverbands der Medienpädagogik zur frühen Bildung und Medien nachzulesen ist. 

Die Qual der Medienwahl

Medien und Technik verändern sich rasant – ebenso auch die Angebote und Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Sowohl für Eltern als auch für die Fachkräfte ist es nicht einfach den Überblick zu behalten. Für die Bewertung von Medieninhalten und -angeboten gibt es kein gängiges Schema, das sich immerzu anwenden lässt. Folgende Aspekte können bei der Medienauswahl aber eine erste Orientierungshilfe liefern: 

Welche Medien eignen sich für welches Alter? 

Für einige Medien gibt es Empfehlungen bezüglich Alter und Nutzungszeit, beispielsweise für das Fernsehen. Der Programmratgeber Flimmo des Vereins Programmberatung für Eltern e.V bietet Eltern und Erziehenden z.B. konkrete Orientierungshilfe bei der Fernseherziehung ihrer Kinder. Das zunehmend beliebtere Smartphone wird im Kleinkindalter zunächst als Reizquelle und Spielgerät genutzt, Kommunikation findet kaum statt. Erst ab dem ca. 10. Lebensjahr gewinnt diese Funktionen an Faszinationskraft. Grundsätzlich gilt: die individuelle Entwicklung des Kindes sollte bei der Auswahl von Mediengeräten und -inhalten immer im Fokus stehen. Die Wirkung von Medien lässt sich nicht pauschal am Alter festmachen, Altersempfehlungen liefern nur einen ersten Richtwert. Eine aufmerksame Begleitung des Medienhandelns ist erforderlich. Weitere wichtige Informationen zu diesem Themenfeld gibt der Medienratgeber schau-hin.info.

Was steckt hinter den Medienangeboten?

Es stehen online eine Vielzahl von Medienangeboten zur Verfügung: Kinderapps oder -websites. Eine erste wichtige Frage ist, wer diese Angebote entwickelt hat und mit welcher Intention? Ist es das Ziel der Angebote, kindgerecht zu unterhalten oder sollen Produkte beworben und Daten gesammelt werden? Es gibt einige Websites, die bei der Wahl von Apps unterstützen. Aber auch bei diesen handelt es sich nicht immer um ein unabhängiges Prüforgan. Bei der Suche nach Orientierungs-hilfen ist daher Vorsicht geboten. Hier können Fachportale wie zum Beispiel die Datenbank "Apps für Kinder" des DJI unterstützen. 

Welche Medieninhalte sind für Kinder angemessen?

Ob bestimmte Themen, Geschichten oder Figuren Emotionen hervorrufen, ist von Kind zu Kind verschieden, der individuelle Entwicklungsstand ist entscheidend. Damit Kinder Medien wahrnehmen, nutzen und verstehen können, sind aus entwicklungspsychologischer Sicht drei Voraussetzungen notwendig (vgl. Charlton 2007), die es aktiv im Umgang mit Medien zu fördern gilt:

  • Kommunikative Kompetenz: Beherrschen die Kinder bereits die symbolische Interaktion und Kommunikation?. Können sie Symbole wahrnehmen und verstehen und sich auch schon in der Muttersprache verständigen? Die Auseinandersetzung mit Bilderbüchern bietet eine gute Möglichkeit diese Fragen zu beantworten als auch kommunikative Kompetenz zu fördern.
  • Kognitive Kompetenz: Können Kinder die Handlungsstränge nachvollziehen? Hier kann das Verständnis zum Beispiel durch Rollenspiele gefördert werden. 
  • Emotionale Kompetenz: Können Kinder sie interessierende Themen auswählen und bedrohliche, ängstigende Themen abwehren? Um diese Frage beantworten zu können, sind Erwachsenen aufgefordert, die Mediennutzung zu begleiten und mit Kindern über die Inhalte zu sprechen.

Eine intensive Begleitung der Kinder durch Erwachsene ist – vor allem während der ersten  Medienerfahrungen – unverzichtbar. Daher ist auch die Begleitung und Unterstützung  der Eltern durch Fachkräfte notwendig. Insbesondere diejenigen, die den Bedarf von Medienerziehung nicht erkennen oder überfordert sind, sind zu motivieren die Medienbildung ihrer Kinder zu fördern.

Eltern als Vorbild - Fachkräfte als Begleiter 

Die Nutzung von Medien birgt ein großes Potenzial für Lern- und Bildungsprozesse. Bereits Kleinkinder können mit Hilfe von Medien neue Welten entdecken und ihre Fantasie anregen. Sie bekommen Wissen vermittelt, ihre Neugierde wird geweckt oder sie werden einfach gut unterhalten. Doch nicht jedes Medium eignet sich gleichermaßen für jedes Kind. Eltern und Fachkräfte sind daher aufgefordert, Kinder bei der Medienauswahl zu unterstützen und in Erfahrung zu bringen, ob ein Angebot fordert oder überfordert, ob eine Geschichte unterhält oder Angst hervorruft. Vor allem Klein- und Vorschulkinder benötigen dann auch Raum und Zeit, um sich über das Erlebte auszutauschen und es zu verarbeiten. 

Welchen Stellenwert Medien im Alltag von Kindern erhalten, darüber entscheiden vor allem die Eltern. Sie sind ihre Vorbilder. Die gemeinsame Mediennutzung kann ein positives Gemeinschaftsgefühl in der Familie fördern, Rituale können außerdem Sicherheit geben. Diese positiven Aspekte gilt es zu stärken. Zudem gilt es Eltern die Angst zu nehmen, etwas falsch zu machen. Fachkräfte können hier als wertvolle Begleiter fungieren. Sie können damit Medienbildung fördern und gleichzeitig helfen Defizite in der Medienbildung auszugleichen.

Autorinnen: Jennifer Ackermann, Nadine Heinrich, Frauke Löpmeier 

Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Köln im  Studiengang Pädagogik und Management in der Sozialen Arbeit (Master) entstanden. Die Studierenden haben sich über ein Semester mit den Herausforderungen der Digitalisierung für die Kinder- und Jugendhilfe beschäftigt und fassen ihre Ergebnisse in verschiedenen Beiträgen auf dem Fachkräfteportal der Kinder- und Jugendhilfe zusammen.

Literatur


Charlton, M. (2007). Das Kind und sein Startkapital – Medienhandeln aus der Perspektive der Entwicklungspsychologie. In: Theunert, H. (Hrsg.) Medienkinder von Geburt an – Medienaneig-nung in den ersten sechs Lebensjahren. S. 25-40. München: kopaed. 

DIVSI – Deutsches Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (Hrsg.) (2015). DIVSI U9- Studie. Kinder in der digitalen Welt. Hamburg: DIVSI. 

Liegle, L. (2005). Der soziale Ort, an dem sich im Regelfall die ersten Schritte der Menschenwerdung vollziehen. Stichworte zu den Perspektiven einer Familienerziehungswissenschaft. Neue Sammlung 45, S.401-423. URL: 
http:/www.pedocs.de/volltexte/2010/2361/pdf/Nesa_3_2005_7_Liegle_Der_soziale_Ort_D_A.pdf (Abruf:02.01.2018)

Neuß, N. (2012). Kinder & Medien. Was Erwachsene wissen sollten. Seelze-Velber: Kallmeyer/ Klett-Verlag.

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